Dienstag, 12. September 2017

Der Stripper in Moutier



Jeden Tag bietet sich mir auf der Fahrt von Moutier nach Solothurn das gleiche Schauspiel; kaum hat der Regionalzug die Bernergemeinde (Ja, Freunde, NOCH seid ihr beim Kanton Bern!) verlassen, fällt der Blick auf den Parkplatz einer der Fabriken des Industriegebietes, auf dem sich ein Arbeiter bei seinem PKW umzieht. Und zwar nicht einfach eine andere Jacke oder andere Schuhe, sondern ein komplettes Austauschen von Hose, T-Shirt, Pulli und was so dazu gehört, das heisst auf Deutsch, er steht eine Weile nur in den Boxershorts da. Nun können ja junge, knackige, können braungebrannte und muskulöse Kerle in Boxershorts ein ziemlich erfreulicher Anblick sein, diesem Mann fehlen allerdings genau diese Adjektive, er ist eben nicht jung und knackig, sondern eher faltig und untersetzt. Besonders unerfreulich ist, dass die Unterhose durch das Abstreifen der Nichtarbeitshose immer ihren Platz verlassen hat und den Blick auf das freigibt, was das gepflegte Deutsch als Gesässspalte, die Jugendsprache aber als Arschritze (s.v.v.) bezeichnen würde.

Weiss der Mann nicht, dass um 6.54 ein Zug Richtung Grandval den Bahnhof verlässt und dass ob der Position von Schienen und jenem Parkplatz man vom Regionalzug ihm direkt in den Hintern schauen kann? Scheinbar nicht, er hält sich an dem einsamen Ort für völlig unbeobachtet, was er auch de facto wäre, wenn eben nicht 10 Meter oberhalb von ihm ein mit Fenstern versehenes Verkehrsmittel vorbeischleichen würde, ja schleichen, der Zug hat da noch kein Tempo. Der gute Mann müsste also seinen Stripp nur um fünf Minuten nach vorne oder hinten verschieben, und er wäre so allein wie Robinson auf der Insel oder Tarzan im Dschungel, er wäre so unbeglotzt wie Will Smith in I am a Legend oder Prometheus am Felsen.

Wie teilt man dem Herrn nun mit, dass er sich besser um 6.45 oder erst um 7.00 umzieht? Wie sag ich’s meinem Kinde? Die eine Möglichkeit wäre, an einem Tag den Zug fahren zu lassen, zu der Fabrik zu laufen, mit ihm zu reden und die nächste Verbindung um 7.54 zu nehmen. Ein Problem ist hier sicher die Sprache, in der Bernergemeinde (Ja, Freunde, NOCH seid ihr beim Kanton Bern!) spricht man nämlich Französisch. Ein anderes Problem ist aber noch wichtiger: Ich käme zu spät zur Arbeit.
Ich könnte auch herausfinden, wie die Firma heisst und seinen Chef anrufen. Ebenfalls verworfen. Ich will den Guten nicht in irgendwelche Schwierigkeiten bringen. Ein Freund schlug vor, ein Plakat zu malen, auf dem MAN SIEHT DICH! steht, natürlich auf Französisch, denn – wir erwähnten es, in der Bernergemeinde (Ja, Freunde, NOCH…) wird Französisch geredet. Aber um dieses Schild zu sehen, müsste er den Zug bemerken, was er ja nicht tut, und hier beisst sich die Sache in den Schwanz.

Was man bräuchte, wäre ein Negativum jener «Hallo, du!»-Seiten, die sich manchmal in Wurfzeitungen und Zeitschriften finden. Wir alle kennen das:

Du – blond mit rotem Pulli, hast mich gestern so nett angelächelt im Tram 17 ab Barfüsserplatz. Würde dich gern kennenlernen.

Hallo nette Frau! Du hast gestern um 18.00 am Kaffeestand am Postplatz einen Cappuccino gekauft. Ich – gross mit schwarzen Haaren und Dreitagebart – stand hinter dir. War zu schüchtern, dich anzusprechen. Würde aber gerne mal gemeinsam Kaffee trinken.

Du steigst immer um 7.00 in die S-Bahn in Dietikon. Du trägst meistens eine blaue Lederjacke und hast einen Schnauz. Find dich megasüüüüüsssss! Meld dich doch. Würde gerne mal mit dir reden.

Abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, ob das jemals funktioniert hat, eine witzige Methode. Aber wir bräuchten auch das Umgekehrte. Kurze Mitteilungen, für die es dann auch keine Mailadresse braucht, denn die angesprochene Person muss ja die kurze Kritik, die kurze Beleidigung, muss die Schnelldusche oder die Turbovernichtung nur zur Kenntnis nehmen.

Du – blond mit rotem Pulli, hast mich gestern so nett angelächelt im Tram 17 ab Barfüsserplatz. Ehrlich: Der Pulli sieht scheisse aus. Er ist viel zu eng und Rot steht dir gar nicht, also wirklich überhaupt gar nicht. Schmeiss das Teil weg!

Hallo nette Frau! Du hast gestern um 18.00 am Kaffeestand am Postplatz einen Cappuccino gekauft. Ich – gross mit schwarzen Haaren und Dreitagebart – stand hinter dir und war völlig genervt. Bitte überlege dir doch (es ist Rushhour!) vorher, ob du klein, mittel, gross und ob du scharfe oder milde Röstung willst, man kann doch nicht 4 Minuten für so eine Entscheidung brauchen – und dann noch mit Karte zahlen wollen, die dann nicht funktioniert… GEHT GAR NICHT!

Du steigst immer um 7.00 in die S-Bahn in Dietikon. Du trägst meistens eine blaue Lederjacke und hast einen Schnauz. Ich, blond, 25 und schlank, sitze meistens am Eingang. Also: Entweder du schaust mir mal ins Gesicht oder schaust mich gar nicht an. Aber nicht mehr woanders hin! Du bist der schlimmste Scheissmacho, den ich erlebe!

Und genauso ein Info brauchen wir jetzt für den Berner (Ja, Freunde…) – obwohl er ja auch aus Delémont kommen könnte, dann wäre er wirklich ein Jurassier. Jedenfalls müsste man hier irgendwo schreiben:

Du ziehst dich um 6.55. auf einem Parkplatz in Moutier um. Man sieht deine Arschritze aus dem Zug nach Solothurn!!!!!! Mache deinen Stripp bitte später.




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