Ich kann
mich nicht unter die eiskalte, die sibirische, die mörderische Dusche am
Beckenrand stellen. Das ist eines der vielen Paradoxa, mit denen ich mein Leben
friste. In 18 Grad kaltes Wasser hineingehen, hineinschwimmen, hineinstürzen?
Kein Problem. 18 Grad kaltes Wasser über mich prasseln lassen? Geht gar nicht.
Also dusche ich im Gartenbad St. Jakob, im «Joggeli» in der Dusche bei den
Garderoben, dort, wo ich auch mein Kästlein habe. Ich beginne lau und pegle
runter zu kalt, ausserdem hat das den Vorteil, dass ich a) meine Badehose
abziehen und b) ein Duschgel benutzen kann, was hygienischer ist, wenn ich
vorher eine Sitzung auf dem Örtchen hatte.
Ich dusche
also dort, mache mich auf den Weg zum hinteren Bad, trödle dabei ein wenig,
weil ich mir noch ein Plakat anschaue, mir überlege, ob der Herr, der auf der
Wiese liegt, nicht eine Badehose 2 Nummern grösser tragen sollte und ob der
Junge, der auf der Seite Ping-Pong spielt wie ich keine Vorhand kann. Prompt werde
ich, als ich ins Becken steigen will, von einer jungen Badmeisterin (ist die
eigentlich schon Bade-meisterin oder eher noch Bade-gesellin?) aufs Rüdeste
angeschnauzt: «Sie müssen duschen!» Ich gebe zur Antwort, dass ich soeben
geduscht habe. «Aber Sie sind trocken! Wieso sind Sie trocken! Sie sind ganz
trocken!» Ja, warum bin ich trocken? Weil bei einer Aussentemperatur von 35,5°
Celsius 120 Sekunden reichen, um die Epidermis in einen Zustand völliger
Trockenheit zu versetzen.
Der junge Herr
sitzt im ICE nach Buxtehude allein in einem 6er-Abteil am Fenster, er sitzt
gegen die Fahrtrichtung und ich frage ihn, ob der Platz gegenüber noch frei
ist. (Was ich Buxtehude mache? Geht Sie gar nix an, seien Sie nicht so
neugierig.) Als der junge Herr bejaht, versuche ich meinen Koffer über seinem
Haupte im Gepäckfach unterzubringen. «Nein», ruft er, «mir ist neulich ein
Koffer auf den Kopf gefallen, bitte nicht da. Nehmen Sie die andere Seite. Wenn
der Zug eine Vollbremsung macht, möchte ich kein Gepäck abbekommen.» Er ist
dermassen bestimmt, dass ich seinen Wünschen folge und meinen Koffer im Fach
ihm gegenüber deponiere. Der Zug fährt an. Wir sind ca. eine halbe Stunde
gefahren, als der Zug abrupt zum Stehen kommt; ob ein Selbstmörder auf den
Schienen stand oder ein Fahrgast die Notbremse gezogen hat, ob Kühe, Kinder, ob
Kaninchen oder Kobolde auf den Gleisen waren oder der Lokiführer einfach Lust
hatte zu bremsen, werden wir nie erfahren. Fakt ist, dass mein Koffer, dem
Gesetz der Trägheit folgend, aus seinem Fach rutscht und dem netten jungen Mann
voll ins Gesicht kracht; und ich kann nicht an mich halten und lache laut los.
Hätten wir meine Variante gewählt, wäre der Koffer gegen die Wand gedrückt worden.
Ich sitze in
Bad Ragaz in einem Café, in das ich mich vor dem einsetzenden Gewitter gerettet
habe. (Was ich Bad Ragaz mache? Geht Sie gar nix an, seien Sie nicht so
neugierig.) Als der erste Blitz einschlägt, beginne ich zu zählen: «Eins, zwei,
drei, vier…» Bei zwölf kommt der Donner. Die ungefähr fünfzehnjährige Dame am
Nachbartisch hat mich scheinbar zählen gehört und fragt mich, wieso ich das getan habe. "Na ja", sage ich, "jetzt weiss ich, wie weit der Einschlag weg war. Sekunden durch drei gibt die Kilometer." Die Fünfzehnjährige schaut mich mit so grossen Augen an, als hätte ich mich wie die Wesen in MIB als Alien entpuppt, als hätte ich ihr eine 45 Meter lange grün-weiss gestreifte Zunge gezeigt oder meinen Kopf einmal komplett um die eigene Achse gedreht. Als ich beginne zu erklären, wie die Rechnung geht, stellt sich heraus, dass sie überhaupt nicht weiss, dass Blitz und Donner EIN Ereignis sind...
Was lernen die jungen Leute eigentlich in dem komischen Grundschul-Fach, dass sich manchmal "Mensch & Umwelt", manchmal "Mensch & Natur&, manchmal aber auch "Natur & Umwelt", oder sogar "Mensch, Natur & Umwelt" nennt? Das Richtige sicher nicht. Ich weiss, dass sie Römerkastelle bauen, dass sie AKWs besichtigen, dass sie sich mit der Rodung des Regenwaldes und mit der Geschwindigkeit von Orkanen beschäftigen, aber scheinbar lernen sie nicht, dass
a) Haut bei Temperaturen über 30° Celsius relativ schnell trocknet
b) Gegenstände, dem Gesetz der Trägheit zufolge, immer in Fahrtrichtung weiterfahren
c) Blitz und Donner das gleiche Phänomen sind
Und solche Dinge wären doch wichtig. Man könnte dann sogar kleine Transfers machen und darauf kommen, dass auch Turnhosen bei 35° schnell trocknen, der Junge, den ich neulich im Syrenbad in München beobachtete, wie er seinen Shorts fönte (echt wahr!!!), hätte dann einfach auf die Strasse gehen können. Und Jopi, der seinem Kumpel Hopi vom Velo aus etwas zuwirft, würde sich nicht so wundern, dass der Gegenstand 5 Meter vom Freund entfernt landet.
Rettet die Phänomene hiess jene berühmte Arbeit des Didaktikers Wagenschein, in der forderte, von konkreten Sachverhalten auszugehen.
Man kann jedem Bildungspolitiker, der an Lehrplänen arbeitet, diese Schrift immer wieder nur ans Herz legen.
OK, Politiker haben kein Herz, also zwangsweiser Lese-Befehl.
OK, Politiker haben kein Herz, also zwangsweiser Lese-Befehl.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen