Freitag, 19. Juli 2013

Relative Unwissenheit

Als ich am letzten Samstag – die Story ist wahr! – eine Wähe mit dem ÖV von Basel nach Freiburg transportierte, d.h. balancierte, bewachte, hütete, abstellte und vorsichtig wieder aufnahm, sprach mich in der Linie 6 ein Mann an: Alpoehi, Schlapphut, Wanderrucksack, weisser  Rauschebart und zerfurchtes Gesicht. Bis zum Badischen Bahnhof hatte er mir sein ganzes Leben erzählt, unter besonderer Berücksichtigung seiner Vorliebe für Geissenmilch, sein Bruder hatte eine Laktoseintoleranz, und da holte man halt früher Ziegenmilch beim Bauern. Der gute Mann verabschiedete sich mit den Worten: „Gruss an Ihre Frau.“
Hä? Natürlich, ich hatte Backwerk bei mir, und da war es für ihn klar, dass meine bessere Hälfte den Kuchen gemacht hatte.
Und ich nahm es ihm nicht übel. In sein Weltbild – wie gesagt, er war fast 80 und kam vom Dorf – passen einfach keine Männer, die backen, kochen, bügeln, putzen und waschen.
Ich hätte anders reagiert, wenn ein Businessman um die 40 so was gesagt hätte.
Ich hätte noch verstimmter reagiert, wenn es jemand geäussert hätte, der im Lebensmittelhandel arbeitet.
Ich wäre aus der Haut gefahren, wenn die Person Genderbeauftragte(r)  gewesen wäre.
Noch ein Beispiel?
Wenn meine Buchhändlerin bei der Bestellung einer Schumannbiographie nachfragen würde: „Ohne h, gell?“, wäre das OK. Obwohl das nicht vorkommt, denn die Chefin von Olympus und Hades ist eine hochgebildete Frau.
Vorkam es allerdings bei Musik Hug, da musste ich dem Azubi im zweiten (!!) Lehrjahr Musikalienhandel sagen: „Schumann ohne h, deshalb findet der Computer das nicht.“ Peinlich.
Noch peinlicher ist es, dass in Was Liebe ist von Ulrich Woelk eine der Romanfiguren Von fremden Ländern und Menschen aus den Kinderszenen von Schuhmann spielt, und man an der fulminant exakten Beschreibung des Stückes merkt, dass Woelk es wissen muss. Scheinbar hat sein Lektor ihm den Fehler hineinkorrigiert. Was saupeinlich ist, denn Lektoren sollten ja Fehler ausmerzen und nicht Fehler hineinmachen.
Gleiche Fehler sind nicht gleich schlimm, es kommt darauf an, wer sie macht.
Der Laienchorleiter, der zum ersten Mal vor Streichern steht und sie mit wilden Armbewegungen zum Spielen animiert, wobei er in der Luft rudert wie ein Basejumper, ist rührend und ich würde ihn nie kritisieren. Einen studierten Dirigenten mit Lehrauftrag für Chorleitung schon.
Der erste Kuchen von Bubi, den er (ganz allein!!) zum Muttertag macht, ist auf jeden Fall ein Lob wert, obwohl er ungeniessbar schmeckt – Bubi muss noch Pfeffer und Zimt unterscheiden lernen – und der Schokoguss an Caspar David Friedrichs Die gescheiterte Hoffnung erinnert. Jahre später wird die Mutter den Kuchen zurückweisen, Bubi ist inzwischen 19 und macht eine Bäckerlehre, er muss bei der Herstellung ziemlich bekifft gewesen sein.
Mein Kuchen kam übrigens heil in den Breisgau. Und er schmeckte gut. Kann man von einem fast 50jährigen Menschen auch erwarten.

Und ich hoffe, heute hat es keine Schreibfehler, das wäre für einen studierten Deutschlehrer nämlich noch peinlicher als eine misslungene Wähe.

 

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