Freitag, 16. August 2019

Tragen Sie Beton? Vom Unsinn der Farbnamen


Ich habe wieder einmal einen Katalog vor mir und lese mit Staunen die Anzeigen für Kleidungsstücke:

Hose schwarz-weiss gestreift, Baumwolle 69,90.-
(Streifen auch in Grau, Grey, Anthrazit, Asche, Beton, Mauer, Wolke, Stein, Elefant, Asphalt, Maus, Silber, Stahl und Granit)

T-Shirt grün, 90% Baumwolle, 10% Elasthan 49,90.-
(auch in Green, Rasen, Wiese, Gras, Mint, Minze, Menthe, Zucchetti, Salat, Gurke, Petersilie, Schnittlauch, Basilikum, Blatt, Stängel, Kaktus und Smoothie)

Jacke rot, reine Wolle 139,90.-
(auch in Red, Rouge, Blut, Theaterblut, Ketchup, Tomate, Feuerlöscher, Signal, Paprika, Chili, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang und Scham)

Zum Glück habe ich Knarf, einen Kumpel, der im Bekleidungshandel arbeitet. Ich mache ein Foto, schicke es per Handy und bitte ihn, mich anzurufen – was er nach einer Stunde auch tut. «Hey Rolf, was gibt’s?» «Was es gibt? Hast du dir den Schwachsinn mal angesehen? Was treibt ihr Textilleute da?» «Wegen der Farbenvielfalt? Oh, ich könnte dir locker noch jeweils 5 Farben mehr aufzählen, und zwar wichtige, bei den Grautönen fehlt eindeutig Gips, bei den Grüntönen Efeu und bei den Rottönen Rose…» «Aber wer kann das unterscheiden? Und Minze, Mint und Menthe ist doch das Gleiche.» «Keineswegs, Minze hat ein bisschen mehr gelb drin wie die anderen und Menthe ist ein wenig heller und Mint glänzt mehr. Da braucht man halt schon ein ganz feines Auge.»
Knarf ist auch keine Hilfe.

Zum Glück treffe ich Liu im Café. Liu ist Grafikerin und muss sich mit Farben ja auskennen. Was sie auch tut. «Rolf», meint sie, «es gibt ca. 100 Grautöne, 120 Grüntöne und 130 Rottöne. Für uns Grafiker und für die Drucker haben die alle Nummern, z.B. E456; wenn aber nun jemand auf die Idee kommt, ein Kleidungsstück in dieser Farbe zu machen, dann kann er ja schlecht schreiben: T-Shirt auch in F598 erhältlich, oder? Also sitzen in diesen Kleiderbuden irgendwelche armen Teufel und überlegen sich Namen für diese Nuancen. Und mal ganz ehrlich: Aubergine, Petrol, Mauve und Lachs hast du inzwischen auch als Farbe akzeptiert, und das waren vor 30 Jahren auch nur ein Gemüse, ein Treibstoff, eine Blume und ein Fisch, und genauso wirst du in 20 Jahren Hosen in Zucchetti, Diesel, Petunie und Karpfen tragen…»

Nein, werde ich nicht.

Ich laufe lieber nackt herum als in einer Kombination Theaterblut/Beton. Stellen Sie sich mal die Brauntöne vor! Da gibt es dann Sch.., K…, – kann  ich jetzt hier gar nicht schreiben, sonst käme ich aus dem sit venia verbo gar nicht heraus.

Ich hoffe nur, der Farbenwahn macht vor der normalen Sprache halt. Wenn jemand das Blaue vom Himmel lügt, dann soll er das Blaue vom Himmel lügen und nicht Tinte, Wasser oder Pflaume. Wenn ein junges Mädchen (oder Kerlchen) sanft errötet, dann soll sie oder er auch weiterhin erröten und nicht ertomaten, erpaprikanen oder erbluten.
Und wird man nicht auch weiterhin «Ganz in Weiss» heiraten wollen und nicht in Schnee, in Papier, in Koks, in Mehl, in Zucker, in Salz und in Ei?

Ich weiss nicht, wo diese Leute sitzen, welche Firmen da ihre Hand mit im Spiel haben und welche Agenturen da ihre Hirne einsetzen, ich habe nur einen Wunsch:
HÖRT AUF! WIR HABEN JETZT GENUG FARBEN!

Als ich aus dem Café komme, liegt ein Flyer im Briefkasten. Man ruft zur Volksabstimmung über eine Änderung der Schweizer Flagge auf, der Bundesrat hat beschlossen, die Fahne von Rot/Weiss auf Tomate/Mehl umzustellen. Dagegen wendet sich ein überparteiliches Komitee, das eher aus konservativen und bürgerlichen Kreisen kommt. Aber dieses mal muss man ihnen recht geben: NEIN heisst die Parole. 

 

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