«Simplify
your life» – «Beschränke dich auf das Nötigste» – «Ausmisten macht Spass» –
«Die Freiheit des Wenigen» usw. usw,
Unter all
diesen Titeln weibeln Lebensberatungsbücher und Lebensverbesserungskurse für
eine Reduktion, ein Reduzieren, für ein Zurückschrauben und Wenigermachen der
vielen Dinge, die uns umgeben, egal ob Zen oder Franziskanisch, egal ob
norddeutsch-protestantisch oder Fernost: Überall her klingt es: «Simplify!
Brauchst du die vielen Ordner wirklich?», «Beschränkung! Sind 10 Hosen nicht
genug!» «Ausmisten! Hast du die hässlichen Porzellanfiguren jetzt nicht lange
genug angeschaut?» «Freiheit des Wenigen! Einfach weg damit!»
Einfach weg
damit? Leute, Leute, Leute, ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass dies gar
nicht so einfach ist, wie die Propheten des «Less is More», sei es nun Tiki
Küstenmacher oder irgendein Zen-Mönch, uns weismachen wollen. Deshalb beschäftigen
uns die nächsten Wochen ein wenig mit der kompletten Entsorgung eines
Haushaltes.
Und hierin
bin ich Experte geworden, denn ich bin umgezogen und habe mich verkleinert
(oder vergrössert, wenn man die neue Wohnsituation bedenkt, ich habe neu eine
kleine Einzimmerbude direkt UNTER der 4-Zimmer-Wohnung meines Partners).
Gehen wir
also ans Werk, aber bevor wir uns an die Einzelprobleme wie Bücher, Möbel,
Geschirr, Elektro, Textilien und Pflanzen machen, seien zwei Bemerkungen
vorangestellt:
Der Wahn des Neuen
In meiner
Jugend übernahm man extrem viel von anderen Leuten. So hatten z.B. in meinem
Kinderwagen mein Cousin Hans und meine Cousinen Dorothea, Sybille und Rosmarie
gelegen, und dann hatte mein Götti beschlossen, dass «jetzt gut ist». Und meine
Eltern bekamen den Kinderwagen. Nicht, dass wir kein Geld gehabt hätten, wir
hatten weiss der Himmel genug, man empfand es einfach als eine Schande, etwas
wegzuwerfen, was ein anderer braucht. (Dann starb übrigens mein Cousin unter
tragischen Umständen und mein Götti musste zur in seinen Augen unabdingbaren Stammhalterproduktion
doch noch einmal ans Werk, also lagen meine Cousine Ilse und mein Cousin Helmut
wieder in diesem Wagen.)
Heutzutage
kommt jedes Jahr ein neues Modell auf den Markt, jedes Mal noch ergonomischer,
noch kinderfreundlicher, jedes Mal noch bequemer, noch hipper und noch
IQ-steigernder, und keine Familie würde den KIDDIBUM® von Freunden übernehmen,
wenn gerade der neue BUGGYDREAM® auf den Markt gekommen ist.
Die Prokrastination
Das wunderschöne
Wort ist vom lateinischen cras
(=morgen) abgeleitet und bezeichnet ein Phänomen, dem sich die Psychologie erst
in den letzten Jahren richtig angenommen hat, nämlich der Frage: «Warum
erledigen wir Dinge nicht gleich, sondern verschieben sie auf spätere Zeiten?»
Zu diesen Dingen gehören Post aufmachen, Leute anrufen, Tickets bestellen usw.,
usw., usw. Und eben auch die Entsorgung von Müll. So stehen erst einmal drei
Wochen der alte, wüste, kaputte Laptop und das neue Notebook Seite an Seite auf
dem Schreibtisch. Dann packt uns eine kleine Arbeitswut und wir tragen das
Altnotebook in den Keller. Gute Güte! Warum in den Keller, warum nicht zum
Interdiscount®, SATURN®, Media Markt® oder MIGROS electronics®, wo überall
grosse Container für Elektroschrott herumstehen? Man könnte bei diesem Gang
auch noch den alten Drucker, das alte Handy, den alten Handstaubsauger und die
alte Kaffeemaschine mitnehmen, die ebenfalls im Keller herumgammeln. Warum
handeln wir so blöde? Das ist eben die Frage, die sich die Psychologie seit ca.
10 Jahren zum Thema gemacht hat. Auf Antworten sind wir gespannt.
Nun aber
endlich in Medias Res und die einzelnen Punkte betrachtet:
Bücher
Wenn wir
unsere Bücherregale betrachten, dann kann man die dort gestapelten Werke in 6 Gruppen
unterteilen:
a)
Bücher, die wir einmal gelesen haben und immer
wieder lesen wollen
b)
Bücher, die wir noch nicht gelesen haben, aber
sicher irgendwann lesen werden
c)
Bücher, die wir nicht gelesen haben, zwei Mal in
Angriff nahmen, aber nie lesen werden
(z. B. Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften)
d)
Bücher, die wir einmal gelesen haben, aber
sicher nicht nochmal lesen wollen
(z. B. die Romane von Tommy Jaud, VOLLIDIOT etc.)
e)
Bücher, die veraltet sind (wie z. B. Mallorca für Insider aus dem Jahr 2010)
f)
Bücher, die nicht hätten geschrieben werden
dürfen und die niemand lesen sollte
(der gesamte Coelho, der gesamte M. Walser, der gesamte
Kishon usw.)
a) und b)
bleiben sicher in Ihrem Besitz, e) und f) gehören in den Papiermüll. Wohin aber
mit c) und d)? Antiquariat? Fehlanzeige. Der Antiquar wird Ihre 300 Bücher mit
sicherem Blick überfliegen und den ganzen Mist nur mitnehmen, wenn er
mindestens 20 Bände entdeckt, die ihm noch fehlen und die er verkaufen kann.
Der Mann ohne Eigenschaften gehört
nicht dazu, den hat er schon fünfmal und kriegt ihn nicht los. Brockenstuben?
Nehmen keine Bücher mehr. Bücher-gratis-mitnehmen-Schränke? Da bekommen Sie in
einen noch 25 Romane rein, dann sind die voll. Flohmarkt? Vergessen Sie’s.
Ihnen bleibt
also nicht anderes übrig, als die 300 Bücher sorgsam in Pappkartons zu
verpacken und sie auf die Strasse zu stellen, damit die Papiermüllentsorgung
sie holt. Kostet Sie nur zwei Stunden Arbeit, aber «Simplify Your Life» ist
eben nicht so simpel, wie wir denken.
Im nächsten
Post geht es dann um Möbel, Geschirr und Pflanzen.
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