Montag, 12. November 2012

Schavan, die dritte oder: Ein Experiment

Vor vielen Jahren startete die satirische Zeitschrift Der Rabe ein Experiment. Sie verschickten Auszüge aus Musils Mann ohne Eigenschaften an sämtliche namhaften Verlage in Deutschland mit der Bitte, den Text herauszubringen. Das Ergebnis war eine Komödie erster Güte. Die einen zweifelten sehr an der Qualität des Romans, die anderen behaupteten, er würde nicht in ihr Verlagsprogramm passen, darunter auch Rowohlt, obwohl dieser Verlag ja ständig mit Stolz darauf hinwies, 1930 die Erstausgabe gedruckt zu haben. Es hatte einfach kein Lektor den Text erkannt.
Dies führte mich zu einem ähnlichen Experiment. Ich verschickte eine Anfrage an sämtliche deutschen Musikwissenschafts-Fakultätsvorstände mit drei Vorschlägen für Doktorarbeiten:
1.) Giovanni Biccini - Leben und Werk
2.) Musikgeschichte Flevolands
3.) Die 12-Ton-Technik beim späten Richard Strauss
Prof. Dr. Schübelbein aus Marburg schrieb mir, er sei sehr an 1.) interessiert, ich könne mich aber auf das Werk beschränken. Guter Mann! Hatte er die herrliche Affäre vergessen, bei die Mitarbeiter des Riemann-Lexikons ihrem Übervater den Komponisten Biccini hineinschmuggelten, mit so tollen Kompositionen wie die Missa supra sine (Messe oben ohne), um herauszufinden, ob Riemann es finden würde? Tatsächlich überlas es der Gute, und viele Jahre geisterte Biccini durch die Nachschlagewerke. Trotzdem gab es ihn nie.
Frau Prof. Ya-Sager - diese herrlichen binationalen Doppelnamen, schön auch Un-Fähig - aus Tübingen äusserte Interesse an 2.), gab aber zu bedenken, dass ich unbedingt einen Fachmann für Niederländisch hinzuziehen müsse, immerhin ginge es ja auch dann um Alt- und Mittelniederländische Quellen. Ja, da wird exakt gearbeitet in der Neckarstadt! Nur, liebe Frau Ya-Sager, Flevoland gibt es seit 1986, da wurde immer das heutige Idiom gesprochen, ich kann jede Quelle lesen. Zur Zeit des Altniederländischen sangen da nur die Möven und blubberten die Fische, das Land wurde erst im 20. Jahrhundert dem Meer abgewonnen.
Und 3.)? Das war natürlich zu simpel. Aber Prof. Dr. Dr. Dr.hc Flobinger aus Berlin schrieb mir, ich könne doch über die Vermeidung der Dodekaphonie bei Strauss schreiben. Gut, immerhin hat der Mann gemerkt, dass der letzte Spätromantiker keinen einzigen atonalen Takt hinterlassen hat, aber wie soll man hier Vermeidung feststellen? Bewusst vermeiden muss man nur simple Dinge, kein Mensch sagt doch: "Ich muss den ganzen Tag aufpassen, dass ich nicht aus Versehen die Yoga-Position Sonnengruss mache." "Ich achte beim Kochen darauf, dass keine Tschuz-Wurzeln ins Essen gelangen." Soll ich die Vier letzten Lieder so durchgehen: "Hier schreibt Strauss d-fis-a um nicht AUS VERSEHEN eine Zwölftonreihe zu schreiben?"
Ich hätte also sofort anfangen können, mit einer völlig schwachsinnigen Promotion. Und das ist der Unterschied zwischen Verlagen und Fakultäten: Bei Unkenntnis, Unbildung oder - und das müssen wir auch einmal sagen, denn die Personalschlüssel sind so, dass nirgendwo mehr sauber gearbeitet werden kann! - Überlastung wimmeln die Verlage ab. Und das sollten die Hochschulen auch tun.
Wer meint, 150 Doktoranden können in einer Fakultät noch sinnvoll betreut werden, lügt sich in die Tasche.

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