Freitag, 4. September 2020

Im Corona-Tempo

Ein Freund von mir möchte für seine Website www.lesenswertebuecher.ch eine Besprechung von Robert Seethalers neuestem Werk Der letzte Satz, 30 Zeilen, bis morgen.
Bis morgen?
Nun ist der Roman kein dickes Buch, nur ca. 100 Seiten, auch das Thema ist mir als Musiker bekannt, es geht um Gustav Mahler, ebenso bin ich mit Seethalers Stil ein wenig vertraut, ich habe (fast) alles von ihm gelesen, das Werk liegt auch bei mir im Arbeitszimmer, ich müsste nicht in meine Buchhandlung, zudem sind 30 Zeilen auch nur 30 Zeilen, aber dennoch…
Bis morgen?
Ich rufe meinen Freund an. Corona-Tempo, meint er. Und auf ein relativ lautes „Hä?“ von mir, beginnt er zu erklären: Es gebe ein Corona-Tempo, ich hätte doch auch schon gemerkt, dass in Zeiten von Covid19 alles ein wenig schneller ginge, so baue man ein Spital eben nicht mehr in einem Jahr, sondern eben in einer Woche, Gesetze witschten in Windeseile durch die Parlamente, auch Gesetze, die Zahlungen in Milliardenhöhe nach sich zögen, und ein Impfstoff, für den man sonst 4 bis 5 Jahre rechne, sei in einem Dreivierteljahr da. Alles ginge rasanter, und da brauche man für eine Rezension eben auch nur einen Tag.

Ich komme ins Grübeln: Ist das so einfach?

Stellen Sie sich vor, Sie brauchen für einen Apfelkuchen vom Erstes-Ei-aufschlagen bis zum Kuchen-in-den-Ofen-stellen normalerweise 30 Minuten. Und an einem Tag merken Sie, dass Sie vom Erstes-Ei-aufschlagen bis zum Kuchen-in-den-Ofen-stellen nur zehn benötigt haben. Es gibt drei mögliche Erklärungen:
Erklärungsversuch 1:
Sie sind von Helios, Poseidon und Ares – vielleicht auch von Dionysos – umarmt und geküsst worden, und Helios, Poseidon und Ares – vielleicht auch Dionysos – haben Ihnen so viel Sonnenenergie, Meeresbrausen und Kriegslust – vielleicht auch Ekstase und Rausch – gespendet, dass Sie über sich hinausgewachsen sind, eine Sternstunde hatten, dass Sie so viel Power in sich fühlten, dass alles in einem Drittel der Zeit ging.
Erklärungsversuch 2:
Sie waren schlicht und einfach sonst immer zu langsam, weil Sie halt ein Schlurfi sind, ein Trödler, ein Herumwurschtler, jemand, der den Spruch Gut Ding will Weile haben tief verinnerlicht hat.
Erklärungsversuch 3:
Sie haben gepfuscht. Schon beim Eieraufschlagen ist Ihnen Schale in die Schüssel gefallen, Mehl, Zucker, Fett und Backpulver haben Sie falsch abgemessen und die Äpfel sind so mies gerüstet worden, dass sich nicht nur Schalenreste, sondern auch Teile des Gehäuses, Kerne und – man stelle sich das vor! – der Stiel auf dem Teig befindet.

Ich halte Erklärung 3 für die wahrscheinlichste.
Warum sollten Helios, Poseidon und Ares – vielleicht auch von Dionysos – die hehren und edlen Götter, Ihnen so viel Energie spenden, wenn es um einen Apfelkuchen geht? Nicht um die Rettung der Welt oder den Kampf um Troja, sondern um ein simples Fruchtgebäck?
Warum sollte es so sein, dass Sie die bisher abgelaufenen 30 Jahre Ihres Lebens lang für Apfelkuchen zu lange gebraucht haben?
Nein.
Es ist 3.) Der Kuchen ist ein Pfusch, er taugt nur dafür, den Nachbarskatzen verfüttert oder den Ärmsten am Bahnhof mit ihren „Habe Hungger – bittä Essen“-Schildern gegeben zu werden. Er taugt für den Müll, den Misteimer, er taugt für die Tonne oder den Chüder.
Nicht für die Schwiegermutter oder für das Geburtstagskind.

Gut Ding will Weile haben.
Das habe ich oben jemand als Negativum rangeklatscht, aber eigentlich ist das eine Weisheit.
Die zu meiner Jugendzeit voll gültig war.
Gut Ding will Weile haben.

Und sehen Sie, so ist das mit den Corona-Tempo-Sachen auch.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Spital, dass in 168 Stunden hochgezogen wurde, so professionell und stabil ist, wie eines, das seine normale Werdezeit haben durfte. Man wird die Mängel nie erfahren, es sei denn, es kracht spektakulär zusammen. (Frage: Sind das dann Covid19-Tote?)
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Billionen-Gesetze, die an einem Tag das Parlament passieren, keine Mängel haben. Irgendwann wird das Geld fehlen, es sei denn, man schafft es, die zu besteuern, die am meisten an der Krise verdient haben: Die Herren Google und Facebook, Microsoft und wie sie alle heissen…
Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Impfstoff, für den man sonst 5 Jahre bräuchte, in einem ¾ Jahr die gleiche Qualität bekommt, wirksam und ohne schlimmste Nebenwirkungen. Was habe ich davon, wenn ich zwar super vor dem Virus geschützt bin, aber hinke und ertaube?

So, jetzt muss ich an meinen Seethaler.
Mein Kumpel zahlt mir das Dreifache, so teilte er eben mit, wenn die Rezension schon HEUTE Abend fertig wird.

Es wird der schlechteste Text meines Lebens.

 

 

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