Lieber 13.32 ab Olten-Kellner
ich kenne
deinen Namen nicht, ich will ihn auch gar nicht kennen, für mich bist du der 13.32 ab Olten-Kellner und wirst auch
immer der 13.32 ab Olten-Kellner
bleiben.
Ich schreibe
dir heute, weil ich zu schüchtern bin, live und vor allen Leuten einen Aufstand
zu machen, ich aber doch ein paar Dinge loswerden muss.
Dir ist
sicher aufgefallen, dass ich dir das Geld für meinen Espresso Doppio immer
passend auf das Tischtuch lege, und zwar die exakte Summe, fünf Franken
siebzig, einen Fünfliber, eine 50 Rappen-Münze und eine 20 Rappen-Münze; und du
hast dir wahrscheinlich deine Gedanken gemacht, warum das so ist. Und jetzt
muss ich dir leider sagen, dass deine beiden Erklärungsmodelle für dieses Verhalten
falsch sind.
Du hast gedacht,
ich wüsste vielleicht nicht, dass normale Menschen die Summe von 5,70.- auf
sechs Franken aufrunden, gell? Doch, ich weiss das, ich tue das auch sonst
immer.
Oder du
hältst mich für einen hoffnungslosen Geizhals.
Auch das bin
ich nicht, ich bin spendabel und grosszügig und meine Trinkgelder bewegen sich
sonst eher im oberen Bereich.
Lieber 13.32 ab Olten-Kellner, du bekommst die
exakte Summe von 5.70.-, weil du ein mieser Kellner bist, das ist die ganze und
schlichte Wahrheit.
Jedes Mal,
wenn ich mich gerade hingesetzt habe, fegst du von Tisch zu Tisch, um die
Franken-Speisekarten einzusammeln und die Euro-Speisekarten hinzulegen. (Das
hätte auch noch kurz vor Basel Zeit, aber das ist eine andere Geschichte.) Wenn
du nun bei mir bist, greifst du energisch über mich drüber, stösst ein
«Tschschschschschuldigungggg» hervor und wechselst die Karten aus, so als ob da
niemand sässe. Dann bist du sofort wieder weggefegt, ohne die geringste Chance
bei dir den Wunsch nach einem Doppelten Espresso deponiert haben zu können.
Als nächstes
gehst du zu irgendeiner Person in der Nähe und legst dieser die Rechnung hin,
wie um mir zu signalisieren: «Bursche, komm ja nicht auf die abstruse Idee,
noch eine Bestellung aufgeben zu wollen, ich bin schon am Abkassieren.» Und ich
muss etwas tun, was ich sehr ungern mache, ich muss dir, bevor du wieder in
deine Küche rennen kannst, den Weg versperren und meinen Wunsch nach einem
Espresso Doppio formulieren.
Jetzt
schaust du mich jedes Mal mit einem Blick an, der mir zeigen soll, ich hätte
gerade einen sehr obszönen, sehr widerlichen und sehr gemeinen Wunsch
geäussert. So, als hätte ich etwas verlangt, was man von anständigen Menschen
nicht fordert, als hätte ich dich gefragt, ob ich dich in deinen A… f… darf
oder etwas Ähnliches.
Aber ich
habe gewonnen.
Ich bekomme
mein Heissgetränk und du später deinen abgezählten Betrag, fünf Franken
siebzig, einen Fünfliber, eine 50 Rappen-Münze und eine 20 Rappen-Münze.
Lieber 13.32 ab Olten-Kellner
Weisst du
aber, was das wirklich Schlimme ist?
Du kommst
aus dem gleichen Land wie ich. Du bist ein Deutscher, zwar aus deutlich
nördlicheren Breiten wie ich selbst, du bist eindeutig über der Maingrenze,
über dem Weisswust-Äquator zuhause, aber wir beide sind Teutonen, Urenkel
Barbarossas und Kinder von Angie.
Deutsche,
die in der Eidgenossenschaft leben, müssen stets gegen ein Klischee ankämpfen,
das Klischee vom unfreundlichen, ruppigen, vom schlecht gelaunten und
miesäpfligen Deutschen, gegen das Klischee, dass Deutsche eben nicht im Service
oder in der Dienstleistung arbeiten sollten.
Du bist ein
KE.
Ein
Klischee-Erfüller. Und das ist etwas ganz, ganz Schlimmes.
Ein KE ist
ein Pole, der Autos stiehlt.
ein Ire, der
literweise Alkohol säuft
ein
Holländer, der kifft
ein Syrer,
der die Meinung vertritt, dass alle, die nicht an Allah glauben, abgeschlachtet
gehören
ein
Italiener, der unorganisiert und schlampig arbeitet und seine Wohnung nicht
putzt
KEs machen
jahrelange Überzeugungsarbeit zunichte: Wenn wir gerade kapiert haben, dass
nicht alle Polen Autos klauen dann stiehlt Pjotr Slakowitsch unseren Mercedes.
Wenn wir gerade gecheckt haben, dass der Islam eigentlich eine vernünftige und
liberale Religion ist, dann stolpern wir über Achmed BinTabuls Hasspredigt.
Und wenn wir
gerade die Meinung entwickelt haben, dass Deutsche sehr nett und charmant sein
können…
Dann…
Ja dann
sitzen wir im IC nach Basel und werden von dir, dem 13.32 ab Olten-Kellner bedient.
Deshalb
wirst du solange deine abgezählten Münzen, 5 Franken, 50 Rappen, 20 Rappen
bekommen, bist du deine Speisekarten erst in Muttenz auswechselst, oder wenn es
schon sein muss, zumindest ein «Guten Tag, bin gleich für Sie da» sprichst, bis
du erst mich bedienst und dann die Nachbarin abkassierst, bis du mir meinen
Doppio Espresso VOR Liestal bringst, kurz, bis du mich wie einen GAST
behandelst.
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