Dienstag, 5. Februar 2019

Zahlt das Feuilleton besser!


Beim Jahreskonzert des Gemischten Chores Frohlust in Schwuden (Friesland) kommt es zu einem unschönen Zwischenfall. In der Pause, in der traditionsgemäss Aquavit und Fischhäppchen gereicht werden, wird Qualm entdeckt, das Reetdach der Dorfhalle muss irgendwie Feuer gefangen haben. Natürlich rückt die Feuerwehr an, beendet das Konzert, räumt die Halle und löscht den Brand. Umso erstaunter sind die Leser des OFT (Südostfriesisches Tagblatt), als sie am übernächsten Tag in der Konzertkritik eine Besprechung des Liederzyklus «Auf dem Deich» von Haan Feddersen (*1956) finden, der natürlich nicht mehr erklingen konnte.

Erstaunt sind die Leser der gleichen Zeitung auch in Schwaden, dort musste Sinke Booder, die Solistin im «Deichkonzert op. 23» von Jens Bubelham (*1987) aus Krankheitsgründen leider absagen und wurde durch ihre Kollegin Dörte Hannssen meisterhaft vertreten. (Das Deichkonzert für Deichoboe und Kammerorchester erklang im ersten Teil des Konzertes des Orchestervereins Schwaden e.V.) Nun steht im Südostfriesischen Tagblatt aber Sinke Booder, obwohl die Erkrankung und die Einspringung (sic) zu Beginn des Konzertes deutlich angesagt wurden.

Die Lösung ist einfach: Detlev Billstrung, einer der Kritiker des OFT, hat schlicht und einfach beide Konzerte besucht, das Konzert in Schwuden im ersten Teil, weshalb er die Räumung der Halle nicht mitbekam und dann den Event in Schwaden im zweiten Teil, weshalb er die Ankündigung der Einspringung verpasste.

Aber auch in Karlsruhe sind kritische Leser der Badischen Neuesten Nachrichten nicht immer glücklich: Da wird Schuberts Unvollendete als «Nullte» bezeichnet, da wird Monet zu den Expressionisten gezählt, da hat ein Rezensent den Regieansatz am Badischen Staatstheater – trotz Pressemappe – nicht begriffen und ein anderer nennt in einer Aufführung des Requiems von Mozart den falschen Ergänzer, da wird geschludert, geschlampt, da wird falsch berichtet und falsch angegeben, da hat man nicht oder zu wenig recherchiert, da hat es scheinbar nicht für ein wenig Nachsehen im WorldWideWeb oder in einem Lexikon gereicht.

Und dann kommt man mit den grossen Keulen und haut die armen Kritiker der kleinen, mittleren und halbgrossen Zeitungen einfach in den Boden:
Raddatz!
Das war ein Feuilleton!
Reich-Ranicki!
Das war Kenntnis!
Kaiser!
Pravy!
Berehndt!

Man vergisst, dass Herr Raddatz mit seinen Honoraren, Spesenrechnungen und Sitzungskosten (auf den Konferenzen des ZEIT-Feuilletons wurde Veuve Cliquot  oder Dom Perignon getrunken) die arme Wochenzeitung fast in den Ruin trieb, man vergisst, dass der Chefdramaturg Marcel Pravy mit seinen Honoraren für seine Gastkritiken sich wahrscheinlich eine Villa am Lago Maggiore kaufte, man vergisst, dass sich ein Who-is-Who-Mensch mit einem Betrag bezahlen lässt, der das Sechsfache eines Monatsgehaltes eines normalen Redakteurs ist.

Der Kritiker in Schwuden und Schwaden bekommt pro Text 100 Euro, rechnet man Arbeitszeit und Spesen, Aufwand und Aufwändigkeit, dann sollte er lieber putzen gehen, auf jeden Fall ist das Besuchen zweier Konzerte schlicht und einfach der schlechten Bezahlung und nicht seiner Ignoranz zuzuschreiben.
Der Rezensent der BNN in Karlsruhe ist zwar fest angestellt, muss aber im Monat um die 100 Texte abliefern, was die Möglichkeiten für Recherche und Fundiertheit enorm bremst.

Daher meine Forderung:
Bezahlt das Feuilleton besser!
Jeder Chor, jedes Ensemble hat eine gute Berichterstattung verdient, und wenn dann ein totaler Unsinn in der Presse steht, ist man ja völlig machtlos. Bezahlt die Kritiker, die Rezensenten, bezahlt die Buchbesprecher und Ausstellungsgeher, die Kulturleute und Kulturschreiber anständig, dann bekommen wir auch in der Provinz und auf dem Lande ein gutes Feuilleton.

P.S. Eine «Nullte» gibt es tatsächlich, aber die ist von Bruckner
    










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