Fest steht,
dass Sie in verschiedensten Situationen den Saal eben nicht verlassen dürfen,
ohne dass es eine Menge Ärger gibt. Bei Gerichtsverhandlungen können Sie z.B.
nicht einfach so rausmarschieren, wenn Sie auf der Anklagebank sitzen. Es sei
denn, Sie beleidigen den Richter, dann kann er Sie des Saales verweisen, was ja
zu den herrlich grotesken Dialogen im RAF-Prozess führte («Ich will in meine Zelle.»
«Sie bleiben da.» «Muss ich Sie erst beleidigen? Muss ich Sie ein
faschistisches Arschloch nennen?» «Herr Baader…» «Gut, Sie sind ein
faschistisches Arschloch.» «Herr Baader, fürs Protokoll: Haben Sie mich eben ein
faschistisches Arschloch genannt?» usw. usw.) Übrigens, wäre die Unflätigkeit
eine Entgleisung des Richters gewesen, natürlich dann mit «kommunistisch»,
hätte der gute Baader nicht so einfach weglaufen können.
Andere
Situationen, in denen ein Verlassen der Lokalität sehr problematisch wird, sind
z.B. Hochzeiten, vor allem, wenn Sie der Standesbeamte, der Pfarrer, der
Trauzeuge oder – ganz heikel – der Bräutigam sind. Auch Konzerte eignen sich
nicht dafür, Stühle rückend und polternd aus dem Raum zu gehen, auch wenn Sie
mit dem Allegro der Ces moll-Sonate sehr unzufrieden sind, nein, normalerweise
harrt man bis zur Pause aus, eine Tatsache, die ja gerade Frau Sommaruga als
Pianistin weiss. Wissen sollte. Aber wer weiss, wie viele Leute sie durch schlechte Interpretation der Ces moll-Sonate zum Ausharren zwang?
Sicher ist,
dass die Weltgeschichte anders gelaufen wäre, dass wir weniger Streit, aber
auch viel weniger schöne Texte und herrliche Debatten gehabt hätten, wenn die
Betreffenden immer gleich aufgestanden und rausgegangen wären. Was wäre
gewesen, wenn in den entscheidenden Momenten der Geschichte die Leute
weggerannt wären?
Stellen Sie sich vor der gute alte Cicero hebt an: «Quo usque tandem abutere, Catilina, patienta nostra?», und der Angesprochene geht aus dem Senat. Da hätten wir die ganze Rede nicht, das wäre doch jemmerschade (sic), da würde doch im Kanon der Lateinschultexte etwas Entscheidendes fehlen. Stellen Sie sich vor, in den heissen Zeiten der Französischen Revolution hätten die entsprechenden Leute einfach den Raum verlassen, da müsste man doch die ganze Geschichte umgeschrieben werden. Ich glaube auch, dass man in den Jahren der Weimarer Republik nicht so zimperlich war wie heute. Ich habe zwar keine Redeprotokolle der Sitzungen vor mir, aber ich denke, dass man Leute wie Luxemburg und Liebknecht, die man ja später tot in den Landwehrkanal geworfen hat, auch verbal nicht verschont hat.
Zu den
schönsten Momenten der bundesdeutschen Politgeschichte gehören die Rededuelle
zwischen dem Ultrabayern Franz Josef Strauss, dem Urgestein der CSU und Herbert
Wehner, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, einem Ex-Kommunisten und Linksflügler
der Sozialdemokraten. Die beiden schenkten sich so sehr nichts, dass es eine
Wonne war, ihre Attacken zu Ohren zu nehmen und sich alle die Beleidigungen,
die sich einander um die Köpfe schlugen, zu geniessen. Niemals wäre es FJS oder
Herbie auf die Idee gekommen, den Raum zu verlassen, wenn der andere einmal
wieder voll loslegte.
Langer Rede,
kurzer Sinn: Wir hätten die besten Momente der Historik und Politik verpasst,
wenn die betreffenden Leute aus dem Zimmer gerannt wären.
Wie schlimm ist eigentlich der Begriff «frivole Leichtfertigkeit»?
Ich finde ihn eigentlich ganz hübsch. Hiess doch «frivol» ursprünglich nichts
Sexuelles, sondern «keck, beherzt» und «Leichtfertigkeit», na ja da findet man
jetzt nicht so viel positive Synonyme, aber immerhin auch «Impulsivität», das
ist ja nicht so schlecht. Also impulsiv und beherzt zu sein, das kann so schlecht
nicht sein…
Nein, Frau Sommaruga hätte bleiben sollen, das hätte uns
eine schöne Debatte, ein schönes Wortgefecht gebracht, man hätte sie sicher
nicht der Verschwörung angeklagt, man hätte sie sicher nicht auf die Guillotine
geschickt und sicher nicht in den Landwehrkanal geworfen. Aber eine schöne Debatte hätte man sich schon gewünscht.