Freitag, 8. April 2016

Die Realität holt einen ein: Erdogan 2



Manchmal ist die Realität genauso, wie man sie als Satiriker beschreibt.
Das ist manchmal gut und manchmal schlecht.
Wenn z.B. vor 20 Jahren ein Glossist geschrieben hätte, die GRÜNEN würden auch noch bürgerlich, im SW-Staat die stärkste Partei werden und mit der CDU koalieren, dann könnte er jetzt feiern. Wenn jemand schreibt, man könne doch mal alle Pannen ins Netz stellen und nicht weiss, dass es FAIL OF THE WEEK schon gibt, ist das doof.

Ich habe neulich einem schwäbischen Kabarettisten, der sich beklagte, dass man nichts über Kretschie machen könne, die Worte in den Mund gelegt:

Er habe auch einen guten Draht zu den Amis, und er wisse aus zuverlässiger Quelle, dass die AAC sie seine Politik gut fänden, sondern weil sie endlich wieder Arbeit wollten. Die Amerikanische Satire leide ja – wie die Baden-Württembergische – seit Jahren unter einem Präsidenten, der dem Kabarett, der Glosse, den Comedians und Sketschschreiber nichts biete. Obama sei so etwas von anständig und sauber, dass man an ihm abgleite wie an einem rutschigen Fisch. «In Trump investieren heisst in die Zukunft investieren» sei der Slogan der AAC, an diesem Kerl sei nun alles unmöglich, der sei nun wirklich eine Goldgrube, ein Eldorado, ein Garten Eden der Kleinkunst. Wo man hingreife, sei dieser Mensch peinlich: Peinliche Frisur, peinliche Ansichten, peinliche Äusserungen, wo man hinlange, sei Trump geschmacklos, geschmacklos sei seine Wohnung, seine Bilder an den Wänden, seine Tischdekoration, geschmacklos seine Einstellung zu jeder und jedem, der nicht ins Raster W-M-W (working, married, white) passe.

Ein Beitrag in SWR2/Kultur am Mittag belehrte mich jetzt neulich, dass ich genau ins Schwarze getroffen hatte: Die US-Comedians schwimmen gerade in einem Wonneschaumbad. Über keinen Politiker konnten sie so viel machen wie über Trump. Während der 10minütigen Reportage machte ich eine Flasche Sekt auf und feierte mein Wie-recht-du-doch-hattest.

Blöder ist, wenn man als Verulkung etwas erfindet, was es schon gibt, da holt einen die Realität auf ganz fiese Weise ein, da macht man dann keinen Sekt auf, man stellt sich in die Ecke und schämt sich und murmelt den Sokratischen Satz mit Ergänzung: «Ich weiss, dass ich nichts weiss und das ist Scheisse (s.v.v.)» Ich habe neulich gepostet:

Und jetzt? Erdi versteht die Welt nicht mehr. Das kann doch nicht sein, dass den Heinis in Berlin die Hände gebunden sind, dass sie sich an Gesetze halten müssen, an die verfassungsmässig garantierte Freiheit von Medien, von Kunst und Kultur, das kann doch nicht sein, dass da gar nix geht? Die sind doch Regierung, oder? Und die Regierung macht die Gesetze, oder? Da kann man doch kurz einen StGB-Paragraphen entwerfen, wie z.B.
§ 45367 Wer ausländische Regierungschefs auf unangemessene Weise darstellt, sie verhöhnt oder beleidigt, wird mit Zwangsarbeit in Oberbayern, Vorpommern oder Niedersachsen nicht unter 3 Monaten bestraft.
Das muss doch gehen, wenn man Regierung ist, oder?

So, Freunde, hier wurde ich nun eines Besseren belehrt. Es gibt den Paragraphen! Es ist nicht der § 45367 StGB sondern der § 103 und die Strafe ist nicht Zwangsarbeit in Oberbayern, Vorpommern oder Niedersachsen (Warum habe ich eigentlich nicht noch Unterfranken genannt, das wäre doch auch schlimm?) sondern Gefängnis, aber im Prinzip steht genau das drin: Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt, kann mit bis zu 3 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Nun gilt der alte Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter. Aber genau diese Kläger haben sich anscheinend nun gefunden.
Anzeigen sind eingegangen, Anzeigen nicht gegen EXTRA 3, sondern gegen Jan Böhmermann, der den guten Erdi schmähte und gegen den jetzt ermittelt wird.

Wieso hatte ich – und das ist wohl die entscheidende Frage – von diesem § noch nix gehört? Wurde noch nie ein ausländisches Staatsoberhaupt durch den Kakao gezogen? Das kann ja wohl nicht sein. Wie ich oben schon sagte, fehlt, wo der Kläger fehlt auch der Richter und damit sein Henker, wenn also niemand eine Anzeige erstattete, dann passierte auch nichts.
Zum Beispiel wären die vor dem Mittelafrikanischen König Bubn Ib Mussa geflohenen Untertanen ja ganz froh gewesen, wenn dieser auch in der BRD nicht so beliebt gewesen wäre, sie hätten jede Bubn-Parodie und jede Mussa-Persiflage mit Genugtuung gesehen. Die Anhänger Ib Mussas aber wären nicht in Deutschland gewesen, sondern daheim, wo der Verehrte seinen treuen Fans Ämter und Geld zuschanzte.
Bürger anderer, demokratischerer Nationen hätte jede Satire mit Humor genommen, wären vielleicht nicht begeistert, aber auch nicht totalsauer gewesen, so kann ich mich nicht erinnern, dass Elke Heidenreich alias Else Stratmann wegen ihrer Royal-Satiren («Lisbeth, hallo bis du’s?») einmal von Briten verzeigt worden wäre.
Nein, der 103er schlummerte bislang friedlich in der Ecke, bis, ja bis irgendwelche Menschen, die – ich kann mir es nicht anders vorstellen – erdogantreu  und humorlos sind (was fast das Gleiche ist) und ihn jetzt aus seinem Schlaf reissen. Das ist genau der Menschentyp, der Tag und Nacht seine Nachbarn beobachtet, stets mit dem BGB in der Hand und permanent nachschlägt:
Dürfen die das?
Ist das nicht verboten?
Was sagt das Gesetzt?
Dürfen zwei alte Tanten in der Nacht Tango tanzen?
Ist denn das legal? Ist denn das normal? Ist denn das erlaubt?

Seien wir gespannt.
Ich aber werde aufpassen und alle meine Post noch einmal durchforsten.
Denn ins Gefängnis möchte ich nun wirklich nicht.


1 Kommentar: