Dienstag, 20. April 2021

We gut ist "The Hill We Climb" nur gelesen?

Von Joseph Haydn wird überliefert, er habe gesagt, das Wichtigste sei eine gute Melodie, und wenn man wissen wolle, ob eine Melodie gut sei, solle man sie ohne Begleitung singen.
Also Melodie ohne Schnickschnack.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten für einen Food-Blog Penne oder Rigatoni testen, und zwar die Penne oder Rigatoni vom DENNER, vom ALDI, vom Coop oder der Migros. Wie würden Sie beim Testen vorgehen? Würden Sie die Nudeln vom DENNER, vom ALDI, vom Coop oder der Migros mit oder ohne Sauce, mit oder ohne Käse, mit oder ohne einen Schluck Vino Rosso probieren? Natürlich ohne alles, einfach nur Penne oder Rigatoni, Sauce, Käse und Wein würden ja alles überdecken.

Von Joseph Haydn wird überliefert, er habe gesagt, wenn man wissen wolle, ob eine Melodie gut sei, solle man sie ohne Begleitung singen.
Melodie ohne Schnickschnack.

Stellen Sie sich vor, Sie suchen eine Wohnung. Wie schauen Sie lieber eine solche Wohnung an? Leer oder bewohnt? Sicher doch leer – was nicht immer geht, leider. Wenn die Wohnung bewohnt ist, dann können Le Corbusier-Sofa, Werner Panton-Tisch und Originaldrucke an den Wänden über die eindeutigen Mängel der Wohnung hinwegtäuschen, umgekehrt wird Ihnen in einer nach Kohl riechenden und verrauchten Wohnung mit hässlichen Teppichen, hässlichen Möbeln, hässlichen Bildern und hässlichen Menschen vielleicht nicht klar, wie schön das Appartement ist.

Von Joseph Haydn wird überliefert, er habe gesagt, das Wichtigste sei eine gute Melodie, man solle zum Test ohne Begleitung singen.
Einfach Melodie.

Wie erkennt man nun die Qualität eines Textes?
Indem man ihn liest.
Und zwar ohne Schnickschnack.
Und genau das habe ich getan.

Was ist nun The Hill We Climb für ein Text, wenn ich ihn selbst lese, wenn ich also die bildhübsche rezitierende Frau subtrahiere, ihr schickes gelbes Kostüm und die beindruckende Rotes Band-Frisur subtrahiere, ihre wohlklingende Stimme subtrahiere, ihre ausufernden Gesten subtrahiere? Was bleibt von diesem epochemachenden Gedicht?

Nix.

The Hill We Climb ist der schlechteste Text, den ich seit langem gelesen habe. Es ist für mich absolut, und ich meine absolut erstaunlich, dass man sich streitet, wer dieses Machwerk übersetzen DARF. Man müsste sich streiten, wer es übersetzen MUSS.
Das Gedicht (ist es überhaupt ein Gedicht?) ist streckenweise einfach politischer Sachtext, um dann im nächsten Moment in ein Pathos zu kippen, das einem die Magensäure in die Speiseröhre treibt. Zudem hat Amanda eine Vorliebe für Alliterationen und die Anhäufung derselben ist selbst für mich als Wagnerianer zu viel:

To compose a country committed
To all cultures, colors, characters
And conditions of man.


Weiss Miss Gorman nicht, dass jeder Konsonant einen bestimmten Klang hat, weich, ruppig, hart, tödlich, konsequent, zögernd usw.?
Merkt Miss Gorman nicht, wie die Salve von K – K – K – K– K– K– K klingt, nämlich wie ein Hacken? Was wird da siebenfach abgehackt, die Köpfe der Thanksgiving-Truthähne (immerhin denkt Amanda sehr traditionell) oder die Köpfe von Trumpisten – das widerspräche aber den Gesten der Versöhnung, die ihr Werk durchzieht:

We close the divide,
Because we know to put
Our future first, we must first
Put our differences aside.


Dies mit dem K nur als ein Beispiel, ich finde das Ding grottenschlecht, und wahnsinnig veraltetet und wahnsinnig epigonal, das, wenn man wenn ich ihn selbst liest, wenn man die bildhübsche rezitierende Frau subtrahiert, ihr schickes gelbes Kostüm und die beindruckende Rotes Band-Frisur, ihre wohlklingende Stimme und ihre ausufernden Gesten.

Von Joseph Haydn wird überliefert, er habe gesagt, das Wichtigste sei eine gute Melodie, und wenn man wissen wolle, ob eine Melodie gut sei, solle man sie ohne Begleitung singen.
Ohne Schnickschnack.













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