«Influencer»,
hüstelt Mike ins Telefon, «Influencer.» Da er auch nach Eukalyptus und Menthol,
sowie nach Ricola riecht (meine bölloide Telefongeruchswahrnehmungsfähigkeit
wurde schon erwähnt), sage ich zu ihm: «Schätzchen, wenn du die Grippe hast,
dann lege dich ins Bett und kuriere dich aus.» «Wieso denn die Grippe?» «Na, du
riechst nach Kräutern; und ausserdem hast du ja Influenza gesagt.» Mike lacht aus voller Kehle: «Ich habe
keineswegs Influenza, sondern Influencer gesagt.» «Was ist denn das?»
entfährt es mir. Mike lacht, hustet, lacht, hustet, lacht und sagt dann: «Gehe
mal ins Netz und gucke dir das an, und dann meldest du dich wieder.
Was ich dann
auch mache.
Ein
Influencer oder eine Influencerin ist ein Mensch, der wahnsinnig viel im
Internet schreibt und postet, damit Einfluss (daher der Name) auf andere
gewinnt und somit viele, viele, viele Follower hat. Die Influencerei tobt sich
vor allem in drei Bereichen aus:
Mode
Travel (man
könnte auch das gute alte deutsche Wort «Reise» verwenden, aber das ist eben
nicht hip)
Food (man
könnte auch «Essen» schreiben, aber das ist nicht cool, siehe oben)
Jetzt werde
ich ein wenig stutzig: Einfluss? Ist das etwas Tolles? Cooles? Positives?
Einer der
grössten Influencer war sicher jener Geheimrat in Weimar, der uns mit seinem
unlesbaren und unaufführbaren Drama einen Schinken hinterlassen hat, den sich
zwar niemand komplett zu Gemüte führen kann, aber allen als ein Fundus für
Zitate, Redensarten und Sprichwörtern fungiert, ohne zu wissen, in welche
Mottenkiste er da greift, sagt doch jeder mindestens einmal pro Woche Sprüche
wie des Pudels Kern. Viel mehr
Influence als der Faust hatte aber
sicher der Werther. Der Briefroman
schlug 1774 wie eine Bombe ein und löste einen Werther-Tsunami von
apokalyptischen Ausmassen aus. Man kleidete sich wie Werther, man sprach wie
Werther, man benahm sich wie Werther. Wie Werther wühlte man in seinen Gefühlen
oder suhlte sich darin, man trank die gleichen Getränke und ass die gleichen
Speisen; die 100%igen Wertherianer kauften sich Pistolen und erschossen sich –
wie der Held des Buches.
Und hier
sehen wir das grosse Problem: Einfluss ist nicht per se etwas Gutes.
Es gibt
guten Einfluss.
Und es gibt
schlechten Einfluss.
Es zeigt die
heikle Seite unserer Mediengesellschaft auf, dass wir Influence und Influencer
sofort positiv belegen. Eine Modebloggerin mit 64538764 Followern kann ihre
Jüngerschaft zu stilvoller und ökologischer Kleidung anregen, sie kann sie aber
auch in Richtung «Pelz geht wieder» treiben. Ein Travelblogger kann seine
85645308 Leser mit den interessantesten Orten bekannt machen, reisen allerdings
alle 85645308 in das «idyllische Goggia-Tal, das unter Touristen kaum bekannt
ist und lauschige Wäldchen und heimliche Quellen bietet», dann ist das
Goggia-Tal eben nicht mehr idyllisch, lauschig und heimlich, sondern eine
Müllhalde. Und was kann eine Foodinfluencerin nicht alles anrichten – man verzeihe
das blöde Wortspiel. Wenn 453038464 Menschen lesen, dass vegan nicht mehr cool
ist und der Mensch einfach Fleisch, viel Fleisch braucht, hat das ein
ökologisches Desaster zur Folge.
Nein, mich
schreckt der Begriff des Influencers und ich will auch gar keiner sein.
Abgesehen
davon: Was soll ich denn empfehlen? Und ist nicht der Ratschlag, die
Empfehlung, ist nicht der Tipp, die Anregung der Satire und Glosse diametral
entgegengesetzt? Man weiss ja nie so genau, ob der Schreiber es ernst meint
oder nicht. Anders formuliert: Viele meiner Tipps, Ratschläge, viele meiner
Anregungen und Empfehlungen sind ironisch gedacht. Und das widerspricht dem
Prinzip des Influencierens.
Langsam
komme ich zu der Erkenntnis, dass Mike ein Idiot ist. Ich rufe ihn also an und
kündige die Zusammenarbeit. Seine Reaktion allerdings erstaunt mich: Er fängt
an zu weinen. Es stellt sich heraus, dass ich sein einziger Kunde bin –
beziehungsweise war. Seine Promotion-Firma lief also nicht so gut, wie er mich
immer glauben machte.
Vielleicht
sollte er sich einen Promoter suchen.
Aber wer
promotet Promoter? Zu diesem grundsätzlichen Dilemma ein anderes Mal mehr.
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