Dienstag, 26. September 2017

Beibrot: Vom Tisch in den Mülleimer



«Ich bringe Ihnen noch etwas Brot», sagt die Bedienung im Entre Nous, einem der wirklich guten Bistrots in unserer Stadt, «Brot kommt sofort.» «Vielen Dank», meine ich und lächle sie an, «ich möchte gar keins, vielen Dank.» (Die mich kennen, werden sich wundern, da ich der absolute Ein-bis-zwei-Scheiben-zu-Suppe-und-Salat-Esser bin, es gibt aber Speisen, da mache ich eine Ausnahme. Überbackene Zwiebelsuppe zum Beispiel, da liegt das Brot quasi schon drin, und genau so eine Zwiebelsuppe habe ich bestellt.) «Brot gehört dazu», grinst die Bedienung, «und kostet auch nicht extra.» Gute Güte! Hält sie mich für einen Geizhals? Und vor allem für einen Dummkopf? Es ist mir völlig klar, dass wir in unseren Breiten nicht gesondert für Pane e Coperto blechen. «Es geht mir nicht ums Geld, ich möchte einfach kein Brot.» «Kein Problem», sagt die Bedienung, «ich bringe jetzt welches, sie können es ja stehen lassen.» Nach einer Minute steht ein Brotkorb mit vier Scheiben Baguette und zwei Pizzabrötchen vor mir. Ich esse sie natürlich – wie angekündigt – nicht und sie werden nach der Vorspeise wieder in die Küche wandern. Brot gehört, so scheint es, im Entre Nous einfach zur Tischdekoration, zum Ambiente, es gehört zum Flair und zum Ablauf.

Das Furchtbare ist, dass ich weiss, was mit Brot, das ich nicht esse, geschieht.
Es wird weggeworfen.
Was soll man auch sonst damit tun?

Natürlich könnte man Tiere füttern, man könnte das Brot den Schweinen geben oder den Enten oder den Gänsen, die man hinter dem Haus hält; so würde dann aus dem Brot quasi via Biorecycling ein Schweinekotelett oder eine Entenleberpastete oder Gänseschmalz, also Sachen, die man den Gästen wieder geben kann. Allerdings ergibt sich hier eine kleine Schwierigkeit, Bistrots in der Innenstadt haben im Hinterhof zwar Ablageflächen, Müllcontainer, sie haben eventuell ein paar Gartentische und ein paar Pflanzen, was sie sicher nicht haben, ist ein Schweinestall – ich rede nicht von einem unaufgeräumten Areal – sie haben ebensowenig Hühnerställe und Ententeiche. Das einfache Verfüttern an Tiere ist also keine Option.

Das Logischste wäre sicher, den Brotkorb einfach dem nächsten Gast hinzustellen. Hier greift aber ein hyperstrenges Hygienegesetz, dass solche Kapriolen schlichtweg untersagt. Alles, was auf deinem Tisch steht, kann später auf keinem anderen Tisch stehen. Die Hygienegesetzgebung muss davon ausgehen, dass der und die Esser(in) mit Brot und anderen Beigaben die scheusslichsten Dinge anstellen. Selbstverständlich hat man sich die Pfoten NICHT gewaschen, da kleben nicht nur Viren und Bazillen dran, sondern auch noch Fäkalien und Nasenpopel, da hat man die Angewohnheit, Brötchen, Baguette und Toast abzuschlecken, sich das Zeug durch die Haare zu reiben und ähnliche Abstrusitäten. In meiner Jugend stand auf dem kariert betischtuchten Tisch ausser einer Menage mit Salz. Pfeffer und Maggi (oh, das eklige Maggi! Das wäre schon wieder einen Post wert…) ein Brotkorb mit abgepackten Scheiben. Hier galt die praktische Devise: Ausgepackt heisst Essen! Aber natürlich passt so ein Abpackbrotkorb nicht in das frankophile Ambiente eines Entres Nous.

Was also tun? Kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit den Tafeln. Die Gratisküchen für Obdachlose könnten jeden Tag die Menge an Brot verteilen, die in Luxemburg verfrühstückt wird, Schätzungen gehen von 2 Tonnen pro Kopf aus. Was die Tafeln brauchen, sind Dinge wie Obst, Gemüse und Fleisch, schliesslich geht es um warme Mahlzeiten, und ein halber Teller Gemüsesuppe mit 17 Scheiben Baguette macht eben weniger Sinn wie zwei Teller Gemüsesuppe mit zwei Scheiben Brot. Viele Tafeln müssen daher Brotspenden schlicht und einfach zurückweisen.

So fliegt das Restaurantbrot auf den Müll und trifft sich dort mit dem Bäckereibrot wieder, da gibt es auf der Deponie ein Wiedersehen von dem Baguette, das im Entre Nous nicht gefuttert und dem Baguette, das in der Bäckerei Zobel nicht gekauft, ein Wiedersehen von den Brötchen, die in der Bäckerei Schmidt liegen blieben und denen, die im Jacques Bleu nicht verspeist wurden. Angesichts des Matschigkeitsstatus könnte man fast von feuchtfröhlichen Wiedersehen sprechen. In den Bäckereien bleibt nämlich abends eine noch viel grössere Menge liegen. Und auch die Citybäckereien haben keine Schweine, keine Hühner und Gänse und auch dort stellt sich das gleiche Brot-haben-die-Tafeln-genug-Problem. Warum wird um 19.00 tonnenweise entsorgt? Weil wir als Kunden um 18.25 das gesamte Sortiment erwarten. Eine perverse Einstellung. Wenn ich als Dessert unbedingt, diskussionslos und alternativlos Mohnschnecken will, warum kümmere ich mich nicht schon mittags darum? Wenn ich meinen Gästen zu den Antipasti ein Olivenbrot versprochen habe, warum bestelle ich es nicht? Wenn fünf vor halb Sieben noch das gesamte Sortiment in den Regalen sein muss, wird logischerweise 300 Sekunden später fast das ganze Sortiment entsorgt. Gut, es gibt das schöne Schild WARE VOM VORTAG. Aber wenn zu viel von der gekauft wird, geht die Rechnung auch nicht auf.
Würden sie eine Bäckerei, über der
HEUTE NUR WARE VON GESTERN UND VORGESTERN
prangt, betreten?
Sehen Sie.

Am Ende des Abends im Entre Nous mache ich etwas, was die Freundin meines Vaters immer macht, was ich bis jetzt für unendlich spiessig und bünzlihaft gehalten habe, was sich aber im Endeffekt als relativ saubere Lösung herausstellt:

Ich packe Baguette und Brötchen ein.

Und nehme sie nach Hause. 








1 Kommentar: