Dienstag, 13. März 2018

Mike, der Promoter (4 und letztes): Influencer?



«Influencer», hüstelt Mike ins Telefon, «Influencer.» Da er auch nach Eukalyptus und Menthol, sowie nach Ricola riecht (meine bölloide Telefongeruchswahrnehmungsfähigkeit wurde schon erwähnt), sage ich zu ihm: «Schätzchen, wenn du die Grippe hast, dann lege dich ins Bett und kuriere dich aus.» «Wieso denn die Grippe?» «Na, du riechst nach Kräutern; und ausserdem hast du ja Influenza gesagt.» Mike lacht aus voller Kehle: «Ich habe keineswegs Influenza, sondern Influencer gesagt.» «Was ist denn das?» entfährt es mir. Mike lacht, hustet, lacht, hustet, lacht und sagt dann: «Gehe mal ins Netz und gucke dir das an, und dann meldest du dich wieder.

Was ich dann auch mache.

Ein Influencer oder eine Influencerin ist ein Mensch, der wahnsinnig viel im Internet schreibt und postet, damit Einfluss (daher der Name) auf andere gewinnt und somit viele, viele, viele Follower hat. Die Influencerei tobt sich vor allem in drei Bereichen aus:
Mode
Travel (man könnte auch das gute alte deutsche Wort «Reise» verwenden, aber das ist eben nicht hip)
Food (man könnte auch «Essen» schreiben, aber das ist nicht cool, siehe oben)

Jetzt werde ich ein wenig stutzig: Einfluss? Ist das etwas Tolles? Cooles? Positives?
Einer der grössten Influencer war sicher jener Geheimrat in Weimar, der uns mit seinem unlesbaren und unaufführbaren Drama einen Schinken hinterlassen hat, den sich zwar niemand komplett zu Gemüte führen kann, aber allen als ein Fundus für Zitate, Redensarten und Sprichwörtern fungiert, ohne zu wissen, in welche Mottenkiste er da greift, sagt doch jeder mindestens einmal pro Woche Sprüche wie des Pudels Kern. Viel mehr Influence als der Faust hatte aber sicher der Werther. Der Briefroman schlug 1774 wie eine Bombe ein und löste einen Werther-Tsunami von apokalyptischen Ausmassen aus. Man kleidete sich wie Werther, man sprach wie Werther, man benahm sich wie Werther. Wie Werther wühlte man in seinen Gefühlen oder suhlte sich darin, man trank die gleichen Getränke und ass die gleichen Speisen; die 100%igen Wertherianer kauften sich Pistolen und erschossen sich – wie der Held des Buches.
Und hier sehen wir das grosse Problem: Einfluss ist nicht per se etwas Gutes.
Es gibt guten Einfluss.
Und es gibt schlechten Einfluss.

Es zeigt die heikle Seite unserer Mediengesellschaft auf, dass wir Influence und Influencer sofort positiv belegen. Eine Modebloggerin mit 64538764 Followern kann ihre Jüngerschaft zu stilvoller und ökologischer Kleidung anregen, sie kann sie aber auch in Richtung «Pelz geht wieder» treiben. Ein Travelblogger kann seine 85645308 Leser mit den interessantesten Orten bekannt machen, reisen allerdings alle 85645308 in das «idyllische Goggia-Tal, das unter Touristen kaum bekannt ist und lauschige Wäldchen und heimliche Quellen bietet», dann ist das Goggia-Tal eben nicht mehr idyllisch, lauschig und heimlich, sondern eine Müllhalde. Und was kann eine Foodinfluencerin nicht alles anrichten – man verzeihe das blöde Wortspiel. Wenn 453038464 Menschen lesen, dass vegan nicht mehr cool ist und der Mensch einfach Fleisch, viel Fleisch braucht, hat das ein ökologisches Desaster zur Folge.

Nein, mich schreckt der Begriff des Influencers und ich will auch gar keiner sein.
Abgesehen davon: Was soll ich denn empfehlen? Und ist nicht der Ratschlag, die Empfehlung, ist nicht der Tipp, die Anregung der Satire und Glosse diametral entgegengesetzt? Man weiss ja nie so genau, ob der Schreiber es ernst meint oder nicht. Anders formuliert: Viele meiner Tipps, Ratschläge, viele meiner Anregungen und Empfehlungen sind ironisch gedacht. Und das widerspricht dem Prinzip des Influencierens.

Langsam komme ich zu der Erkenntnis, dass Mike ein Idiot ist. Ich rufe ihn also an und kündige die Zusammenarbeit. Seine Reaktion allerdings erstaunt mich: Er fängt an zu weinen. Es stellt sich heraus, dass ich sein einziger Kunde bin – beziehungsweise war. Seine Promotion-Firma lief also nicht so gut, wie er mich immer glauben machte.
Vielleicht sollte er sich einen Promoter suchen.

Aber wer promotet Promoter? Zu diesem grundsätzlichen Dilemma ein anderes Mal mehr.



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