Jeden Tag
bietet sich mir auf der Fahrt von Moutier nach Solothurn das gleiche
Schauspiel; kaum hat der Regionalzug die Bernergemeinde (Ja, Freunde, NOCH seid
ihr beim Kanton Bern!) verlassen, fällt der Blick auf den Parkplatz einer der
Fabriken des Industriegebietes, auf dem sich ein Arbeiter bei seinem PKW
umzieht. Und zwar nicht einfach eine andere Jacke oder andere Schuhe, sondern ein
komplettes Austauschen von Hose, T-Shirt, Pulli und was so dazu gehört, das
heisst auf Deutsch, er steht eine Weile nur in den Boxershorts da. Nun können
ja junge, knackige, können braungebrannte und muskulöse Kerle in Boxershorts
ein ziemlich erfreulicher Anblick sein, diesem Mann fehlen allerdings genau
diese Adjektive, er ist eben nicht jung und knackig, sondern eher faltig und
untersetzt. Besonders unerfreulich ist, dass die Unterhose durch das Abstreifen
der Nichtarbeitshose immer ihren Platz verlassen hat und den Blick auf das
freigibt, was das gepflegte Deutsch als Gesässspalte, die Jugendsprache aber
als Arschritze (s.v.v.) bezeichnen würde.
Weiss der
Mann nicht, dass um 6.54 ein Zug Richtung Grandval den Bahnhof verlässt und
dass ob der Position von Schienen und jenem Parkplatz man vom Regionalzug ihm
direkt in den Hintern schauen kann? Scheinbar nicht, er hält sich an dem
einsamen Ort für völlig unbeobachtet, was er auch de facto wäre, wenn eben
nicht 10 Meter oberhalb von ihm ein mit Fenstern versehenes Verkehrsmittel
vorbeischleichen würde, ja schleichen, der Zug hat da noch kein Tempo. Der gute
Mann müsste also seinen Stripp nur um fünf Minuten nach vorne oder hinten
verschieben, und er wäre so allein wie Robinson auf der Insel oder Tarzan im Dschungel,
er wäre so unbeglotzt wie Will Smith in I
am a Legend oder Prometheus am Felsen.
Wie teilt
man dem Herrn nun mit, dass er sich besser um 6.45 oder erst um 7.00 umzieht?
Wie sag ich’s meinem Kinde? Die eine Möglichkeit wäre, an einem Tag den Zug
fahren zu lassen, zu der Fabrik zu laufen, mit ihm zu reden und die nächste
Verbindung um 7.54 zu nehmen. Ein Problem ist hier sicher die Sprache, in der
Bernergemeinde (Ja, Freunde, NOCH seid ihr beim Kanton Bern!) spricht man
nämlich Französisch. Ein anderes Problem ist aber noch wichtiger: Ich käme zu
spät zur Arbeit.
Ich könnte auch
herausfinden, wie die Firma heisst und seinen Chef anrufen. Ebenfalls
verworfen. Ich will den Guten nicht in irgendwelche Schwierigkeiten bringen.
Ein Freund schlug vor, ein Plakat zu malen, auf dem MAN SIEHT DICH! steht,
natürlich auf Französisch, denn – wir erwähnten es, in der Bernergemeinde (Ja,
Freunde, NOCH…) wird Französisch geredet. Aber um dieses Schild zu sehen,
müsste er den Zug bemerken, was er ja nicht tut, und hier beisst sich die Sache
in den Schwanz.
Was man
bräuchte, wäre ein Negativum jener «Hallo, du!»-Seiten, die sich manchmal in
Wurfzeitungen und Zeitschriften finden. Wir alle kennen das:
Du – blond mit rotem Pulli, hast mich
gestern so nett angelächelt im Tram 17 ab Barfüsserplatz. Würde dich gern
kennenlernen.
Hallo nette Frau! Du hast gestern um 18.00
am Kaffeestand am Postplatz einen Cappuccino gekauft. Ich – gross mit schwarzen
Haaren und Dreitagebart – stand hinter dir. War zu schüchtern, dich
anzusprechen. Würde aber gerne mal gemeinsam Kaffee trinken.
Du steigst immer um 7.00 in die S-Bahn in
Dietikon. Du trägst meistens eine blaue Lederjacke und hast einen Schnauz. Find
dich megasüüüüüsssss! Meld dich doch. Würde gerne mal mit dir reden.
Abgesehen
davon, dass ich keine Ahnung habe, ob das jemals funktioniert hat, eine witzige
Methode. Aber wir bräuchten auch das Umgekehrte. Kurze Mitteilungen, für die es
dann auch keine Mailadresse braucht, denn die angesprochene Person muss ja die
kurze Kritik, die kurze Beleidigung, muss die Schnelldusche oder die
Turbovernichtung nur zur Kenntnis nehmen.
Du – blond mit rotem Pulli, hast mich
gestern so nett angelächelt im Tram 17 ab Barfüsserplatz. Ehrlich: Der Pulli
sieht scheisse aus. Er ist viel zu eng und Rot steht dir gar nicht, also
wirklich überhaupt gar nicht. Schmeiss das Teil weg!
Hallo nette Frau! Du hast gestern um 18.00
am Kaffeestand am Postplatz einen Cappuccino gekauft. Ich – gross mit schwarzen
Haaren und Dreitagebart – stand hinter dir und war völlig genervt. Bitte
überlege dir doch (es ist Rushhour!) vorher, ob du klein, mittel, gross und ob
du scharfe oder milde Röstung willst, man kann doch nicht 4 Minuten für so eine
Entscheidung brauchen – und dann noch mit Karte zahlen wollen, die dann nicht
funktioniert… GEHT GAR NICHT!
Du steigst immer um 7.00 in die S-Bahn in
Dietikon. Du trägst meistens eine blaue Lederjacke und hast einen Schnauz. Ich,
blond, 25 und schlank, sitze meistens am Eingang. Also: Entweder du schaust mir
mal ins Gesicht oder schaust mich gar nicht an. Aber nicht mehr woanders hin!
Du bist der schlimmste Scheissmacho, den ich erlebe!
Und genauso
ein Info brauchen wir jetzt für den Berner (Ja, Freunde…) – obwohl er ja auch
aus Delémont kommen könnte, dann wäre er wirklich ein Jurassier. Jedenfalls
müsste man hier irgendwo schreiben:
Du ziehst dich um 6.55. auf einem Parkplatz
in Moutier um. Man sieht deine Arschritze aus dem Zug nach Solothurn!!!!!!
Mache deinen Stripp bitte später.
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