Nach der
zwar abgeschmetterten, aber doch Diskussionen ausgelöst habenden
No-Billag-Iniative geht auch in den deutschen Rundfunkanstalten ein Gespenst
um, das Gespenst des Sparens. Und so haben viele Intendanten, viele Chefs
einmal in die Bücher geschaut, haben Produktionsmenge, Zeitaufwand, aber auch
Einschaltquoten verglichen und beschlossen, sich von angeblich extrem
ineffektiven Formaten und Sendungen zu trennen.
Im SFH, dem
Sender Freies Hohenzollern, soll es Hans Pestsark treffen, dem Redakteur für
das Hochintellektuelle. Pestsark produziert neben seinen Redaktions-,
Lektorierungs- und Verwaltungsaufgaben einmal im Monat eine Sendung unter dem
Titel «Geist und Kunst». Eine solche Stunde mit ihm ist stets ein Gang durch
einen üppigen geisteswissenschaftlichen Garten, ein Spaziergang durch die
Landschaften der Kulturgeschichte.
Natürlich
sind Sendungen wie Die Rückkehr des
Dekonstruktivismus im französischen Roman des 21. Jahrhunderts oder Klassifikation und Deklassifikation im Zeitalter
der postsymbolistischen Malerei nichts für Leute, die ihren Verstand in der
Schublade aufbewahren. Mit anderen Worten: Man muss schon EIN WENIG MITDENKEN,
um die Stunde mit Pestsark voll geniessen zu können. Man sollte natürlich
seinen Wittgenstein, seinen Hegel und Kant, man sollte seinen Habermas und
Horkheimer gelesen haben, man sollte seinen Sartre und Foucault, seinen Adorno
und Heidegger im Kopfe griffbereit haben, aber welcher einigermassen gebildete
Mensch hat das nicht?
Ebenfalls kann
man natürlich während Das Absolute und
das Nicht-Absolute im Frühwerk von Thomas von Aquin oder Richard Wagner und die postvormärzische
Diversität nichts anderes tun als zuzuhören, also nicht etwa abwaschen,
bügeln, nicht etwa aufräumen, Blumen giessen oder (der Himmel bewahre!)
Patiencen legen. Ein wenig Aufmerksamkeit braucht das eben.
Man sollte
auch zum Abendessen keinen Rotwein und hinterher keinen Grappa getrunken haben,
man sollte den Feierabendwhiskey genauso weglassen wie einen Spätapéro, denn
Sendungen wie Die Filme R. W. Fassbinders
als Antwort auf die Teilautonomie-Theorie Camus’ benötigen auch an ihrem
Sendplatz 23.00 – 23.55 noch die volle Konzentration.
Aber ist das
eine Schwierigkeit? Kann man das Bügeln, Blumengiessen, kann man das Abwaschen,
das Aufräumen, kann man die (in aller drei Teufels Namen verdammten!) Patiencen
nicht auf den nächsten Tag verschieben? Kann man nicht einmal im Monat auf
Wein, Bier, Sekt und Schnaps verzichten, wenn solch wundervolle Programme
kommen?
Nun also
will die Intendanz des SFH diese wunderprächtigen Sendungen absetzen und Hans
Pestsark in den Vorruhestand schicken; er wird im Oktober 63.
Die
Argumente, die die Chefetage vorbringt, sind fadenscheinig. Man wirft Pestsark
vor, er brauche zu viel Zeit für Sendungen, die von zu wenigen gehört werden,
nebenbei beschuldigt man ihn auch noch, er verplempere seine Bürozeit mit dem
Verfassen eigener Lyrik, während seine freien Mitarbeiter die eigentliche
Arbeit, nämlich das Erstellen der Features und der Rezensionen für das Nachmittagsprogramm,
erledigen.
Gut, der
Hochintellektualitätsredakteur braucht schon seine 80 Stunden für Skript und
Produktion. Aber wird hier wirklich erwartet, dass man sich eine Sache wie Der Garten von Giverny als Beginn der
hydrologischen Formatierung oder Monochromität
als klassifikatorisches Grundphänomen postmoderner Strukturen einfach so
aus dem Ärmel schüttelt? Und dass bei einer gewissenhaften Vorbereitung auch
mehrtätige Reisen in die Anlage Monets oder ins ehemalige Atelier Yves Kleins
sein müssen, leuchtet doch auch jedem ein, oder?
Gut, die
Zuhörerzahlen liegen im Vergleich zu einer Schlagerparade im Dritten Programm
im Nano- und im Vergleich zu einer Stunde mit aktueller Literatur im
Millibereich. Seine wohl beste Sendung der letzten Jahre, Synchronität und Asynchronität als antidialektisches Mittel im Spätwerk
Stockhausens, wurde von 15 Leuten gehört, allesamt persönliche Bekannte von
ihm. Aber diese reden noch heute über diesen Essay und haben extrem wichtige
Erkenntnisse aus der mitternächtlichen Stunde mitgenommen.
Gut, Hans
Pestsark nutzt Bürostunden zum Verfassen seiner exzellenten Anagramm-Gedichte
(die er dann unter einem Anagramm-Pseudonym veröffentlicht), aber sein Gehirn
denkt doch auch während der Zeit, in der er zuhause
zu hau es zu verschiebt noch weiter
an Wittgenstein und Habermas, oder? Und dass die Freien die ganze Fron leisten?
Lächerlich! Was würden Sabrina und Holger, was würden Bettina und Arno, Felix
und Regula denn zustande bringen, wenn er nicht als Spiritus Rektor über ihnen
schweben würde? Da ist – um es mit My Fair Lady zu sagen – kein Wort in ihrem
Mund und kein Gedanke in ihrem Kopf, den er nicht hineingelegt hat.
Alles in
allem: Hier soll ein intelligentes Format zugunsten von Seichtheit und Dummheit
aufgegeben werden und man muss sich dagegen wehren, denn: Wehret den Anfängen!
Wenn Adorno einmal aus den Sendern verschwunden ist, dann ist es bald auch
Mozart und wir haben nur noch Karl Moik.
Schreiben
Sie bitte deshalb – wenn Sie möchten – an intendanz@s-f-h.de
und bittet Sie um den Erhalt der hochintellektuellen Formate!
P.S. Wenn
Sie denken, ich erfinde alles: Den Anagramm-Redakteur gibt es wirklich, Hans
Pestsark ist ein Anagramm seines Namens.
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