Donnerstag, 14. Februar 2013

Entsetzt euch! Entnetzt euch!

Ich habe vorgestern mal wieder 248 766 Mails gelöscht und dabei festgestellt, dass ich in VERDAMMT VIELEN NETZWERKEN bin.
Dabei bin ich nicht einmal bei Facebook...Aber ich bin in diversen Verbänden, dem der Basler Deutschlehrer, dem der Nordwestschweizer Überhauptlehrer und dem der Schweizer Sekundarlehrer. Ich bin in den Netzwerken für Kirchenmusik, Schulmusik, Klaviermusik und Chormusik. Ich tummele mich auf den Plattformen der Opernfreunde, der Schauspielfreunde, der Musicalhasser, der Klassikhörer und der Jazz-Nicht-Hörer. Ich bin Internetgruppen zur Rettung der Wale, zum Schutz des Mangobaumes und des Kalksteins. Ich bin in den Netzwerken der Bahnfahrer und der Zigarettenraucher.
Ich bin total vernetzt!
Und manchmal muss ich da an die schönen kirchentagsbewegten Achtziger denken, als wir uns Wollknäule zuwarfen und dabei sangen:
Wir knüpfen aufeinander zu
Wir knüpfen aneinander an
Wir knüpfen miteinander
Shalom, ein Friedensnetz...
Der kirchliche Karrikaturist Tiki Küstenmacher hat das einmal wunderbar persifliert, als er in einer Zeichnung einen Mann aufstehen und dem Theologen einen fetten Blumenstrauss entgegenstrecken liess: "Gratuliere, Sie sind der 50. Pfarrer, bei dem ich das Wir-knüpfen-ein-Netz-Spiel mache."
Und je vernetzter ich werde, um so mehr fühle ich mich als Knoten. Ja, richtig verwurschtelt und verknotet, und ich warte auf meinen Alexander, der den Knoten sprengen wird. Denn Knoten ist man nicht gerne.
Dass wir uns richtig verstehen: Ich habe nichts gegen Beziehungen, habe nichts gegen Austausch und nichts gegen Freundschaften. Gerade letztere sind unglaublich wichtig. Aber muss man alles vernetzen? Lassen Sie mich ein Beispiel geben.
Bodo und Wolli sind beides uralte Kumpels von mir. Mit beiden kann ich über alles reden, herrliche Abende verbringen und ein wenig in Erinnerungen schwelgen. Bodo ist promovierter Volkswirt, sitzt für die CDU im Landtag und propagiert MAINZ 21, die komplette Untertunnelung der Römerstadt. Er ist verheiratet und wohnt mit seiner entzückenden Frau und zwei Söhnen in einem Frankfurter Vorort, Reihenhaus mit Kiesauffahrt. Wolli ist ein Altpunk, der in Hamburg in einer - schon sehr versifften -  Altstadt-WG lebt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, bis sein grosses Projekt, ein Spielfilm nach expressionistischer Lyrik, endlich funktioniert. Obwohl ich beide seit dreissig Jahren kenne, habe ich sie nie zusammengebracht, habe sie nie "vernetzt". Es wäre schon beim ersten Treffen zur absoluten Katastrophe gekommen. Und so bin ich für beide ein guter Freund - und kein Knoten.
Gestern erreichte mich eine Mail: Ein paar Leute wollen ein Netzwerk der FEINDE DES NETWORKINGS gründen. Scheint mir sinnvoll, aber doch ein wenig paradox...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen