Montag, 17. Februar 2014

Zufälle der Geschichte: Der betrunkene Schriftsetzer

Die Weltgeschichte ist voller Zufälle, merkwürdiger, seltsamer, witziger und skurriler Zufälle. Und die Kulturgeschichte ist es auch.
Es war Zufall, dass Andrew und Lizzy Blake an einem sehr stürmischen und regnerischen Herbstabend nicht aus dem Hause konnten und stattdessen vor dem Kamin sich einander hingaben, was neun Monate später zur Geburt der Zwillinge Jack und John Blake führte. Es war auch Zufall, dass an dem Tag, an dem Andrew seine Stammkneipe anlässlich seiner Vaterfreuden freihielt, sich im RED DRAGON der Schriftsetzer William Blubber befand, weil dessen Stammpub BLUE DEER wegen Krankheit geschlossen war. Es war noch ein merkwürdiges Zusammentreffen, dass sich im Roten Drachen auch noch ein gewisser Toby Black aufhielt, der seinerseits im Lotto gewonnen hatte und daher auch Spendierhosen trug. Kurz und gut, Andrew und Toby lieferten sich eine Lokalrundenschlacht, aus der der letztgenannte mit 16:14 als Sieger hervorging. Und William Blubber kam in den Genuss dieser 30 Runden.
Nun war Blubber ein trinkfester Brite – welch Pleonasmus! – aber die Menge an Ale und Scotch war auch für ihn sehr viel Alkohol. Als er am nächsten Morgen zur Arbeit ging, schwankte er noch etwas und musste den ganzen Tag mit Restalkohol kämpfen. Er riss sich aber zusammen, verdammt zusammen und es unterlief ihm acht Stunden lang kein Fehler, ausser: Er setzte in einer Zeile einen Satzteil zweimal.
Nun gibt es in Verlagshäusern ja Redaktoren, Korrektoren, Lektoren, die eben solche Fehler auszumerzen haben, aber in diesem Fall war die Sache schwierig. Einerseits war das Typoskript  von Bobby, dem verlagseigenen Hund zerfetzt worden – schon wieder so ein Zufall, dass der Redaktionsköter just an diesem Tag schlechte Laune hatte, weil ihm die Nachbarskatze entwischt war! -  andererseits war es Lyrik. Bei Lyrik weiss man nie so genau, wie es gehört, weil Dichterinnen und Dichter alle einen Hau haben.
Die Redaktoren, Korrektoren, Lektoren spielten nun verschiedene Szenarien durch, vor allem getrieben durch die Angst vor der Poetin, die kurzfrisiert und burschikos jenseits des Kanales thronte und für ihren Jähzorn bekannt war. Riefe man an, würde man beschimpft, sie habe es nur mit Idioten und Banausen zu tun, sie brauche endlich Leute, die etwas von Lyrik verstünden, sie werde den Verlag wechseln, usw...egal ob der Satz nun stimme oder nicht. Riefe man nicht an und der Satz wäre falsch, wäre der Zorn grösser, man hätte aber Zeit gewonnen, zum Beispiel zum Auswandern. Stimme der Satz und man riefe nicht an: Schwein gehabt.
Man unterliess das Telefonat.
Als die Dichterin den Lyrikband in Händen hielt, war ihre Raserei fulminant. Sie zertrümmerte ihre Wohnung und machte aus Art Deco Sägespäne. Ihr Malerfreund Pablo hielt das Ergebnis später in seinem Werk Guernica fest.
Nun war sich merkwürdigerweise die Kritik einig, dass eben dieser Satz ganz besonders eigen, besonders originell, ganz besonders lyrisch und poetisch sei. Ja, dieser Satz sei einer der gelungensten der letzten Jahre! Die Poetin machte gute Miene zum bösen Spiel und tat nun auch so, als habe sie ihn nie anders gemeint.
Dieser Satz wurde einer der bedeutendsten der Lyrik des 20. Jahrhunderts.
Und als Brad Blake, der Urenkel von Jack Blake, einem der Zwillinge, letztes Jahr über die Autorin seine Diplomarbeit schrieb, ahnte er in keinster Weise, dass die Literaturgeschichte diesen Satz der Zeugung und der Geburt seines Vorfahren verdankt:

A ROSE IS A ROSE IS A ROSE.

 

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