Es gibt ja
immer weniger Mysterien auf der Welt. Der Gencode ist entschlüsselt, die
Schwarzen Löcher sind gefunden, die Quarks sind benannt und die Erde
kartographiert; wir wissen, was 2 Sekunden nach dem Urknall passierte und
welche Blutgruppe Julius Cäsar hatte, wir können das Herz eines Oktopusses in
einen Pinguin setzen und zum Jupiter oder zum Saturn fliegen. Die Anzahl der
wirklichen Mysterien, der ungeklärten, unklaren, der nebulösen und schwammigen
Sachen, die Summe der Dinge, die uns noch spanisch vorkommen, tendiert gegen
Null. Wo gibt es noch Böhmische Dörfer, wo gibt es noch Rätsel, wo gibt es noch
Katzen im Sack? Kurz: Was ist noch ein Mysterium?
Eines der
wenigen noch bleibenden Mysterien ist der Preis eines Doppelten Espresso. Ich
trinke, wenn ich Espresso trinke, diesen gerne doppelt, ein simpler ist zwar
herrlich stark, aber wenig, ein Kaffee ist mehr Flüssigkeit, aber schwach, hier
bietet der Espresso Doppio eine wunderbare Alternative. Der Preis eines solchen
liegt stets zwischen zwei Zahlen: Zahl 1 ist der Preis eines Einfachen, Zahl 2
ist der doppelte Preis.
Wenn man
davon ausgeht, dass die Flüssigkeit «Kaffee», sprich Wasser, in dem sich ein
paar Böhnchen aufgelöst haben, sowieso nix kostet und die entscheidenden
Faktoren das Geschirr und dessen Abwaschen, das Servieren, Ausschenken, dass
die entscheidende Sache eben nicht der Espresso selber ist, dann muss der
Doppelte Espresso das gleiche kosten wie der einfache. Geht man vom Gegenteil
aus, sagt sich also, dass der Kunde ja die ZWIEFACHE Portion bekommt und für
die ZWIEFACHE Menge eben auch eine ZWIEFACHE Menge Geld hinblättern muss, dann
ist der Preis genau der ZWIEFACHE.
Meistens
liegt der Preis aber irgendwo dazwischen, es gilt also, wenn wir den Preis
eines einfachen als X und den Preis eines doppelten als Y setzen, die
Gleichung:
X ≤ Y ≤ 2X
So weit, so
gut.
Nun kommen
aber die wirklich mysteriösen Dinge.
Da der Preis
sich irgendwo in dem Land zwischen Einfach- und Doppelsumme bewegt, gibt es für
den Servierangestellten sehr viele Möglichkeiten der Bepreisung. Er könnte bei
einem Einfachespressopreis von 3, 20.- dem Gast eben diese Dreizwanzig, aber
auch Dreidreissig, Dreivierzig, Dreifünfzig usw. bis zu einem Preis von 6, 40.-
abverlangen. Daher wäre es äusserst sinnvoll, den Preis für einen Doppelten
Espresso in die Kassen einzuprogrammieren.
Genau das
geschieht eben nicht, und da der DE (wir kürzen jetzt ab) so selten verlangt
wird, blühen die Fantasiepreise wie einst das Paradies.
An einem
verlängerten Wochenende zahlte ich in einem Stuttgarter Freibad die folgenden
Preise:
Freitag, 17.00
Kiosk Kasse 1 2 Euro 10
Samstag,
15.00 Restaurant Kasse 1 2 Euro 50
Sonntag,
16.00 Kiosk Kasse 2 1 Euro 70
Montag, 9.00 Restaurant Kasse 2 3 Euro 40
(Kiosk und
Restaurant werden übrigens von der derselben Firma betrieben.)
Wenn wir ein
wenig logisch denken wollen: Bei 1,70 muss es sich um X handeln, bei 3,40 also
um 2X, die beiden anderen Preise versuchen, sich irgendwo vernünftig in der
Mitte zu bewegen.
Sie können
sich vielleicht vorstellen, welch reizende Dialoge es an den verschiedenen Kassen
gab:
Samstag:
«Einen Doppelten Espresso bitte.» «Macht 2, 50.-« «Oh, gestern waren es 2,10.-«
«Unmöglich, der doppelte kostet immer 2,50.-«
Sonntag:
«Einen Doppelten Espresso bitte.» «Macht 1,70.-« «Oh, Sie werden billiger;
gestern waren es 2,10.-« «Unmöglich, der doppelte kostet immer 1,70.-«
Montag:
«Einen Doppelten Espresso bitte.» «Macht 3,40.-« «Jetzt wird es mir aber
wirklich zu bunt, das ist jetzt der vierte Preis, der hier verlangt wird. Am
Freitag Zweizehn, am Samstag Zweifünfzig, gestern Einssiebzig und heute
Dreivierzig???!!!» «Völliger Unsinn. Der Espresso Doppio kostet an allen Kassen
und zu allen Zeiten 3,40.-«
Warum, warum
und zum dritten Mal warum kann man den Preis für einen DE nicht einfach in die
Kassen programmieren? Warum darf jeder Angestellte einen Fantasiepreis
verlangen und dann auch noch behaupten, das wäre nie anders? Warum macht das
Ganze nicht einheitlich und einfach? Es kommt ja im Freibad noch das Folgende
dazu: Wenn ich einen Getränkepreis weiss – oder glaube zu wissen – nehme ich
meist das Geld abgezählt aus dem Kästchen, um nach dem Kaffeegenuss gleich auf
mein Badetuch zurückkehren zu können. Das macht dann Spass, wenn man am Samstag
mit abgezählten 2,10.- dasteht und der Mist kostet auf einmal 2,50.- und man
darf noch einmal zum Locker.
Es gibt ja
immer weniger Mysterien auf der Welt. Der Gencode ist entschlüsselt, die
Schwarzen Löcher und die Quarks sind benannt und der Globus kartographiert; wir
wissen, was 13 Sekunden vor dem Urknall passierte und welchen Rhesusfaktor
Alexander der Grosse hatte, wir können das Herz eines Krokodils in einen
Eisbären setzen und zum Saturn fliegen. Die Anzahl der wirklichen Mysterien tendiert
gegen Null.
Eines der
wenigen noch bleibenden Mysterien ist der Preis eines Doppelten Espresso.
So, wir machen mal wieder eine Pause, am 14. 9. geht es weiter, einer der Gründe ist, dass ich eine Weile in Skandinavien bin, und da hat es nur Fjorde und Rentiere, aber kein Internet.
Fangen Sie etwas Sinnvolles mit der blogfreien Zeit an!
Ihr
Rolf Herter