Dienstag, 19. Februar 2019

Fenstergespräche zum Thema Glück


Ich schüttele meinen Staublappen am Fenster aus. Vorbei geht der schräg gekleidete Wahrsager mit dem Hündchen. «Hallo, schräg gekleideter Wahrsager mit dem Hündchen», sage ich, «werde ich heute glücklich sein?» «Das kann ich dir so einfach nicht sagen», sagt der schräg gekleidete Wahrsager mit dem Hündchen, «hast du Kaffeesatz, Tarotkarten oder ein Tier da – ein Tier, das ich ausweiden kann?» «Nein», sage ich zum schräg gekleideten Wahrsager mit dem Hündchen, «ich habe eine Kapselmaschine, habe nur Jasskarten und auch kein Tier, übrigens WENN ich einen Goldfisch, einen Wellensittich oder einen Hamster hätte, dürftest du ihn sicher nicht aufschneiden.» «Dann geht das nicht», sagt der schräg gekleidete Wahrsager mit dem Hündchen. «Kannst du nicht einfach so, ohne Hilfsmittel in meine Zukunft schauen?» Kann er nicht, er bietet mir für morgen einen Termin an, Kaffeesatz plus Kartenlegen für 200.-. Nutzt mir aber nichts, ich will ja wissen, ob ich HEUTE glücklich sein werde.

Als ich eine halbe Stunde später eine Zigarette am Fester rauche, kommen zwei gutgekleidete orthodoxe Juden vorbei. «Hallo, gutgekleidete orthodoxe Juden», sage ich, «werde ich heute glücklich sein?» «Der Psalmist sagt», bemerkt der der jüngere der gutgekleideten orthodoxen Juden, «Dies ist der Tag des HERRN, lasset uns fröhlich in ihm sein und frohlocken.» «Aber», erwidert sofort der ältere der gutgekleideten orthodoxen Juden, «Rabbi Schlomo hat schon 1678 angemerkt, dass dies sich nur auf den Tag der Tempelweihe beziehe.» «Recht hast du», so wieder der andere gutgekleidete orthodoxe Jude, «aber Rabbi Gilead hat 1876 darauf hingewiesen, dass mit Tempel auch der menschliche Körper gemeint sein könnte.» «Dem hat aber doch Rabbi Isaak 1925 vehement widersprochen, er schrieb…» Ich schliesse das Fenster. Ich liebe ja das Judentum vor allem wegen dieser Schriftbezogenheit, jeder Jude ist eigentlich ein Literaturwissenschaftler, aber für meine Frage bringen mir nun die ganzen Rabbiner, mögen sie nun Schlomo, Gilead oder Isaak heissen, recht wenig.

Eine Zigarette später läuft die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock vorbei. «Hallo, fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock», sage ich, «werde ich heute glücklich sein?» Die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock überreicht mir ein Traktat des Missionswerkes Heuchelbach. FREI VON LASTEN steht drauf. Das hört sich doch nun echt nach Glück an. Als ich es aber näher studiere, merke ich, dass zwar viel von Sündenfreiheit, von Begnadigung, von Himmel und Seligkeit drinsteht, dass es durchdrungen ist von Theologica Crucis, von Römerbrief und Passionsgeschichte, dass aber zum Thema Glück nicht wirklich etwas drinsteht. «Was heisst das aber nun zum Thema Glück?», frage ich die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock. «Glück ist ein schwieriger Begriff», sagt die fromme Frau mit Dutt und langweiligem Rock, «du solltest nach Erlösung und nicht nach Glück streben.» Ich schliesse das Fenster.

Zwei Teenager laufen vorbei. Muss ich gar nicht fragen, was haben so Grünschnäbel zum Thema Glück zu sagen?
Ein Superreicher läuft vorbei. Muss ich auch nicht fragen, für den kann man unter 4 000 000 000.- nicht glücklich sein.
Ein Ehepaar, das sich streitet.
Eine Frau mit Kinderwagen.
Eine Schulklasse.
Eine Katze.
Eine Elster.

Hilfe, gibt es dein keinen Glücksexperten in der Leimenstrasse?

Da kommt die kluge Psychologin von gegenüber die Strasse entlang. «Hallo, kluge Psychologin von gegenüber», sage ich, «werde ich heute glücklich sein?» Die kluge Psychologin von gegenüber schaut mich lange an. «Du stellst die falsche Frage», sagt die kluge Psychologin von gegenüber, «du siehst doch glücklich aus, also überlege dir, wie du dieses Glück behalten kannst. Also nicht fragen, ob man heute glücklich sein wird, sondern was einen unglücklich machen könnte.» Die kluge Psychologin von gegenüber ist wirklich eine kluge Psychologin.

Ich schliesse das Fenster.
Und bin den ganzen Tag glücklich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen