Dienstag, 20. August 2019

Die Macht der PR


Ich habe einen grossen Bekanntenkreis, in dem sich auch einige wirklich prominente Leute befinden: Ein CEO eines Unternehmens mit 450 000 Beschäftigten, ein Politiker auf Bundesebene und ein Filmstar, der immerhin schon einen Golden Globe erhalten hat und dreimal für den Oscar nominiert war. Namen? Ich bitte Sie, nein, natürlich nicht. Aber da ich über den Filmstar schreiben will und Sie gerne einen Namen hätten, nennen wir ihn doch einfach Tim. Tim bewohnt eine 15 Zimmer-Villa in Hamburg-Blankenese mit Blick auf die Elbe, ausserdem besitzt er Ferienhäuser und -wohnungen auf Ibiza, im Engadin und in New York. Tim lebt seit 10 Jahren mit einem Galeristen zusammen, der genau so gut aussieht wie er selbst – Tim ist bildhübsch, musste ich das extra erwähnen? Er ist Filmstar – und wenn die beiden in der Hamburger Society auftauchen, sind sie so etwas wie das Dreampaar.

Als ich neulich mit Tim skypte, fragte ich ihn nach seinen Plänen für den Sommer. Nein, eigentlich fragte ich wörtlich nach ihren Plänen, weshalb ich auch erstaunt war, als Tim mir sagte, er selbst gehe 2 Wochen an den Silsersee und Tom (so nennen wir den Galeristen jetzt einfach, sonst finden Sie womöglich raus, wer Tim ist) fliege für 14 Tage nach Ibiza. Ich fragte daraufhin, ob es Probleme gebe, ob sie sich gestritten hätten, ob… aber Tim hatte eine kurzbündige Erklärung parat: Seine PR-Agentur hat dringend zu einer Stressgeschichte geraten. Nun wird Tom auf den Balearen mit einem jungen Mann in die Disco gehen, ins Restaurant gehen, ein wenig flirten – und sich dabei möglichst oft von Kameras «erwischen lassen». Und Tim wird in seiner Ferienwohnung sitzen, Bücher lesen, entspannen und sich möglichst oft bei traurigen einsamen Spaziergängen «erwischen lassen». Der junge Mann, wir nennen ihn jetzt Jim, wird dafür von der Agentur scheisse (sit venia verbo) gut bezahlt. Nachdem die Schlagzeilen
TIM TRAURIG UND ALLEIN IM ENGADIN
TOM FLIRTET AUF IBIZA
und
AUS FÜR TIM UND TOM?
die Gala, die Frau mit Herz, die Frau im Spiegel füllten, nachdem die Schweizer Illustrierte, die Schweizer Woche berichteten, nachdem im Blick der Frau, der Glückspost und der Wochenpost zu lesen war, werden dann im Herbst die Schlagzeilen
TIM UND TOM: VERSÖHNUNG IN NEW YORK
GLÜCKLICH IN MANHATTAN – TIM UND TOM WIEDER VEREINT
und
TIM UND TOM GEMEINSAM IN BIG APPLE
die Leser (??gibt es solche?) und Leserinnen wieder glücklich machen.

Warum ist das so? Ganz einfach: Unsere Emotionen schwappen permanent zwischen Teilhabe am Glück und Schadenfreude hin und her, und so geht uns zu viel Happyness einfach auf die Nerven. Am Anfang denken wir noch: «Ich freue mich so für die zwei.», später «Warum kann ich nicht so glücklich sein?», um dann zu «Siehste! Klappt bei denen auch nicht!» zu kommen und dann wieder zur Mitfreude zurückzukehren.
Glück ist zudem einfach auch langweilig, die Gala, die Frau mit Herz und die Frau im Spiegel, die  Schweizer Illustrierte und die Schweizer Woche, Blick der Frau, Glückspost und Wochenpost könnten ihre Ausgaben niemals nur mit Glück füllen. Das wusste schon Tolstoi: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“

Und so sitzen in den PR-Agenturen sowie in den Redaktionen von  Frau mit Herz, Frau im Spiegel und Gala, in den Stuben der Glückspost und der Wochenpost Hunderte und Tausende von Leuten, die planen, wer diese Woche und diesen Monat glücklich sein darf und wer Stress haben muss:
Ertragen wir die Sonnenschein-Ehe von X und Y noch oder muss ein wenig Schatten her?
Sollte Z nicht ein wenig, ein bisschen leiden?
Sollen wir die Leiden des jungen T nicht jetzt endlich beenden?
Dürfen U und V nun endlich wieder zusammenkommen?

Der nächste auf der Unhappy-Liste ist übrigens Guido. Guido, jener Sonnyboy, der für OTTO ® und CHRIST® schauderhaft schlechte Designs macht und sich damit zur Stil-Hoheit der Bundesrepublik aufgeschwungen hat; nach eigener Sendung, eigener Zeitschrift, Traumhochzeit auf Sylt und Umzug nach Hamburg-Blankenese MUSS jetzt endlich mal ein Tiefschlag kommen, geht nicht anders.

Ich selbst werde übrigens Tim am Silsersee besuchen, ich liebe das Engadin, liebe Maloja, den Segantini-Weg und den Nietzsche-Stein. Ich muss nur mit Tims PR-Leuten absprechen, ob ich
a) mich von den Paparazzi nicht erwischen lasse 
b) mich von den Paparazzi erwischen lasse und als normaler Trost durchgehe
c) mich von den Paparazzi erwischen lasse und als Gegenschlag zum Ibiza-Schönling gelte

…wobei ich für c) eindeutig zu alt bin…




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