«Wie
abgezählt», sagt die Barista im SPECULATIVO am Hauptbahnhof Luzern, als ich ihr
vier Franken dreissig für einen Espresso überreiche. «Es IST abgezählt»,
antworte ich empört, schliesslich habe ich 56 Sekunden lang aus meinem
Portemonnaie einen Zweifränkler, einen Einfränkler, ein Zwanzigrappenstück und
ein Zehnrappenstück herausgekramt. Die Barista lächelt mich an: «Sagt man doch
so…»
Ja.
Das sagt man
so.
Aber man
sollte aufpassen. Denn WIE ist eines der gefährlichsten, eines der heikelsten
Wörter der Deutschen Sprache. WIE sollte nur mit Einsatz aller Gehirnzellen und
nach intensivem Grübeln verwendet werden. WIE ist eine Bombe, ein Sprengsatz,
WIE ist ein chemischer Stoff, der ziemliche Verheerungen anrichten kann.
Wir sehen
zu, Beispiel einen Mann mit offenem Hemd, Lederjacke, mit Goldkettchen und
Solariumsbräune und sagen «Wie ein Zuhälter». Dabei stellt sich doch die Frage,
wie viele Zuhälter wir kennen und ob diese alle gleich aussehen. Ich bin mit
keinem Zuhälter bekannt und kann deshalb partout nicht bestimmen, wie das
Aussehen eines Zuhälters ist. Müsste man daher nicht eher davon sprechen, der
Mann sehe so aus «wie sich Otto Normalverbraucher einen Zuhälter vorstellt»?
Wenn ein
kleines Kind eine alte, verhutzelte Frau in einem weiten Umhang sieht, die zu
allem Überfluss auch noch grimmig, verbissen, die verärgert und zitronig aus
der Wäsche schaut, dann sagt es vielleicht: «Mami, die sieht aus wie eine
Hexe.» – Das habe ich übrigens wirklich einmal gemacht und der Ärger war
riesengross. Dabei war ich mit vier Jahren einfach nicht in der Lage zu sagen:
«Mama, die Dame vor uns ist natürlich keine Hexe und es gibt auch gar keine,
aber wenn sie so grimmig, verbissen, so verärgert und zitronig aus der Wäsche
schaut, dann gleicht sie den Hexen, die in meinen Bilderbüchern sind.»
Meine
deutschen Leserinnen und Leser kennen sicher den Spruch: «Es sieht aus wie bei
Hempels unterm Sofa.» Das sagt man, wenn eine Wohnung nicht ganz den Ansprüchen
eines ordentlichen und sauberen Menschen entspricht, Bett nicht gemacht,
Geschirr in der Spüle, tanzende Staubflocken und Kleider auf dem Esstisch,
Küche mit einem Fettfilm überzogen und überall Zeitungen und Zettel. Dies ist
natürlich eine schwere Beleidigung für die 4560 Hempels, die in der
Bundesrepublik leben, und man müsste, um den Spruch zu rechtfertigen als
Minimum 2281 Hempelsofas, beziehungsweise den Boden darunter kontrolliert
haben, um wirklich sagen zu können, dass ein Hempelsofauntergrund eine schlimme
Sache ist.
Aber um auf
das obige Beispiel zurückzukommen: Auch das Umgekehrte ist blöde: Wir sagen,
etwas sei WIE und dabei ist es genau das WIRKLICH.
Ich erinnere
mich zum Beispiel an jene Einladung bei Tante Pia, die für ihre Kochkünste
berühmt war und nur deshalb keinen Michelin-Stern hatte, weil Michelin keine
Privatbewirtungen bewertet, und in deren Verlauf der Verlobte meiner Cousine
über den Kartoffelstock (für die Deutschen: Kartoffelbrei) sagte, er sei «wie
selbstgemacht». Oh schreckliches, oh furchtbares, oh schlimmes WIE! Tante Pia
hatte noch nie, weder für Stock, noch für Suppe, auch nicht für Creme oder
Kuchen, nicht für Sauce oder Guss ein Fertigprodukt verwendet; der Gute ward
verstossen, die Verlobung gelöst und die Hochzeit abgesagt, und das alles nur
wegen eines kleinen WIE:
Oder da war
mein Freund, der bei einem Bewerbungsgespräch im Büro seines neuen Chefs ein
Ölgemälde erblickte, das er für einen üblichen
Wir-finden-es-scheisse-aber-wir-kennen-halt-den-Künstler-Schinken hielt, so ein
Bild, das man kauft, weil man sich nun schon auf der 34. Vernissage
durchgefressen und durchgesoffen hat, und da wollte mein Freund etwas Nettes
sagen und verkündete: «Sieht aus wie ein Picasso» Oh schreckliches, oh
furchtbares, oh schlimmes WIE! Es WAR selbstverständlich ein Picasso, den der
CEO bei Sotheby’s für umgerechnet 3400000 Franken ersteigert hatte. Das
Bewerbungsgespräch war natürlich gelaufen.
Muss ich
noch erzählen, was passierte als ich dem Würstchenverkäufer in «Trudis
Kochbude» nach einem viertelstündigen Gespräch über die Leitmotivik in der
Götterdämmerung sagte, er rede «wie ein promovierter Musikwissenschaftler»? Ich
hatte selbstverfreilich das Würstchen (mit Senf und Ketchup) im Gesicht, vor
den Pommes und der Cola, die hinterherflogen konnte ich mich noch ducken. Denn
der gute Mann WAR ein promovierter Musikwissenschaftler, hätte ich eigentlich
wissen sollen. (30% der Wurstverkäufer in der BRD sind Geisteswissenschaftler,
45% sind Schauspieler, 25% sind Schriftsteller.)
Die letzte
Kategorie der unsaglichen (sic!) WIE-Verwendungen finden wir in der Literatur.
Was da teilweise an Vergleichen angestellt wird, sollte von einer
Geschmacks-Kommission der Deutschen Kulturstiftung eigentlich verboten werden:
«Der Fluss
lag in der Sonne wie aus dem Ei gepellt»
(Georg
Tobel: Waberwut – Kommissar Klusels 45. Fall – ein Taunuskrimi)
«Wie eine
warme Wolldecke legte sich ein Gefühl der Zufriedenheit über sie.»
(Viktoria
Busch: Pfeife, wenn dein Herz sich meldet – heiterer Roman zum Träumen)
«Der Zug
raste durch die Steppe wie ein tollwütiger Gepard»
(Fritz
Puffel: Das flache Land – Impressionen aus Mittelasien)
Also,
verehrte Leserschaft: Hüten Sie sich vor dem WIE! Nur einmal pro Tag verwenden!
Und vorher nachdenken!
Der Dialog
mit der Barista ging übrigens noch weiter:
Ich nippte
am Kaffee und sagte:
«Schmeckt
wie ein guter Espresso.»
«Das IST ein
guter Espresso.»
«Sagt man
halt so…»
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