Dienstag, 15. September 2020

Man kann Protokolle auch schon vorher schreiben

Ich bin wieder einmal Protokollführer im Vorstand des Katholischen Kirchenchores, in dem ich singe. Für die heutige Sitzung haben wir die folgende Traktandenliste:

1) Begrüssung und Genehmigung der Traktandenliste
2) Protokoll der letzten Sitzung
3) Chorausflug am 20.9.
4) Cäcilientag (Essen)
5) Aufräumen Archiv
6) Termin nächste Sitzung

Die Sitzung beginnt zum Glück pünktlich und dann bin ich am Rotieren. Ich bete, dass die Traktandenliste und das Protokoll genehmigt wird, das ist so, die Traktandenliste, weil sie vernünftig ist, das Protokoll hat (wie immer) niemand gelesen.
Den Chorausflug organisiere ich selbst und habe ein wunderschönes Programm vorbereitet, das ich vorstelle: Über Zürich nach Rorschach, mit dem Schiff nach Lindau, dort Stadtführung und Mittagessen, weiter mit dem Zug nach Altenrhein, dort Besichtigung des Hundertwasser-Hauses und Kaffeetrinken und via Zürich heim. Der Plan wird anstandslos genehmigt.
Schwieriger wird das Essen, wieder habe ich Glück, und Braten mit Gemüse und Pommes ist auf der Vorschlagsliste, aber ich muss mich sehr ins Zeug legen, dass das Fischgericht und die Lasagne nicht zum Zuge kommen. Einfacher wird es auch nicht mit dem Archiv, es kostet einige Überzeugungsarbeit, bis alle einverstanden sind, dass die Archivarin Pippi und die Chorleiterin Peppi dies zusammen in Angriff nehmen.
Beim Termin kann ich an keinem anderen Donnerstag (alle anderen Tage gehen eh nicht bei allen) als am 5.11. und dann muss ich noch ein wenig rummachen, bis die Präsidentin Poppi die Sizung um 21.30 beenden kann.

Sie fragen sich natürlich nun: Warum das alles?
Weil ich das Protokoll schon vorher geschrieben habe und keine Lust empfinde, das noch einmal zu ändern:

1) Begrüssung und Genehmigung der Traktandenliste
Poppi begrüsst um 20.00 die Anwesenden Peppi, Pippi, Koby, Toby, Roby und Rolf (Protokoll); die Traktandenliste wird genehmigt.
2) Protokoll der letzten Sitzung
Das Protokoll vom 5.7.2020 wird genehmigt und verdankt.
3) Chorausflug am 20.9.
Rolf stellt einen wunderschönen Plan für einen Bodensee-Ausflug vor, der begeistert angenommen wird.
4) Cäcilientag (Essen)
Nach längerer Diskussion entscheidet man sich für Braten mit Pommes.
5) Aufräumen Archiv
Nach längerer Diskussion werden Pippi und Peppi beauftragt, das Archiv auszumisten.
6) Termin nächste Sitzung
Die nächste Sitzung ist am 5.11.2020 um 20.00. Poppi schliesst um 21.30 die Sitzung.

So muss man es machen.
Nicht muss ein Text sich der Wirklichkeit anpassen, sondern die Wirklichkeit dem Text.

Ich habe vor einigen Jahren für einen Reiseführer das Restaurant ZUM GOLDENEN SPERBER in Mallingen (SO) besprochen und endete mit den Worten: Leider hat es an der bildschönen Fassade aus dem 17. Jahrhundert etliche hässliche Sprayereien. Die, als der erste Leser dort einkehrte, schon entfernt waren. Was tat ich, was tue ich? Ich fahre regelmässig nachts nach Mallingen und besprühe die Fassade, wenn ich von hässlichen Sprayereien schreibe, dann sind da welche.

Genauso habe ich bei einem Konzert der Musikfreunde Zuzen (TG) so lange «Bravo» gerufen, bis der Solist nach dem Violinkonzert von Mendelssohn eine Caprice von Paganini als Zugabe spielte. Ich hatte natürlich auch meinen Text schon fertig:

Für den verdientermassen tosenden Applaus bedankte sich der Solist mit einer Caprice von Paganini als Zugabe.

Über die klassischen Beispiele dieser Wirklichkeit-an-Literatur-Anpassung habe ich – so glaube ich – schon einmal geschrieben, am 9.1.2017 (Die Tafel in Buffalo, die nach dem Gedicht von Fontane für John Maynard aufgestellt wurde und der Balkon der Julia, der auch nachträglich an das Haus kam.)

So muss man es machen.
Und jetzt kommt mir eine Idee: Ich werde alle meine Posts durchgehen und alle erfundenen Geschichten wahr machen.
Also:
Kennt jemand einen Kirchenchor, der von einer Peppi geleitet wird und in dem Poppi, Pippi, Koby, Toby und Roby singen? Ich würde dort gerne eintreten und im Vorstand mitarbeiten.

Aber nur wenn die nächste Sitzung am 5.11. ist…

Autsch, den Ausflug muss ich ja dann auch organisieren. Zum Glück ist das Hundertwasser-Gemeindehaus in Altenrhein NICHT erfunden (übrigens sehr sehenswert!)

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