Montag, 3. Juli 2017

Eifersucht, Hass und Wut beim "Ring" in Leipzig



Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich jedes Jahr einen «Ring des Nibelungen» brauche, szenisch, komplett und am Stück; ich habe dies auch schon mehrfach in Posts verwurstet. Dieses Jahr war Leipzig dran, Inszenierung Rosamund Gilmore, Musikalische Leitung Ulf Schirmer.

Keine Angst!
Ich werde jetzt keine Kritik schreiben, diese entnehme man den grossen Feuilletons, man entnehme sie der Fachpresse wie OPERNWELT oder ORFEO, man schaue danach im Internet oder höre Radio, nein, mir geht es um das Allgemein-Dramatische, es geht mir um Lust und Leid, um Macht und Streit, es geht mir um böse Zungen und schlechte Taten, es geht mir um Häme und Höhne und Wut – Wut, die oft an- und aufgestaut sich in schlimmen Aktionen Bahn bricht. Es geht mir um Angeberei, um Protzen und Prahlen, es geht mir um starke Gefühle und schwache Menschen. Es geht…

Ach, Sie denken, ich rede von der Bühne?
Nein.
Das tue ich keineswegs.

Natürlich hat es in den Geschichten um Wotan und Siegfried, in den Storys um Brünhilde und Hagen, hat es in den Mären um Alberich, Mime und Erda, um Siegmund und Hunding all das oben Erwähnte, hat es Lust und Leid, Macht und Streit, hat es böse Taten und schlechte Zungen, hat es Häme und Höhne und vor allem Wut, viel Wut, elementare Wut, aber die entscheidenden Dramen spielen sich jenseits des Orchestergrabens ab.
Die wahren Dramen finden Sie in Parkett, Rang und Foyer, finden Sie in den 4. und 5. und 18. Reihen, das wahre Theater sehen Sie in den Gängen und Rängen, beim Pausensekt, Pausenbier und Pausenwein, bei der Pausenzigarette zwischen Todverkündigung und Walkürenritt, beim Toilettenbesuch zwischen Waldvogel und Erdaweckruf.

Und manchmal hat man auch das Gefühl, die Taten und Handlungen, die Sprüche und Spreche, die Ausbrüche und Ausfälle im Publikum spiegeln das jeweils gerade Erlebte, oder das in Kürze zu Erlebende, so als wollten die Damen und Herren in Parkett, Foyer und Rang, in 5. und 6. und 16. Reihe den auf der Bühne zuraunen: «Wir sind die wahren Riesen, Götter, die wahren Helden und Zwerge…»

Wollen Sie ein paar Beispiele?
Gerne.
Diese haben alle eines gemeinsam: Sie sind vom 28.6. bis zum 2.7. in der Oper Leipzig alle genauso passiert.
Ehrenwort.

Es ist heiss in den vorderen Reihen des Parketts, wohl dem oder besser der, die einen Fächer bei sich hat, einen, mit dem sie freundlich fächelnd sich kosende Kühlung kiest. Was die Dame hinter ihr erbost, nicht weil der Fächer lustig laut oder knatternd knarrend wäre, er wird einfach ein wenig zu hoch bewegt, und das raubt der Dame, die doch eher klein, also eher Mime als Siegfried ist, die Sicht auf den 2. Aufzug der Walküre. Und kurz vor Schluss, fast zeitgleich mit der Zerstörung des Schwertes durch Wotans Speer, springt sie auf, klappt das Fächelding in der Luft zusammen und drückt es der Dame vor ihr in den Schoss. Eine Aktion, die sämtliche Umsitzenden erschreckt und verstört, die sie allerdings heftig pantomimisch erläutert: Fächer – zu hoch – kann nix sehen. Klar, hätte man diese Gesten auch statt der Aktion machen können – aber angestaute Wut muss sich eben Bahn brechen. Jedenfalls tobt der Krieg zwischen den beiden Frauen noch lang die Pause durch…

Die Sitzplätze ein paar Sessel weiter bleiben immer wieder einmal leer, worauf sich ein Bohème-Pärchen, schwarz gekleidet und mit wallender wilder Wolle auf dem Kopf, dort hinsetzt. Man hat keine Ahnung, ob sie mit den eigentlichen Platzinhabern den Platz tauschen, ob diese früher gehen müssen und jenen Wallhaar-Menschen die Plätze überlassen oder ob die Bohèmiens einfach die Sessel erspähen und sich dort niederlassen, jedenfalls ist es dem Herrn neben uns nicht recht. Wo kämen wir hin, wenn die Menschen nicht auf den korrekten Plätzen sitzen? Wenn die Leute von den billigen Plätzen auf die teureren wechseln? Wozu zahlt man dann heftige Preise, wenn Männer und Frauen mit wallender wilder Wolle einfach sich auf Heftigpreisplätze mogeln? Vor dem 3. Aufzug des Siegfried, jenem Aufzug, in dem Wotan den jungen Helden vor dem Feuerfelsen stoppt, stoppt der Herr die beiden: «Das sind nicht Ihre Plätze!», posaunt er – und: «Kann ich mal Ihre Karten sehen?!?!» Die Wallhaarmenschen ignorieren ihn einfach und nur das Eingreifen seiner Frau («Jetzt lass doch, jetzt lass doch…») kann Schlimmeres verhindern.
Randbemerkung: Wir drei hatten auch 2 Karten für Parkett und 1 Karte für Rang und rollierten – zum Glück hatten wir die jeweiligen Nachbarn schon während des Rheingoldes vorgewarnt.

«In Bayreuth könnte man hier nicht so leicht durch!» trällert die Dame, während sie an uns vorbei auf ihren Platz trippelt (in Leipzig sind die Reihenabstände wirklich sehr grosszügig) und toppt damit alles an Angeberei und Eitelkeit was Alberich, Mime und Hunding von sich geben. Denn sie scheint davon auszugehen, dass sie die Einzige ist, die den Grünen Hügel kennt, ist bei einem Ring-Zyklus nicht so wahrscheinlich. Überhaupt, was die Leute so schwatzen, steht zum Grossteil unter dem Nornen-Motto «Vorbei ewiges Wissen». «Der Siegmund hat zu Beginn geknödelt», wird da zum Pausensekt von sich gegeben, dabei meint man gepresst, oder schön auch dieser Dialog:
«Die Brünhilde ist fabelhaft!» «Die Sieglinde aber noch mehr» (Was wirklich stimmt, die war, hochdramatisch besetzt, ungewöhnlich gut) «Die ist aber auch eine ganz andere Rolle.» – hat niemand bestritten. 

Die wahren Dramen sind im Publikum, sie spielen sich in Rang, Foyer und Parkett ab, und man kann viele Leute nur mit einem Spruch entschuldigen, mit dem die eine Besucherin erklärte, warum sie bei den Tänzern klatsche, obwohl sie den Tanz überflüssig und schrecklich fand:

«Nu, die kenn jo nischt derfiir.»
   

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen