«Kann ich da
nicht auch irgendwie was machen?» fragt mich Nick, mein Schüler und dreht wie
wild seinen Fidget Spinner. «Wo was machen?» «Na, auf diesem Kunst-Dings in
Berlin, wo Sie hingehen.» «Das Ding heisst dOCUMENTA und ist in Kassel.» «Wo
ist denn Kassel und warum in Kassel?» Ich seufze hörbar, der Spinner wandert
auf die Nase. Nick hat ADHS, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben. «Also»,
beginne ich nochmal, «Kassel ist in Nordhessen auf dem halben Weg von Frankfurt
nach Berlin, die Ausstellung hat sich halt da entwickelt und etabliert, und um
auf deine erste Frage zurückzukommen: Was willst du denn dort machen?» «Na,
irgendwie rumtoben.» Der Fidget Spinner fällt auf den Boden. Rumtoben wäre kein
Problem, das kann er. «Zur dOCUMENTA wird man eingeladen», doziere ich, «wenn
du also jemand findest, der deine Spinnereien für Kunst hält, für Kunst
erklärt, wenn du dann eingeladen wirst zu so einer Ausstellung, dann bist du
Künstler und alle finden dich toll. Aber das wird nicht passieren.»
An diesen
Dialog muss ich denken, als ich vor dann in Kassel vor einem Video stehe. Ein
Mann im Anzug wirft sich darauf mit aller Heftigkeit gegen eine schwarze Wand,
bei jedem Aufprall gibt er ein «Hmpf», «Boohhh», «Urps» oder «Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa»
von sich. Der Mann scheint auch ein schwerer Fall von ADHSler zu sein, denke
ich, und ich denke auch: Das hätte Nick besser hingekriegt, irgendwie cooler,
und er hätte sicher bei jedem Bums ein Schimpfwort losgelassen, z.B. «ficken»,
was der gesamten Performance noch eine wüste, subversive Note gegeben hätte.
Kunst ist
also Kunst, wenn sie als Kunst deklariert wird. Oder anders formuliert: Ist das
Kunst oder kann das weg? Kunst ist, wenn jemand einen rosaroten Teppich
auslegt. Oder wenn jemand sämtliche Fotos, Notizen, alle Terminbögen und
Fresszettel einer Theaterproduktion in eine Vitrine legt, Kunst ist, wenn
jemand ein Video von Orthodoxen Gesängen zeigt. Kunst ist, wenn jemand 100
kleine Fotos in eine Reihe hängt, oder 50 Blumentöpfe aufstellt. (Alle
Beispiele auf der dOCUMENTA 2017 zu sehen.) Nun hat es auf jeder solchen
Veranstaltung Dinge, die diesen Na-ja-Effekt haben, auf der diesjährigen
Kasseler Ausstellung häufen sich allerdings Sachen mit einer gewissen
Beliebigkeit.
Wie aber
kann das sein?
Machen wir
doch einmal das folgende Gedankenexperiment:
Ich schare
für diesen Herbst 15 Musiker um mich und lade am 14. 10. 2017 zu einer
musikalischen Performance ein. Die Aufführung beginnt mit 5 Minuten Schweigen,
dann spielen alle 10 Minuten und 23 Sekunden (exakt einzuhalten), was sie
wollen, d.h. der E-Pianist klimpert die Sonata facile, während die Violinistin
sich an Piazzolla versucht, der Trompeter spielt das «Trumpet Voluntary»,
während die Saxofonistin ein wenig «Take Five» intoniert. Danach wieder 4
Minuten Schweigen. Darauf erklingt 7 Minuten und 35 Sekunden (exakt
einzuhalten) der Ton d’. Wieder Schweigen, 6 Minuten, zum Schluss der Schweizer
Psalm, aber so aufgeteilt, dass jedes Instrument genau einen einzelnen Ton spielt,
immer im Kreis.
Ziemlicher
Schwachsinn, aber weil ich in Musikerkreisen ja auch nicht ganz unbekannt bin,
werden die Leute kommen, sie werden nicht davonlaufen und sie werden einen
Sinn, eine Idee, sie werden eine Philosophie oder Konzeption dahinter suchen.
Wäre es IRGENDJEMAND, der das macht, würden alle Besucherinnen und Besucher
beim Arrangeur Schwachsinn, Trunkenheit oder Drogensucht konstatieren, aber
kann der dann gerade zurückgetretene Leiter der KKB völlig danebenliegen, kann
es sein, dass er besoffen oder dement ist? Wenn der Kerl also anerkannter
Musiker ist, dann ist das auch irgendwie Musik.
Unser ganzes
Leben läuft übrigens so; wir gehen zum Bäcker und kaufen Brot, weil es ja ein
Bäcker ist, muss er ja sicher Brot machen, er kann uns aber ein Teil verkaufen,
das den Ehrentitel Brot gar nicht mehr verdient, es wird zum Brot, weil es ein
Bäcker – der ja per definitionem Brothersteller ist – verkauft. Wir holen einen
anerkannten Unternehmensberater, der uns den Ratschlag gibt, unsere Firma müsse,
wolle sie nicht Pleite gehen, mehr Waren verkaufen, einen Ratschlag, für den
wir jeden Normalo zum Teufel jagen würden, aber weil es ja ein
Unternehmensberater…
Sehen Sie:
So
funktioniert das auch mit der dOCUMENTA.
Anerkannte
Künstler werden gefragt, und wenn das, was sie machen auch noch so idiotisch
ist, es ist Kunst, weil es Künstler sind. Sagen Sie also nie: «Das könnte ich
auch», es wäre, weil sie nicht Künstler sind, keine Kunst. Wenn Sie einen
rosaroten Teppich auslegen, wenn Sie sämtliche Fotos, Notizen, alle Terminbögen
und Fresszettel einer Theaterproduktion in eine Vitrine legen, wenn Sie ein
Video von Orthodoxen Gesängen zeigen, wenn Sie 100 kleine Fotos in eine Reihe
hängen oder 50 Blumentöpfe aufstellen, es wäre keine Kunst.
Ein
Highlight gab es übrigens: Als wir um ca. 13.30 ins Fredericianum wollten,
stand eine Frau mit dOCUMENTA-Badge davor und teilte uns mit, dass wegen
Überfüllung zurzeit ein Einlassstopp verhängt sei. Grossartige Performance! Da
eines der Themen ja gerade Migration und Flucht war, wurde hier super
demonstriert, wie es ist, wenn man nicht hineinkann, wenn man wartet, wenn man
aussen vor, nicht drinnen, wenn man in der Warteschlange, wenn man unwillkommen
ist. Meine Freunde sagten zwar, das sei echt gewesen, also gar keine Kunst,
sondern ein echter organisatorischer Einlassstopp und die junge Dame auch
einfach eine studentische Aushilfe, aber ich kann mir das nicht
vorstellen.
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