Freitag, 16. März 2018

Nach No-Billag: Rettet die hochintellektuellen Formate!



Nach der zwar abgeschmetterten, aber doch Diskussionen ausgelöst habenden No-Billag-Iniative geht auch in den deutschen Rundfunkanstalten ein Gespenst um, das Gespenst des Sparens. Und so haben viele Intendanten, viele Chefs einmal in die Bücher geschaut, haben Produktionsmenge, Zeitaufwand, aber auch Einschaltquoten verglichen und beschlossen, sich von angeblich extrem ineffektiven Formaten und Sendungen zu trennen.

Im SFH, dem Sender Freies Hohenzollern, soll es Hans Pestsark treffen, dem Redakteur für das Hochintellektuelle. Pestsark produziert neben seinen Redaktions-, Lektorierungs- und Verwaltungsaufgaben einmal im Monat eine Sendung unter dem Titel «Geist und Kunst». Eine solche Stunde mit ihm ist stets ein Gang durch einen üppigen geisteswissenschaftlichen Garten, ein Spaziergang durch die Landschaften der Kulturgeschichte.

Natürlich sind Sendungen wie Die Rückkehr des Dekonstruktivismus im französischen Roman des 21. Jahrhunderts oder Klassifikation und Deklassifikation im Zeitalter der postsymbolistischen Malerei nichts für Leute, die ihren Verstand in der Schublade aufbewahren. Mit anderen Worten: Man muss schon EIN WENIG MITDENKEN, um die Stunde mit Pestsark voll geniessen zu können. Man sollte natürlich seinen Wittgenstein, seinen Hegel und Kant, man sollte seinen Habermas und Horkheimer gelesen haben, man sollte seinen Sartre und Foucault, seinen Adorno und Heidegger im Kopfe griffbereit haben, aber welcher einigermassen gebildete Mensch hat das nicht?
Ebenfalls kann man natürlich während Das Absolute und das Nicht-Absolute im Frühwerk von Thomas von Aquin oder Richard Wagner und die postvormärzische Diversität nichts anderes tun als zuzuhören, also nicht etwa abwaschen, bügeln, nicht etwa aufräumen, Blumen giessen oder (der Himmel bewahre!) Patiencen legen. Ein wenig Aufmerksamkeit braucht das eben.
Man sollte auch zum Abendessen keinen Rotwein und hinterher keinen Grappa getrunken haben, man sollte den Feierabendwhiskey genauso weglassen wie einen Spätapéro, denn Sendungen wie Die Filme R. W. Fassbinders als Antwort auf die Teilautonomie-Theorie Camus’ benötigen auch an ihrem Sendplatz 23.00 – 23.55 noch die volle Konzentration.
Aber ist das eine Schwierigkeit? Kann man das Bügeln, Blumengiessen, kann man das Abwaschen, das Aufräumen, kann man die (in aller drei Teufels Namen verdammten!) Patiencen nicht auf den nächsten Tag verschieben? Kann man nicht einmal im Monat auf Wein, Bier, Sekt und Schnaps verzichten, wenn solch wundervolle Programme kommen?

Nun also will die Intendanz des SFH diese wunderprächtigen Sendungen absetzen und Hans Pestsark in den Vorruhestand schicken; er wird im Oktober 63.
Die Argumente, die die Chefetage vorbringt, sind fadenscheinig. Man wirft Pestsark vor, er brauche zu viel Zeit für Sendungen, die von zu wenigen gehört werden, nebenbei beschuldigt man ihn auch noch, er verplempere seine Bürozeit mit dem Verfassen eigener Lyrik, während seine freien Mitarbeiter die eigentliche Arbeit, nämlich das Erstellen der Features und der Rezensionen für das Nachmittagsprogramm, erledigen.
Gut, der Hochintellektualitätsredakteur braucht schon seine 80 Stunden für Skript und Produktion. Aber wird hier wirklich erwartet, dass man sich eine Sache wie Der Garten von Giverny als Beginn der hydrologischen Formatierung oder Monochromität als klassifikatorisches Grundphänomen postmoderner Strukturen einfach so aus dem Ärmel schüttelt? Und dass bei einer gewissenhaften Vorbereitung auch mehrtätige Reisen in die Anlage Monets oder ins ehemalige Atelier Yves Kleins sein müssen, leuchtet doch auch jedem ein, oder?
Gut, die Zuhörerzahlen liegen im Vergleich zu einer Schlagerparade im Dritten Programm im Nano- und im Vergleich zu einer Stunde mit aktueller Literatur im Millibereich. Seine wohl beste Sendung der letzten Jahre, Synchronität und Asynchronität als antidialektisches Mittel im Spätwerk Stockhausens, wurde von 15 Leuten gehört, allesamt persönliche Bekannte von ihm. Aber diese reden noch heute über diesen Essay und haben extrem wichtige Erkenntnisse aus der mitternächtlichen Stunde mitgenommen.
Gut, Hans Pestsark nutzt Bürostunden zum Verfassen seiner exzellenten Anagramm-Gedichte (die er dann unter einem Anagramm-Pseudonym veröffentlicht), aber sein Gehirn denkt doch auch während der Zeit, in der er zuhause zu hau es zu verschiebt noch weiter an Wittgenstein und Habermas, oder? Und dass die Freien die ganze Fron leisten? Lächerlich! Was würden Sabrina und Holger, was würden Bettina und Arno, Felix und Regula denn zustande bringen, wenn er nicht als Spiritus Rektor über ihnen schweben würde? Da ist – um es mit My Fair Lady zu sagen – kein Wort in ihrem Mund und kein Gedanke in ihrem Kopf, den er nicht hineingelegt hat.

Alles in allem: Hier soll ein intelligentes Format zugunsten von Seichtheit und Dummheit aufgegeben werden und man muss sich dagegen wehren, denn: Wehret den Anfängen! Wenn Adorno einmal aus den Sendern verschwunden ist, dann ist es bald auch Mozart und wir haben nur noch Karl Moik.
Schreiben Sie bitte deshalb – wenn Sie möchten – an intendanz@s-f-h.de und bittet Sie um den Erhalt der hochintellektuellen Formate!

P.S. Wenn Sie denken, ich erfinde alles: Den Anagramm-Redakteur gibt es wirklich, Hans Pestsark ist ein Anagramm seines Namens.

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