Diejenigen,
die mich kennen, wissen, dass ich jedes Jahr einen «Ring des Nibelungen»
brauche, szenisch, komplett und am Stück; ich habe dies auch schon mehrfach in
Posts verwurstet. Dieses Jahr war Leipzig dran, Inszenierung Rosamund Gilmore,
Musikalische Leitung Ulf Schirmer.
Keine Angst!
Ich werde
jetzt keine Kritik schreiben, diese entnehme man den grossen Feuilletons, man
entnehme sie der Fachpresse wie OPERNWELT oder ORFEO, man schaue danach im
Internet oder höre Radio, nein, mir geht es um das Allgemein-Dramatische, es
geht mir um Lust und Leid, um Macht und Streit, es geht mir um böse Zungen und
schlechte Taten, es geht mir um Häme und Höhne und Wut – Wut, die oft an- und
aufgestaut sich in schlimmen Aktionen Bahn bricht. Es geht mir um Angeberei, um
Protzen und Prahlen, es geht mir um starke Gefühle und schwache Menschen. Es
geht…
Ach, Sie
denken, ich rede von der Bühne?
Nein.
Das tue ich
keineswegs.
Natürlich
hat es in den Geschichten um Wotan und Siegfried, in den Storys um Brünhilde
und Hagen, hat es in den Mären um Alberich, Mime und Erda, um Siegmund und
Hunding all das oben Erwähnte, hat es Lust und Leid, Macht und Streit, hat es
böse Taten und schlechte Zungen, hat es Häme und Höhne und vor allem Wut, viel
Wut, elementare Wut, aber die entscheidenden Dramen spielen sich jenseits des
Orchestergrabens ab.
Die wahren
Dramen finden Sie in Parkett, Rang und Foyer, finden Sie in den 4. und 5. und
18. Reihen, das wahre Theater sehen Sie in den Gängen und Rängen, beim
Pausensekt, Pausenbier und Pausenwein, bei der Pausenzigarette zwischen
Todverkündigung und Walkürenritt, beim Toilettenbesuch zwischen Waldvogel und
Erdaweckruf.
Und manchmal
hat man auch das Gefühl, die Taten und Handlungen, die Sprüche und Spreche, die
Ausbrüche und Ausfälle im Publikum spiegeln das jeweils gerade Erlebte, oder
das in Kürze zu Erlebende, so als wollten die Damen und Herren in Parkett,
Foyer und Rang, in 5. und 6. und 16. Reihe den auf der Bühne zuraunen: «Wir
sind die wahren Riesen, Götter, die wahren Helden und Zwerge…»
Wollen Sie
ein paar Beispiele?
Gerne.
Gerne.
Diese haben
alle eines gemeinsam: Sie sind vom 28.6. bis zum 2.7. in der Oper Leipzig alle
genauso passiert.
Ehrenwort.
Ehrenwort.
Es ist heiss
in den vorderen Reihen des Parketts, wohl dem oder besser der, die einen Fächer
bei sich hat, einen, mit dem sie freundlich fächelnd sich kosende Kühlung
kiest. Was die Dame hinter ihr erbost, nicht weil der Fächer lustig laut oder
knatternd knarrend wäre, er wird einfach ein wenig zu hoch bewegt, und das
raubt der Dame, die doch eher klein, also eher Mime als Siegfried ist, die
Sicht auf den 2. Aufzug der Walküre. Und kurz vor Schluss, fast zeitgleich mit
der Zerstörung des Schwertes durch Wotans Speer, springt sie auf, klappt das
Fächelding in der Luft zusammen und drückt es der Dame vor ihr in den Schoss.
Eine Aktion, die sämtliche Umsitzenden erschreckt und verstört, die sie
allerdings heftig pantomimisch erläutert: Fächer – zu hoch – kann nix sehen. Klar,
hätte man diese Gesten auch statt der Aktion machen können – aber angestaute
Wut muss sich eben Bahn brechen. Jedenfalls tobt der Krieg zwischen den beiden
Frauen noch lang die Pause durch…
Die
Sitzplätze ein paar Sessel weiter bleiben immer wieder einmal leer, worauf sich
ein Bohème-Pärchen, schwarz gekleidet und mit wallender wilder Wolle auf dem
Kopf, dort hinsetzt. Man hat keine Ahnung, ob sie mit den eigentlichen
Platzinhabern den Platz tauschen, ob diese früher gehen müssen und jenen
Wallhaar-Menschen die Plätze überlassen oder ob die Bohèmiens einfach die
Sessel erspähen und sich dort niederlassen, jedenfalls ist es dem Herrn neben
uns nicht recht. Wo kämen wir hin, wenn die Menschen nicht auf den korrekten
Plätzen sitzen? Wenn die Leute von den billigen Plätzen auf die teureren
wechseln? Wozu zahlt man dann heftige Preise, wenn Männer und Frauen mit
wallender wilder Wolle einfach sich auf Heftigpreisplätze mogeln? Vor dem 3.
Aufzug des Siegfried, jenem Aufzug, in dem Wotan den jungen Helden vor dem
Feuerfelsen stoppt, stoppt der Herr die beiden: «Das sind nicht Ihre Plätze!»,
posaunt er – und: «Kann ich mal Ihre Karten sehen?!?!» Die Wallhaarmenschen
ignorieren ihn einfach und nur das Eingreifen seiner Frau («Jetzt lass doch,
jetzt lass doch…») kann Schlimmeres verhindern.
Randbemerkung:
Wir drei hatten auch 2 Karten für Parkett und 1 Karte für Rang und rollierten –
zum Glück hatten wir die jeweiligen Nachbarn schon während des Rheingoldes
vorgewarnt.
«In Bayreuth
könnte man hier nicht so leicht durch!» trällert die Dame, während sie an uns
vorbei auf ihren Platz trippelt (in Leipzig sind die Reihenabstände wirklich
sehr grosszügig) und toppt damit alles an Angeberei und Eitelkeit was Alberich,
Mime und Hunding von sich geben. Denn sie scheint davon auszugehen, dass sie
die Einzige ist, die den Grünen Hügel kennt, ist bei einem Ring-Zyklus nicht so
wahrscheinlich. Überhaupt, was die Leute so schwatzen, steht zum Grossteil
unter dem Nornen-Motto «Vorbei ewiges Wissen». «Der Siegmund hat zu Beginn
geknödelt», wird da zum Pausensekt von sich gegeben, dabei meint man gepresst,
oder schön auch dieser Dialog:
«Die
Brünhilde ist fabelhaft!» «Die Sieglinde aber noch mehr» (Was wirklich stimmt,
die war, hochdramatisch besetzt, ungewöhnlich gut) «Die ist aber auch eine ganz
andere Rolle.» – hat niemand bestritten.
Die wahren
Dramen sind im Publikum, sie spielen sich in Rang, Foyer und Parkett ab, und
man kann viele Leute nur mit einem Spruch entschuldigen, mit dem die eine
Besucherin erklärte, warum sie bei den Tänzern klatsche, obwohl sie den Tanz
überflüssig und schrecklich fand:
«Nu, die
kenn jo nischt derfiir.»
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