«Ich bringe
Ihnen noch etwas Brot», sagt die Bedienung im Entre Nous, einem der wirklich guten Bistrots in unserer Stadt,
«Brot kommt sofort.» «Vielen Dank», meine ich und lächle sie an, «ich möchte
gar keins, vielen Dank.» (Die mich kennen, werden sich wundern, da ich der
absolute Ein-bis-zwei-Scheiben-zu-Suppe-und-Salat-Esser bin, es gibt aber Speisen,
da mache ich eine Ausnahme. Überbackene Zwiebelsuppe zum Beispiel, da liegt das
Brot quasi schon drin, und genau so eine Zwiebelsuppe habe ich bestellt.) «Brot
gehört dazu», grinst die Bedienung, «und kostet auch nicht extra.» Gute Güte!
Hält sie mich für einen Geizhals? Und vor allem für einen Dummkopf? Es ist mir
völlig klar, dass wir in unseren Breiten nicht gesondert für Pane e Coperto blechen. «Es geht mir
nicht ums Geld, ich möchte einfach kein Brot.» «Kein Problem», sagt die
Bedienung, «ich bringe jetzt welches, sie können es ja stehen lassen.» Nach
einer Minute steht ein Brotkorb mit vier Scheiben Baguette und zwei
Pizzabrötchen vor mir. Ich esse sie natürlich – wie angekündigt – nicht und sie
werden nach der Vorspeise wieder in die Küche wandern. Brot gehört, so scheint
es, im Entre Nous einfach zur
Tischdekoration, zum Ambiente, es gehört zum Flair und zum Ablauf.
Das
Furchtbare ist, dass ich weiss, was mit Brot, das ich nicht esse, geschieht.
Es wird
weggeworfen.
Was soll man
auch sonst damit tun?
Natürlich
könnte man Tiere füttern, man könnte das Brot den Schweinen geben oder den
Enten oder den Gänsen, die man hinter dem Haus hält; so würde dann aus dem Brot
quasi via Biorecycling ein Schweinekotelett oder eine Entenleberpastete oder
Gänseschmalz, also Sachen, die man den Gästen wieder geben kann. Allerdings
ergibt sich hier eine kleine Schwierigkeit, Bistrots in der Innenstadt haben im
Hinterhof zwar Ablageflächen, Müllcontainer, sie haben eventuell ein paar
Gartentische und ein paar Pflanzen, was sie sicher nicht haben, ist ein
Schweinestall – ich rede nicht von einem unaufgeräumten Areal – sie haben
ebensowenig Hühnerställe und Ententeiche. Das einfache Verfüttern an Tiere ist
also keine Option.
Das
Logischste wäre sicher, den Brotkorb einfach dem nächsten Gast hinzustellen.
Hier greift aber ein hyperstrenges Hygienegesetz, dass solche Kapriolen
schlichtweg untersagt. Alles, was auf deinem Tisch steht, kann später auf
keinem anderen Tisch stehen. Die Hygienegesetzgebung muss davon ausgehen, dass
der und die Esser(in) mit Brot und anderen Beigaben die scheusslichsten Dinge
anstellen. Selbstverständlich hat man sich die Pfoten NICHT gewaschen, da
kleben nicht nur Viren und Bazillen dran, sondern auch noch Fäkalien und
Nasenpopel, da hat man die Angewohnheit, Brötchen, Baguette und Toast
abzuschlecken, sich das Zeug durch die Haare zu reiben und ähnliche
Abstrusitäten. In meiner Jugend stand auf dem kariert betischtuchten Tisch
ausser einer Menage mit Salz. Pfeffer und Maggi (oh, das eklige Maggi! Das wäre
schon wieder einen Post wert…) ein Brotkorb mit abgepackten Scheiben. Hier galt
die praktische Devise: Ausgepackt heisst Essen! Aber natürlich passt so ein
Abpackbrotkorb nicht in das frankophile Ambiente eines Entres Nous.
Was also
tun? Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit den Tafeln. Die Gratisküchen für
Obdachlose könnten jeden Tag die Menge an Brot verteilen, die in Luxemburg
verfrühstückt wird, Schätzungen gehen von 2 Tonnen pro Kopf aus. Was die Tafeln
brauchen, sind Dinge wie Obst, Gemüse und Fleisch, schliesslich geht es um
warme Mahlzeiten, und ein halber Teller Gemüsesuppe mit 17 Scheiben Baguette
macht eben weniger Sinn wie zwei Teller Gemüsesuppe mit zwei Scheiben Brot.
Viele Tafeln müssen daher Brotspenden schlicht und einfach zurückweisen.
So fliegt
das Restaurantbrot auf den Müll und trifft sich dort mit dem Bäckereibrot
wieder, da gibt es auf der Deponie ein Wiedersehen von dem Baguette, das im Entre Nous nicht gefuttert und dem
Baguette, das in der Bäckerei Zobel nicht gekauft, ein Wiedersehen von den
Brötchen, die in der Bäckerei Schmidt liegen blieben und denen, die im Jacques Bleu nicht verspeist wurden.
Angesichts des Matschigkeitsstatus könnte man fast von feuchtfröhlichen
Wiedersehen sprechen. In den Bäckereien bleibt nämlich abends eine noch viel
grössere Menge liegen. Und auch die Citybäckereien haben keine Schweine, keine
Hühner und Gänse und auch dort stellt sich das gleiche
Brot-haben-die-Tafeln-genug-Problem. Warum wird um 19.00 tonnenweise entsorgt?
Weil wir als Kunden um 18.25 das gesamte Sortiment erwarten. Eine perverse
Einstellung. Wenn ich als Dessert unbedingt, diskussionslos und alternativlos
Mohnschnecken will, warum kümmere ich mich nicht schon mittags darum? Wenn ich
meinen Gästen zu den Antipasti ein Olivenbrot versprochen habe, warum bestelle
ich es nicht? Wenn fünf vor halb Sieben noch das gesamte Sortiment in den
Regalen sein muss, wird logischerweise 300 Sekunden später fast das ganze
Sortiment entsorgt. Gut, es gibt das schöne Schild WARE VOM VORTAG. Aber wenn
zu viel von der gekauft wird, geht die Rechnung auch nicht auf.
Würden sie
eine Bäckerei, über der
HEUTE NUR
WARE VON GESTERN UND VORGESTERN
prangt,
betreten?
Sehen Sie.
Am Ende des
Abends im Entre Nous mache ich etwas,
was die Freundin meines Vaters immer macht, was ich bis jetzt für unendlich
spiessig und bünzlihaft gehalten habe, was sich aber im Endeffekt als relativ
saubere Lösung herausstellt:
Ich packe
Baguette und Brötchen ein.
Und nehme
sie nach Hause.
Ökologie: Der hippe Deckmantel des Spiessertums.
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