Ich
schüttele meinen Staublappen am Fenster aus. Vorbei geht der schräg gekleidete
Wahrsager mit dem Hündchen. «Hallo, schräg gekleideter Wahrsager mit dem
Hündchen», sage ich, «werde ich heute glücklich sein?» «Das kann ich dir so
einfach nicht sagen», sagt der schräg gekleidete Wahrsager mit dem Hündchen,
«hast du Kaffeesatz, Tarotkarten oder ein Tier da – ein Tier, das ich ausweiden
kann?» «Nein», sage ich zum schräg gekleideten Wahrsager mit dem Hündchen, «ich
habe eine Kapselmaschine, habe nur Jasskarten und auch kein Tier, übrigens WENN
ich einen Goldfisch, einen Wellensittich oder einen Hamster hätte, dürftest du
ihn sicher nicht aufschneiden.» «Dann geht das nicht», sagt der schräg
gekleidete Wahrsager mit dem Hündchen. «Kannst du nicht einfach so, ohne
Hilfsmittel in meine Zukunft schauen?» Kann er nicht, er bietet mir für morgen
einen Termin an, Kaffeesatz plus Kartenlegen für 200.-. Nutzt mir aber nichts, ich
will ja wissen, ob ich HEUTE glücklich sein werde.
Als ich eine
halbe Stunde später eine Zigarette am Fester rauche, kommen zwei gutgekleidete
orthodoxe Juden vorbei. «Hallo, gutgekleidete orthodoxe Juden», sage ich,
«werde ich heute glücklich sein?» «Der Psalmist sagt», bemerkt der der jüngere
der gutgekleideten orthodoxen Juden, «Dies ist der Tag des HERRN, lasset uns
fröhlich in ihm sein und frohlocken.» «Aber», erwidert sofort der ältere der
gutgekleideten orthodoxen Juden, «Rabbi Schlomo hat schon 1678 angemerkt, dass
dies sich nur auf den Tag der Tempelweihe beziehe.» «Recht hast du», so wieder
der andere gutgekleidete orthodoxe Jude, «aber Rabbi Gilead hat 1876 darauf
hingewiesen, dass mit Tempel auch der menschliche Körper gemeint sein könnte.»
«Dem hat aber doch Rabbi Isaak 1925 vehement widersprochen, er schrieb…» Ich
schliesse das Fenster. Ich liebe ja das Judentum vor allem wegen dieser
Schriftbezogenheit, jeder Jude ist eigentlich ein Literaturwissenschaftler,
aber für meine Frage bringen mir nun die ganzen Rabbiner, mögen sie nun
Schlomo, Gilead oder Isaak heissen, recht wenig.
Eine
Zigarette später läuft die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock vorbei.
«Hallo, fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock», sage ich, «werde ich heute
glücklich sein?» Die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock überreicht mir
ein Traktat des Missionswerkes Heuchelbach. FREI VON LASTEN steht drauf. Das
hört sich doch nun echt nach Glück an. Als ich es aber näher studiere, merke
ich, dass zwar viel von Sündenfreiheit, von Begnadigung, von Himmel und
Seligkeit drinsteht, dass es durchdrungen ist von Theologica Crucis, von
Römerbrief und Passionsgeschichte, dass aber zum Thema Glück nicht wirklich
etwas drinsteht. «Was heisst das aber nun zum Thema Glück?», frage ich die
fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock. «Glück ist ein schwieriger
Begriff», sagt die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock, «du solltest
nach Erlösung und nicht nach Glück streben.» Ich schliesse das Fenster.
Zwei
Teenager laufen vorbei. Muss ich gar nicht fragen, was haben so Grünschnäbel
zum Thema Glück zu sagen?
Ein
Superreicher läuft vorbei. Muss ich auch nicht fragen, für den kann man unter 4
000 000 000.- nicht glücklich sein.
Ein Ehepaar,
das sich streitet.
Eine Frau
mit Kinderwagen.
Eine
Schulklasse.
Eine Katze.
Eine Elster.
Hilfe, gibt
es dein keinen Glücksexperten in der Leimenstrasse?
Da kommt die
kluge Psychologin von gegenüber die Strasse entlang. «Hallo, kluge Psychologin
von gegenüber», sage ich, «werde ich heute glücklich sein?» Die kluge
Psychologin von gegenüber schaut mich lange an. «Du stellst die falsche Frage»,
sagt die kluge Psychologin von gegenüber, «du siehst doch glücklich aus, also
überlege dir, wie du dieses Glück behalten kannst. Also nicht fragen, ob man
heute glücklich sein wird, sondern was einen unglücklich machen könnte.» Die
kluge Psychologin von gegenüber ist wirklich eine kluge Psychologin.
Ich
schliesse das Fenster.
Und bin den
ganzen Tag glücklich.
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