Donnerstag, 24. Mai 2012

Rüdesheim?


Am Dienstag werden sich viele gewundert haben, denn ich habe ja sonst immer vom Rhein-Main-Gebiet geschwärmt. Ich brauchte einfach die Verbindung von Kleist, Zusammenbruch und Frankfurter Bahnhof. Also gut, muss ich ein bisschen differenzieren:

Ich mag Mainz, da war ich sogar schon öfters in Ferien, ich mag Wiesbaden, ich liebe den Waldsee bei Rüsselsheim über alle Massen und ich liebe den Rheingau. Nachdem ich nun durch die Weinberge hin und her gewandert war, mir Östrich und Winkel und Eltville angeschaut hatte, alles ganz liebliche Städtlein, musste ich mir vor ein paar Jahren nun doch die Stadt ansehen, die für Touristen in aller Welt als der Innbegriff des Rheinufers gilt: Rüdesheim. Ich nahm allen meinen Mut zusammen, stellte mir ein grauenhaftes Szenario vor, verdreifachte meine Schreckensvorstellung und ging mit diesem Präjudiz hin. Es haute mich um: Diese Stadt war noch viermal so schlimm wie das Dreifache meiner Horrorvorstellung. Die an sich schönen Fachwerkhäuser waren so touristisiert, so dermassen mit Plastikweinreben, falschen Fässern und widerlichen Flaggen verunstaltet, die Luft so voll deutschen Liedgutes, die Speisekarten strotzten so sehr von Würstl, Kraut, Speck und Käsebrot, dass ich meinen Ärger nicht einmal mit einem wunderbaren Weissherbst sedieren konnte, ich hätte den  Rheinwein sofort ausgekotzt. Die Gassen waren gestopft voll mit Japanern, die ein Foto nach dem anderen machten und Amerikanern, die permanent nach dem Grossen Fass und nach Goethe fragten, denn aus transantlantischem Blickwinkel schrumpft Deutschland ja zu einer Miniaturstadt zusammen.

Rüdesheim teilt sein Schicksal mit allen Gemeinden, die für irgendjemand den  „typisch …………Ort“ darstellen, deshalb mag ich auch Zermatt nicht und deshalb mag ich Den Haag, eben weil Den Haag nicht so schrecklich „Holland wie aus dem Bilderbuch“  darstellt.

Mein Leidensweg in Rüdesheim ging übrigens noch weiter:  Nach dem ich einer Cafébesitzerin verzweifelt klarzumachen versucht hatte, dass ein Capuccino kein Kaffee mit Schlagsahne ist – ja es gibt sie noch die Lokale, die die Kunst des Milchschäumens nicht erlernt haben, es sind 10 in Deutschland, davon 8 in Rüdesheim, eines bei Neuschwanstein und eines in Jüterbog – fuhr ich mit dem Sessellift  zum Germaniadenkmal hoch. Hier war es nun auf andere Art grauenhaft, einigen betrunkenen Landsleuten kochte bei so viel Germanentum die deutsche Seele über und sie sangen die Nationalhymne mit allen drei Strophen. Ich haute sofort in die  – wirklich herrlichen – Weinberge ab.

Alles ist übrigens diesmal nicht erfunden, erfunden ist nur der Schluss:

Am nächsten Morgen war meine arme Seele noch immer so verwirrt, dass ich nach Winkel fuhr und mir im Morgengrauen auf den nebelbeschwadeten Rheinwiesen a la Günderrode einen Dolch ins Herz zu rammen versuchte, wovon mich ein paar Jogger gerade noch abhalten konnten.

Also: Fahren Sie nach Mainz und Wiesbaden, beides lohnt auf seine Weise, fahren Sie unbedingt in den Rheingau, besuchen Sie die herrlichen alten Städtchen, besichtigten Sie auf jeden Fall das Brentanohaus in Winkel und – Geheimtipp – probieren und kaufen Sie im Weingut Blümlein Frühburgunder, nein ich bekomme keine Prozente.

Aber machen Sie einen weiten, weiten, riesigen Bogen um Rüdesheim. Es lohnt sich.
















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen