Freitag, 18. September 2020

Deutsche Puppen oder: Nazis hängen sich überall dran

Hilde Holder hat eine kleine Puppen-Manufaktur in Goldhausen (Odenwald). Sie bezieht alle Materialien von örtlichen Fabriken, wo diese ökologisch und sorgfältig produziert werden. Aus diesen fertigt sie dann wunderbare kleine Meisterwerke, die von den Familien des Ortes genauso geschätzt werden wie von den Touristen.

Hilde kleidet ihre Puppen in Trachten der Region. Nicht, weil sie besonders konservativ oder eine Brauchtums-Fanatikerin ist, sondern weil sie die Trachten einfach schön findet – und auch gut kennt. Ihre Grossmutter ging in ihrem Dorf in der Tracht in die Kirche, ihre Gotte (in einem anderen Dorf) auch, und ebenso der Grossonkel und der Urgrossonkel (in wieder anderen Dörfern). Und weil in jedem Dorf die Stoffe und Farben ein bisschen anders waren, ergibt sich bei ihren Püppchen eine nette Vielfalt.

HILDES PUPPENSTUBE am Markplatz von Goldhausen ist ein entzückender Fachwerkbau, und wer durch die weinlaubumkränzte Türe in einen heimeligen Raum aus dem 18. Jahrhundert getreten ist, ist dem Charme der Puppenstube schon erlegen und wird auch ein Püppchen kaufen…

So weit so gut.

Das alles ist wunderbar, bis an einem nebligen Herbsttag ein Fremder bei Hilde eine Puppe kauft. Er macht einen etwas komischen Eindruck, ist sehr kurzhaarig (oder sagen wir Glatze?), trägt strenge Kleidung und hat ein wenig zu feste Schuhe. Aber wenn Hilde nicht auch Kunden bedienen würde, die kurze Haare (oder sagen wir Glatze?) haben, ein bisschen strenge Kleidung tragen und Schuhe besitzen, die anderen zu fest wären, dann könnte sie ihren Laden dichtmachen.

Allerdings war diese Verkaufsaktion ein Fehler.
Als Hilde drei Wochen später zu ihrem Laden kommt, hat jemand die Scheibe eingeschlagen und gross an die Hauswand gesprüht:
NAZI-LADEN

Hilde geht zur Polizei, und man hat da schon ein paar Verdächtige, die Linke Aktion, die Antifa usw. Und man recherchiert und konfrontiert Hilde zwei Wochen später mit einem Flyer. Hier steht:

Kein Sexspielzeug und keine Roboter in unseren Kindergärten!
Deutsche Puppen für deutsche Mädchen!
Deutsche Panzer für deutsche Jungs!


Unter diesem Text ist ein Foto, auf dem zwei Kinder vor einer Reichskriegsflagge sitzen. Der Bub hält einen Panzer in der Hand und das Mädchen…
eine von Hildes Puppen.

Aber Hilde Holder ist keine, die sich so leicht unterkriegen lässt. Sie schafft es durch Zettel und Aushänge allen klarzumachen, dass sie kein Mitglied bei den Reichsbürgern oder der Deutschen Bewegung ist. Und sie verzichtet auf eine Anzeige und lädt Antifa und Linke Aktion zu einem Podiumsgespräch ein, moderiert von Dr. Gunther Delb, dem Chefredakteur des Odenwälder Boten.
Hier zwei Auszüge:

Delb: Sie werfen Frau Holler vor, dass sie zu blauäugig war?
Antifa: Ja, man muss schon wissen, an wen man verkauft.
Holder: Ich soll also meine Kunden erst verfassungsschutzrechtlich überprüfen lassen? Nach dem Motto: Sie können bestellen, aber ich muss erst den VS fragen, und dann kommt die Ware per Post?
(Gelächter im Publikum) 

Delb: Ebenso steht der Vorwurf im Raum, das Sortiment zeige keine multikulturelle Vielfalt.
Linke Aktion: Absolut. Wir haben nicht nur Deutsche in Goldhausen.
Holder: Und dann verkaufe ich Puppen mit dunkler Hautfarbe, dann spielen entweder die Goldhausener Kinder mit – verzeiht mir den Ausdruck – Negerpuppen oder die Nazis kaufen welche und machen Fotos, wo sie die verbrennen.
(Gelächter im Publikum)

Nein.
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Rechten sich überall dranhängen.
Wenn man versucht, eine sachliche Debatte über das Kopftuch, eine Debatte über Flüchtlinge, wenn man versucht, eine Diskussion über deutsches Kulturgut an den Schulen zu führen, hat man sie an der Backe.
Und wenn es um Corona geht, in den Ländern, die wenig oder keine Massnahmen hatten, haben die Rechten genau das kritisiert, z.B. in Schweden. Eigentlich kann man auch sagen: Sie sind immer gegen die Regierung.

In dem Podiumsgespräch wurde natürlich auch über Tracht als solche geredet. und hier gibt es ein schönes Beispiel: Oskar Maria Graf war ein bayrischer Schriftsteller, der sein ganzes Leben in Lederhose, Trachtenhemd und Sepplhut herumlief. Er schrieb bayrische Geschichten, zum Teil auch in Mundart. Die Nazis umwarben ihn wie eine Braut. Er aber – war ein Linker; und er emigrierte nach Amerika.

Wo er immer noch in Lederhose, Trachtenhemd und Sepplhut herumlief.



 

 

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