Freitag, 30. April 2021

Ein wenig ausholen?

Manchmal ist es so, dass ein Post einen anderen Post nach sich zieht. Da hat man ein Stichwort gesetzt, ein Thema angeschnitten, einen Punkt angestossen und eine Frage gestellt. Und dann muss man da weitermachen.
Manchmal ist es aber auch noch schlimmer. Da hat man zwei Stichworte gesetzt, zwei Themen angeschnitten, zwei Punkte angestossen und zwei Fragen gestellt und dann zieht der Post zwei Posts nach sich, so ein wenig wie beim Schneeballsystem, oder anders gesagt: Der Post wird zur Hydra, der ja auch zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihr einen abschlägt.

Die beiden Köpfe, die dem letzten Post erwuchsen, die beiden Stichworte, die beiden Themen, die beiden Fragen und Punkte, die dem Post über die Superlative entsprangen, sind:
Ausholen – wollen wir das wirklich?
Kuppelkirche – wäre das nicht eine gute Sache?
Und so wird es heute um das Ausholen gehen.

Wir erinnern uns, ich begann den letzten Post mit dem Satz:

Für den heutigen Post muss ich ein wenig ausholen.

Geben Sie es zu, gestehen Sie es ehrlich, bei diesem Satz liefen Ihnen kalte Schauer über den Rücken. Die Haare standen Ihnen zu Berge und die Arme bekamen Gänsehaut. Der Magen stülpte sich nach oben und das Herz sackte nach unten, die Finger begannen zu zittern und die Füsse vibrierten. Ihnen war so, wie einem ist, wenn der Wohnzimmerschrank auf einen kippt oder ein Auto auf Sie zurast.

«Ich muss ein wenig ausholen», das sagte Ihr Deutschlehrer in der 10. Klasse immer, und dann startete er bei jenem Wunsch der Orsina in Emilia Galotti, der Marchese Marinelli möge Sie doch belügen, weil die Wahrheit (der Prinz WILL sie nicht sehen) zu grausam ist. «Ich muss ein wenig ausholen», sagte der Deutschlehrer, und dann startete er zu einer Weltgeschichte der Lüge, begann – nicht redensärtlich (sic) sondern wortwörtlich – bei Adam und Eva, bei jener Story, wo ja die Schlange die Eva und die Eva den Adam und beide Jahwe belügen, und ging dann weiter durch AT und Altertum und war nach 30 Minuten noch immer nicht in der Zeit n. Chr. angekommen.
Das Furchtbare war nun, dass man nicht einfach einschlafen konnte, dass man nicht einfach Schiffe versenken spielen konnte oder etwas anderes machen, nein, der fiese Typ konnte einen jederzeit aufrufen und wenn man dann keinen Beitrag leisten konnte, dann bekam man eine schlechte Note.

«Ich muss ein wenig ausholen», das sagte Ihre Geschichtsprofessorin an der Uni immer, und hier konnte dann alles einen weiten Gang nehmen, denn man konnte von Stalingrad zur Beresina kommen, und von den Beresinasöldnern zu den Wirren der Eidgenossenschaft, von den Schweizern zu den Schweizergarden und dann ist man im Vatikan und findet – nachdem man noch eine halbe Stunde bei Borgia und Canossa verweilte – tatsächlich über das Reichskonkordat zu den Nazis und zu Stalingrad zurück.
Das Schreckliche war nun hier, dass man nie wusste, ob ein Thema oder ein Punkt in einer Prüfung drankommen könnte, das heisst, man konnte nie wirklich abschalten, Mails schreiben, Facebook checken, twittern oder googeln. Man musste irgendwie aufpassen, denn jeder Punkt konnte prüfungs- und damit auch creditpointrelevant sein.

«Ich muss ein wenig ausholen», das sagt nun auch Ihr Chef. Und hier ist die Lage noch viel, viel, viel, viel fataler. Sie sitzen nicht im Klassenzimmer, Sie sitzen nicht im Hörsaal, sie sitzen in Konferenzzimmer 3, einem Raum mit einem runden Tisch, das heisst Sie können sich nicht verstecken und Ihr Gesicht ist ständig sichtbar. Und wenn nun Ihr Chef vom Kiew-Auftrag zu den Aufträgen in Odessa (2012), Minsk (2013) und Prag (2014) kommt, obwohl diese Projekte mit dem Kiew-Projekt so viel zu tun haben wie Kirschen mit Diamanten, dann müssen Sie dennoch Aufmerksamkeit heucheln.
Denn: Einschlafen wäre Todsünde, Wegdösen würde eine harte Massnahme bedeuten, oder anders formuliert: Wenn Sie jetzt wegpennen, dann sind das 5000.-- weniger Bonus.

Warum fällt es uns so schwer, beim Thema zu bleiben? Warum fällt es uns so schwer, nur einen kleinen Exkurs zu machen? Warum treibt es uns so weit, weit, weit weg?
Zumal ja das Wort «ausholen» auch an harte körperliche Massnahmen erinnert. Ausholen muss man auch für eine Ohrfeige. Ausholen tut man für einen Boxhieb. Nach dem Ausholen kommt eine Hautverletzung oder ein Nasenbeinbruch.

Ich begann den letzten Post mit dem Satz:

Für den heutigen Post muss ich ein wenig ausholen.

Geben Sie es zu, bei diesem Satz liefen Ihnen kalte Schauer über den Rücken. Die Haare standen Ihnen zu Berge und die Hände bekamen Gänsehaut. Der Magen kippte sich nach oben und das Herz rutschte nach unten, die Finger begannen zu beben und die Füsse auch. Ihnen war so, wie einem ist, wenn der Bücherschrank auf einen kippt oder ein Mofa auf Sie zurast.

Nichts ist schlimmer als «ein wenig ausholen».
Also lassen wir es doch.







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