Dienstag, 4. Mai 2021

Kuppelkirche

 Gehen wir ein bisschen in die Kulturgeschichte:

(Die Bühne stellt das Innere der Katharinenkirche in schrägem Durchschnitt dar; von dem Hauptschiff, welches links ab dem Hintergrund zu sich ausdehnend anzunehmen ist, sind nur noch die letzten Reihen der Kirchenstuhlbänke sichtbar. In der letzten Reihe der Kirchstühle sitzen Eva und Magdalena; Walther von Stolzing steht, in einiger Entfernung, zur Seite an eine Säule gelehnt, die Blicke auf Eva heftend, die sich wiederholt zu ihm umkehrt. Beide wechseln Blicke und Gebärden auch
während des folgenden Chorals)

DIE GEMEINDE
Da zu dir der Heiland kam / willig seine Taufe nahm,
weihte sich dem Opfertod / gab er uns des Heils Gebot:
das wir durch sein' Tauf uns weihn / seines Opfers wert zu sein.
Edler Täufer! / Christs Vorläufer!
Nimm uns gnädig an / dort am Fluß Jordan!

(Die Gemeinde erhebt sich. Alles wendet sich in die Kirche. - Walther heftet in höchster Spannung seinen Blick auf Eva, welche ihren Sitz langsam verlässt und, von Magdalene gefolgt, langsam in
seine Nähe kommt. Da Walther Eva sich nähern sieht, drängt er sich gewaltsam, durch die Kirchgänger durch, zu ihr.)

Dies ist der Beginn der Riesenoper «Die Meistersinger von Nürnberg» von Richard Wagner. Ich habe neulich über den Begriff der «Kuppelkirche» gewitzelt und dabei geschrieben
P.S.
Eine Kuppelkirche ist kein Ort, wo Jim und Jon ihre …länge verhandeln, das kommt nicht von «kuppeln» sondern von der «Kuppel», dem runden Dachbau.
Nun, Walther von Stolzing wird Eva sicher nicht mit plumpen, obszönen Details seines Körpers kommen, aber aus wirklich religiösen Gründen scheinen beide nun nicht in der Kirche zu sein. Immerhin befinden wir uns am Vorabend des Johannistages, einem entscheidenden Fest und die Gemeinde singt einen ergreifenden Choral, die beiden haben aber nichts Besseres zu tun, als während des Gesanges zu flirten. Die Musik unterstreicht dies auch noch eindrücklich: Die «Orgelzwischenspiele» zwischen den Choralzeilen sind nicht bachisch, sondern schmachten im «Liebesmotiv».

Jetzt kommt aber das Entscheidende:
Das war früher normal.
Glauben Sie wirklich, die jungen Burschen und die jungen Mädchen hätten vor 150 oder 100 Jahren nichts Besseres zu tun gehabt, als der Predigt zu lauschen? Als andächtig vor sich hinzublicken? Als geistig versunken in anderen Sphären zu schweben? Nein, die Kirche war ein Heiratsmarkt, wenn man schon eine Stunde auf der harten Bank sitzen (oder gar knien) musste, dann konnte man doch das harte Sitzen (oder Knien) nutzen, um Blicke zur anderen Seite hinzuwerfen (man sass ja getrennt), zu lächeln, zu grinsen, sprich, Aufmerksamkeit zu erregen. Drauskommen konnte man nicht, die Messtexte konnte man im Schlaf auswendig, und so konnte Marie, während sie «…Kyrie eleison…Christe eleison…Kyrie eleison» murmelte, denken: «Mei Güt, sieht dr Heini fäsch aus mit seine starke Arm.» Und der Heini konnte «…et in Spiritum tuum…» brabbeln und dabei «…hat die grosse Brüste!» in seinem Kopf haben.

Warum passiert das heute nicht mehr?
Die Frage ist wohl müssig. Wenn man sich heute Marie und Heini vorstellt, dann sind sie, wenn sie jung sind, eben nicht mehr in der Kirche, sondern im Club, wenn sie über 30 sind, benutzen sie Dating-Plattformen und nur wenn sie 80 sind, findet man sie noch in der Kirche, aber dann sind ihre Gedanken eher bei der Predigt, weil eben der Heini keine starken Arme mehr hat und die Brüste von Marie den Bleistifttest schon lange nicht mehr bestehen.

Aber hier müsste die Kirche ansetzen.
Sie müsste Tinder® und Parship® ausstechen, sie müsste wirklich zur Kuppelkirche werden. Der Gottesdienst müsste wieder der Ort werden, wo man flirten kann.
Wie sie das macht…
Nun ja, das weiss man nicht, aber es wäre die Chance, die Kirchenaustritte zu stoppen.

Das bringt mich noch zu einem meiner Lieblingswitze:
Der junge Bursch ist beim Beichten und muss eine Unkeuschheit gestehen. Der Priester lässt es nun aber nicht einfach gut sein, er will unbedingt den Namen wissen. Der Bursch bleibt aber stur. «Es war die Lene, nicht wahr», hakt der Geistliche nach. Der Bursch verneint. «War es die Gitte?» Der Bursch verneint. «Es war die Lore, gib es zu.» Der Bursch verneint. «War es die Mira?» Der Bursch verneint. Schliesslich wird es dem Priester zu dumm und er absolutiert.
Als der Bursch vom Kollegen gefragt wird, ob es schlimm war, sagt er: «Es war super. Ich habe vier neue Namen bekommen.»

Hier wird Kuppelkirche ihrem Namen gerecht.









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