Ich bin jetzt Wikipedia-Autor!
Ja, wirklich und wahrhaftig! Und das kam
so: Ich stiess beim Wiki-Stöbern auf einen ehemaligen Studienkollegen, der in
einem Amte mein Nachfolger war und in dem Artikel etwas zu stark upgegradet
war:
In xxxxx
war er von 19xx bis 20xx xxxxxxxx der renommierten xxxxxxxxxxxxxx.
(Wir müssen
hier leider anonymisieren, die Anzahl der ausgeixten Buchstaben stimmt aber.)
Ich ärgerte mich ein wenig, denn es war
das Vize-Amt. Also machte ich mich an die Arbeit und meldete mich bei Wikipedia
an. Das ist gar nicht schwierig, Sie müssen weder diplomiert, noch promoviert,
Sie müssen weder habilitiert noch renommiert sein, Sie müssen nur ein paar
graue Zellen haben – ach ja, und einen Computer und ins Internet können. Dann
können Sie ändern, so viel Sie wollen, Sie müssen alles nur – und das ist das
Entscheidende! – belegen können, dann wird das von den Wiki-Redakteuren
kontrolliert und, wenn Sie Glück haben, bleibt die Änderung.
Im obigen Fall war das einfach, denn im
Eintrag der xxxxxxxxxxxxxx war er nämlich als Vize aufgeführt. Also
steht da jetzt heute in seinem Wiki-Text:
In xxxxx
war er von 19xx bis 20xx Vize-xxxxxxxx der renommierten xxxxxxxxxxxxxx.
Eine zweite
Korrektur stammt auch von mir:
Simone
Lappert ist Mitglied der Basler Lyrikgruppe und Kuratorin der internationalen
Lyrikervereinigung Babelsprech. Sie ist die Nichte und Patentochter des
Schweizer Schriftstellers Rolf Lappert.
Bis zu
meiner Korrektur stand da nämlich «ist mit dem Schweizer Schriftsteller Rolf
Lappert verwandt», das fand ich doch sehr geschludert, geschlampt, zu ungenau
und unpräzise, Verwandtschaft kann ja «angeheiratete Cousine 5. Grades» oder
eben Nichte bedeuten, und gerade Patinnen und Paten haben ja oft einen starken
Einfluss auf ihre Schützlinge gehabt.
So weit, so
gut.
Nun werde
ich aber immer wieder von Menschen angegangen, ob ich über sie einen Artikel
schreiben könnte. Kann ich schon, bringt aber nix, weil der nicht drinbleibt. Mein
Nachbar z.B. schickte mir neulich einen Text über ihn:
Urs Däubli wurde 1954 in Zuchwil (SO) geboren und besuchte dort die Primarschule und die Sekundarstufe. Ab 1970 liess er sich bei der Firma Hilber&Hilber zum Feinmechaniker ausbilden und schloss 1974 mit dem EFZ ab, bei Hilber&Hilber blieb er bis 1994, als er zur Firma Blattner nach Basel wechselte und auch nach Basel zog. 2009 übernahm er das Amt des Abwarts im Historischen Museum. 2019 trat er in den Ruhestand. Urs Däubli ist Mitglied im Gemischten Chor Aesch und geht gerne mit seinen Hunden spazieren. Er ist alleinstehend.
«Irrelevant», musste ich ihm leider sagen, «dein Leben ist irrelevant, und das meine ich nicht religiös oder philosophisch, sondern wikipedianisch, der Text verschwindet so schnell, wie ich ihn eingestellt habe.»
Heikler wird
es mit Passagen, die man gerne draussen hätte, die einem peinlich sind, die
aber stimmen. Es gibt noch keinen Wiki-Artikel über mich (Nein, ich schreibe
keinen über mich selber, das ist irgendwie daneben, das macht man nicht, es ist
nicht verboten, aber einfach pfui, so wie Nasepopeln oder sich am Sack
kratzen), aber wenn es einen gäbe, könnte dort drinstehen:
Von 1991
– 1995 war er Bratschist im Neuen Orchester Basel.
oder
Nach dem
Bewerbungen für ein weiteres Studium in Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart und
Frankfurt schiefgegangen waren, studierte er…
Abgesehen
von der Bratsche (wer denkt da nicht an die ca. 1000 Bratscherwitze, sie gelten
ja als die Ostfriesen des Orchesters), das NOB war damals – im Gegensatz zu
heute! – ein Ensemble, das zur Hälfte aus Laien bestand und sein Dirigent
konnte ziemlich viel, dirigieren konnte er nicht.
Und das mit
den Bewerbungen ist korrekt: Es gab eine lange Durststrecke, bis ich 1997 bei
Manfred Schreier anfangen konnte und später mein Studium mit der Künstlerischen
Abschlussprüfung beendete.
Diese
Eintragungen bekommt man nicht weg. Und das ist auch gut so.
Stellen Sie
sich vor, alle Menschen mit dunkler Vergangenheit könnten sich zu Wiki-Autoren
machen und dann hässliche Flecken in ihrer Bio entfernen. Für die Wiki-Redakteure
stellt sich bei einem Eintrag wie der folgende
Hans
Meier war von 1940 – 1945 Mitglied der Waffen-SS und war ab 1943 Aufseher im
Konzentrationslager Ausschwitz
nur die eine
Frage: Stimmt es? Wenn es wahr ist, wenn Sie nicht beweisen können, dass man Ihrem
Grossonkel, Ihrem Grossvater, dass man Ihrem Patenonkel oder Ihrem Grosscousin
da etwas untergeschoben hat, dann haben Sie keine Chance.
Und das ist
auch gut so.
Ich bin jetzt Wikipedia-Autor!
Ja, wirklich und wahrhaftig!
Und: Man kann Texte bei mir in Auftrag
geben. Aber überlegen Sie sich gut:
Sind Sie eine echt relevante Persönlichkeit?
Die Enttäuschung könnte sonst gross sein.
Die Enttäuschung könnte sonst gross sein.
Haben Sie dunkle, schmutzige Stellen in
Ihrer Biographie?
Ich kann sie nicht verschweigen.
Ich kann sie nicht verschweigen.
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