Freitag, 8. Februar 2019

Warum man keine dumme Passagen streicht


Der Männerchor Frohlust Dobbingen (SH) e.V. hat in seinen Statuten folgenden Passus:

Sänger, die weniger als 70% der Proben besuchen, werden vom Vorstand aus dem Verein ausgeschlossen. 

Der Passus stammt noch aus der Zeit, als die Frohlustigen 100 Mitglieder zählten und es Ehrensache war, in jede Probe zu kommen – und als der Altersdurchschnitt bei 45 Jahren lag. Heute ist der Altersdurchschnitt bei 73, und man ist froh um die drei Mitglieder, die ihn eklatant senken: Rudi, 51 Jahre, ist freischaffender Graphiker und muss manchmal in Nachtschichten noch Aufträge fertigmachen, Beat, 55 Jahre, arbeitet bei einer grossen Firma und ist geschäftlich viel unterwegs, Gerd, 62 Jahre, geniesst seinen Vorruhestand und ist demnach auch viel unterwegs… Man wendet also den Passus einfach nicht mehr an, auch wenn die drei «Babys» eigentlich gar nicht mehr dabei sein dürften.

Warum streicht man den Paragraphen dann nicht einfach?

Man streicht ihn nicht, weil man keine Diskussionen will. Wenn es auf einer Generalversammlung zu einem Antrag auf Löschung käme, würden ganz unnötige Äusserungen fallen, Äusserungen wie «Man ist in einem Verein oder ist nicht in einem Verein!», «Man muss einfach Prioritäten setzen!» oder «Auf Leute, die nie da sind, können wir verzichten!» und als Ergebnis würden sich Rudi, Beat und Gerd einfach einen anderen Männerchor suchen, einen Männerchor, in dem sie willkommen sind, obwohl sie viele Proben fehlen.
Und der Altersdurchschnitt würde auf 79 schnellen.
Und das will man auf keinen Fall.

Aus dem gleichen Grund werden in vielen Gemeinden, in vielen Kantonen, werden in vielen Bundesländern und Staaten, werden in vielen Städten und Gemeinwesen Passagen in den Gesetzbüchern einfach darin gelassen. Weil man unnütze Diskussionen vermeiden will.
So blieb nach dem 2. Weltkrieg in der Hessischen Landesverfassung aus Versehen die Todesstrafe stehen. Machte gar nichts, den im Grundgesetz war sie abgeschafft, Bundesrecht bricht Landesrecht, und niemand wurde in Frankfurt, Kassel oder Darmstadt, wurde in Giessen, Wiesbaden oder Offenbach aufs Schafott oder den Elektrischen Stuhl geschickt. Man liess den Paragraphen in der Verfassung, weil man um alles in der Welt keine fünfstündige Landtagsdebatte über die Todesstrafe wollte – die auch gar nichts gebracht hätte, denn Bundesrecht…

Aus dem gleichen Grund steht Adolf Hitler in manchen deutschen Städten noch in der Liste der Ehrenbürger, die meisten Bürger dieser Städte wissen das aber gar nicht. Der (verständliche) Antrag auf Streichung dieses unseligen Namens hätte aber eine lange Diskussion zur Folge, eine Diskussion, die man um jeden Preis vermeiden will. Man will einfach keine Sätze hören wie: «Egal, was Hitler vielleicht (!!) noch Böses gemacht haben soll (!!), unserer Stadt hat er immerhin das Rathaus, das Schwimmbad, die Schule und den Sportplatz gestiftet».

Amerika ist im Wir-lassen-das-Gesetz-drin-damit-es-keine-Diskussionen-gibt absoluter Weltmeister,
die Liste der sogenannten Dumb-Laws ist sehr lang. So dürfen in bestimmten Bundesstaaten
·         geschiedene Frauen am Sonntag nicht Fallschirmspringen
·         Hotelgäste in ihren Zimmern keine Orangen schälen
·         Autofahrer nicht 100x um den Marktplatz fahren
usw.

Alle die Gesetze bleiben bestehen, weil es niemand stört. Eine Streichungsdebatte wäre verheerend. Sie könnte im ersten Fall sogar dazu führen, dass man
·         das Fallschirmspringen am Tag des Herrn generell verbietet
·         Frauen das Fallschirmspringen verbietet
·         Frauen die Scheidung verbietet
Und das will man auf keinen Fall. 

Ebenso schwierig wie einen Passus zu streichen ist es übrigens, eine schon längst vorhandene Realität in eine Satzung einzufügen, ich habe das selbst auf einer Tagung des Württembergischen Landesverbandes für Kinderkirche erlebt. Die Organisation war seit 1950 Mitglied im Diakonischen Werk und 1980 wollte man dieses Faktum endlich in die Satzung aufnehmen. Nach einer dreistündigen Debatte hatte man die Gegner endlich überzeugt – die Guten hatten Angst, dass durch die Mitgliedschaft (sie bestand seit 30 Jahren!) das Diakonische Werk einem «dreinreden» könnte (es hatte dies in 30 Jahren nicht getan!).

Haben Sie in Ihrem Verein, in ihrem Club auch so einen Dummes-Gesetz-Passus in der Satzung?
Seien Sie gut beraten!
Lassen Sie ihn drin!

     

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