Dienstag, 19. Dezember 2017

Das schlimme Wort "wie"



«Wie abgezählt», sagt die Barista im SPECULATIVO am Hauptbahnhof Luzern, als ich ihr vier Franken dreissig für einen Espresso überreiche. «Es IST abgezählt», antworte ich empört, schliesslich habe ich 56 Sekunden lang aus meinem Portemonnaie einen Zweifränkler, einen Einfränkler, ein Zwanzigrappenstück und ein Zehnrappenstück herausgekramt. Die Barista lächelt mich an: «Sagt man doch so…»
Ja.
Das sagt man so.
Aber man sollte aufpassen. Denn WIE ist eines der gefährlichsten, eines der heikelsten Wörter der Deutschen Sprache. WIE sollte nur mit Einsatz aller Gehirnzellen und nach intensivem Grübeln verwendet werden. WIE ist eine Bombe, ein Sprengsatz, WIE ist ein chemischer Stoff, der ziemliche Verheerungen anrichten kann.

Wir sehen zu, Beispiel einen Mann mit offenem Hemd, Lederjacke, mit Goldkettchen und Solariumsbräune und sagen «Wie ein Zuhälter». Dabei stellt sich doch die Frage, wie viele Zuhälter wir kennen und ob diese alle gleich aussehen. Ich bin mit keinem Zuhälter bekannt und kann deshalb partout nicht bestimmen, wie das Aussehen eines Zuhälters ist. Müsste man daher nicht eher davon sprechen, der Mann sehe so aus «wie sich Otto Normalverbraucher einen Zuhälter vorstellt»?
Wenn ein kleines Kind eine alte, verhutzelte Frau in einem weiten Umhang sieht, die zu allem Überfluss auch noch grimmig, verbissen, die verärgert und zitronig aus der Wäsche schaut, dann sagt es vielleicht: «Mami, die sieht aus wie eine Hexe.» – Das habe ich übrigens wirklich einmal gemacht und der Ärger war riesengross. Dabei war ich mit vier Jahren einfach nicht in der Lage zu sagen: «Mama, die Dame vor uns ist natürlich keine Hexe und es gibt auch gar keine, aber wenn sie so grimmig, verbissen, so verärgert und zitronig aus der Wäsche schaut, dann gleicht sie den Hexen, die in meinen Bilderbüchern sind.»
Meine deutschen Leserinnen und Leser kennen sicher den Spruch: «Es sieht aus wie bei Hempels unterm Sofa.» Das sagt man, wenn eine Wohnung nicht ganz den Ansprüchen eines ordentlichen und sauberen Menschen entspricht, Bett nicht gemacht, Geschirr in der Spüle, tanzende Staubflocken und Kleider auf dem Esstisch, Küche mit einem Fettfilm überzogen und überall Zeitungen und Zettel. Dies ist natürlich eine schwere Beleidigung für die 4560 Hempels, die in der Bundesrepublik leben, und man müsste, um den Spruch zu rechtfertigen als Minimum 2281 Hempelsofas, beziehungsweise den Boden darunter kontrolliert haben, um wirklich sagen zu können, dass ein Hempelsofauntergrund eine schlimme Sache ist.

Aber um auf das obige Beispiel zurückzukommen: Auch das Umgekehrte ist blöde: Wir sagen, etwas sei WIE und dabei ist es genau das WIRKLICH.
Ich erinnere mich zum Beispiel an jene Einladung bei Tante Pia, die für ihre Kochkünste berühmt war und nur deshalb keinen Michelin-Stern hatte, weil Michelin keine Privatbewirtungen bewertet, und in deren Verlauf der Verlobte meiner Cousine über den Kartoffelstock (für die Deutschen: Kartoffelbrei) sagte, er sei «wie selbstgemacht». Oh schreckliches, oh furchtbares, oh schlimmes WIE! Tante Pia hatte noch nie, weder für Stock, noch für Suppe, auch nicht für Creme oder Kuchen, nicht für Sauce oder Guss ein Fertigprodukt verwendet; der Gute ward verstossen, die Verlobung gelöst und die Hochzeit abgesagt, und das alles nur wegen eines kleinen WIE:
Oder da war mein Freund, der bei einem Bewerbungsgespräch im Büro seines neuen Chefs ein Ölgemälde erblickte, das er für einen üblichen Wir-finden-es-scheisse-aber-wir-kennen-halt-den-Künstler-Schinken hielt, so ein Bild, das man kauft, weil man sich nun schon auf der 34. Vernissage durchgefressen und durchgesoffen hat, und da wollte mein Freund etwas Nettes sagen und verkündete: «Sieht aus wie ein Picasso» Oh schreckliches, oh furchtbares, oh schlimmes WIE! Es WAR selbstverständlich ein Picasso, den der CEO bei Sotheby’s für umgerechnet 3400000 Franken ersteigert hatte. Das Bewerbungsgespräch war natürlich gelaufen.
Muss ich noch erzählen, was passierte als ich dem Würstchenverkäufer in «Trudis Kochbude» nach einem viertelstündigen Gespräch über die Leitmotivik in der Götterdämmerung sagte, er rede «wie ein promovierter Musikwissenschaftler»? Ich hatte selbstverfreilich das Würstchen (mit Senf und Ketchup) im Gesicht, vor den Pommes und der Cola, die hinterherflogen konnte ich mich noch ducken. Denn der gute Mann WAR ein promovierter Musikwissenschaftler, hätte ich eigentlich wissen sollen. (30% der Wurstverkäufer in der BRD sind Geisteswissenschaftler, 45% sind Schauspieler, 25% sind Schriftsteller.)

Die letzte Kategorie der unsaglichen (sic!) WIE-Verwendungen finden wir in der Literatur. Was da teilweise an Vergleichen angestellt wird, sollte von einer Geschmacks-Kommission der Deutschen Kulturstiftung eigentlich verboten werden:
«Der Fluss lag in der Sonne wie aus dem Ei gepellt»
(Georg Tobel: Waberwut – Kommissar Klusels 45. Fall – ein Taunuskrimi)
«Wie eine warme Wolldecke legte sich ein Gefühl der Zufriedenheit über sie.»
(Viktoria Busch: Pfeife, wenn dein Herz sich meldet – heiterer Roman zum Träumen)
«Der Zug raste durch die Steppe wie ein tollwütiger Gepard»
(Fritz Puffel: Das flache Land – Impressionen aus Mittelasien)

Also, verehrte Leserschaft: Hüten Sie sich vor dem WIE! Nur einmal pro Tag verwenden! Und vorher nachdenken!

Der Dialog mit der Barista ging übrigens noch weiter:
Ich nippte am Kaffee und sagte:
«Schmeckt wie ein guter Espresso.»
«Das IST ein guter Espresso.»
«Sagt man halt so…»

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