Freitag, 23. März 2018

Lieber Kellner im 13.32 ab Olten


Lieber 13.32 ab Olten-Kellner

ich kenne deinen Namen nicht, ich will ihn auch gar nicht kennen, für mich bist du der 13.32 ab Olten-Kellner und wirst auch immer der 13.32 ab Olten-Kellner bleiben.
Ich schreibe dir heute, weil ich zu schüchtern bin, live und vor allen Leuten einen Aufstand zu machen, ich aber doch ein paar Dinge loswerden muss.

Dir ist sicher aufgefallen, dass ich dir das Geld für meinen Espresso Doppio immer passend auf das Tischtuch lege, und zwar die exakte Summe, fünf Franken siebzig, einen Fünfliber, eine 50 Rappen-Münze und eine 20 Rappen-Münze; und du hast dir wahrscheinlich deine Gedanken gemacht, warum das so ist. Und jetzt muss ich dir leider sagen, dass deine beiden Erklärungsmodelle für dieses Verhalten falsch sind.
Du hast gedacht, ich wüsste vielleicht nicht, dass normale Menschen die Summe von 5,70.- auf sechs Franken aufrunden, gell? Doch, ich weiss das, ich tue das auch sonst immer.
Oder du hältst mich für einen hoffnungslosen Geizhals.
Auch das bin ich nicht, ich bin spendabel und grosszügig und meine Trinkgelder bewegen sich sonst eher im oberen Bereich.

Lieber 13.32 ab Olten-Kellner, du bekommst die exakte Summe von 5.70.-, weil du ein mieser Kellner bist, das ist die ganze und schlichte Wahrheit.
Jedes Mal, wenn ich mich gerade hingesetzt habe, fegst du von Tisch zu Tisch, um die Franken-Speisekarten einzusammeln und die Euro-Speisekarten hinzulegen. (Das hätte auch noch kurz vor Basel Zeit, aber das ist eine andere Geschichte.) Wenn du nun bei mir bist, greifst du energisch über mich drüber, stösst ein «Tschschschschschuldigungggg» hervor und wechselst die Karten aus, so als ob da niemand sässe. Dann bist du sofort wieder weggefegt, ohne die geringste Chance bei dir den Wunsch nach einem Doppelten Espresso deponiert haben zu können.
Als nächstes gehst du zu irgendeiner Person in der Nähe und legst dieser die Rechnung hin, wie um mir zu signalisieren: «Bursche, komm ja nicht auf die abstruse Idee, noch eine Bestellung aufgeben zu wollen, ich bin schon am Abkassieren.» Und ich muss etwas tun, was ich sehr ungern mache, ich muss dir, bevor du wieder in deine Küche rennen kannst, den Weg versperren und meinen Wunsch nach einem Espresso Doppio formulieren.
Jetzt schaust du mich jedes Mal mit einem Blick an, der mir zeigen soll, ich hätte gerade einen sehr obszönen, sehr widerlichen und sehr gemeinen Wunsch geäussert. So, als hätte ich etwas verlangt, was man von anständigen Menschen nicht fordert, als hätte ich dich gefragt, ob ich dich in deinen A… f… darf oder etwas Ähnliches.

Aber ich habe gewonnen.
Ich bekomme mein Heissgetränk und du später deinen abgezählten Betrag, fünf Franken siebzig, einen Fünfliber, eine 50 Rappen-Münze und eine 20 Rappen-Münze.

Lieber 13.32 ab Olten-Kellner
Weisst du aber, was das wirklich Schlimme ist?
Du kommst aus dem gleichen Land wie ich. Du bist ein Deutscher, zwar aus deutlich nördlicheren Breiten wie ich selbst, du bist eindeutig über der Maingrenze, über dem Weisswust-Äquator zuhause, aber wir beide sind Teutonen, Urenkel Barbarossas und Kinder von Angie.
Deutsche, die in der Eidgenossenschaft leben, müssen stets gegen ein Klischee ankämpfen, das Klischee vom unfreundlichen, ruppigen, vom schlecht gelaunten und miesäpfligen Deutschen, gegen das Klischee, dass Deutsche eben nicht im Service oder in der Dienstleistung arbeiten sollten.
Du bist ein KE.
Ein Klischee-Erfüller. Und das ist etwas ganz, ganz Schlimmes.  
Ein KE ist ein Pole, der Autos stiehlt.
ein Ire, der literweise Alkohol säuft
ein Holländer, der kifft
ein Syrer, der die Meinung vertritt, dass alle, die nicht an Allah glauben, abgeschlachtet gehören
ein Italiener, der unorganisiert und schlampig arbeitet und seine Wohnung nicht putzt

KEs machen jahrelange Überzeugungsarbeit zunichte: Wenn wir gerade kapiert haben, dass nicht alle Polen Autos klauen dann stiehlt Pjotr Slakowitsch unseren Mercedes. Wenn wir gerade gecheckt haben, dass der Islam eigentlich eine vernünftige und liberale Religion ist, dann stolpern wir über Achmed BinTabuls Hasspredigt.
Und wenn wir gerade die Meinung entwickelt haben, dass Deutsche sehr nett und charmant sein können…
Dann…
Ja dann sitzen wir im IC nach Basel und werden von dir, dem 13.32 ab Olten-Kellner bedient.

Deshalb wirst du solange deine abgezählten Münzen, 5 Franken, 50 Rappen, 20 Rappen bekommen, bist du deine Speisekarten erst in Muttenz auswechselst, oder wenn es schon sein muss, zumindest ein «Guten Tag, bin gleich für Sie da» sprichst, bis du erst mich bedienst und dann die Nachbarin abkassierst, bis du mir meinen Doppio Espresso VOR Liestal bringst, kurz, bis du mich wie einen GAST behandelst.

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