Dienstag, 3. September 2019

Sollte die AfD nicht doch in die Regierung?


Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen stellt sich doch nun die klare Frage, ob eine Partei, die 25% der Wählerinnen und Wähler repräsentiert, nicht in die Regierung müsste. Gerade in der Schweiz wird diese Frage besonders hartnäckig gestellt, wobei meine eidgenössischen Kolleginnen und Kollegen vergessen, wie anders das politische System in der BRD ist. In der Schweiz könnte man jede noch so verrückte Partei in die Regierung lassen, da jeder Unsinn, jeder Schwachsinn, den sie anzetteln würde, sowieso vors Volk muss. In Deutschland sieht das ein bisschen anders aus. Aber dennoch: Sollte man das Experiment nicht wagen? Eigentlich kann die AfD nur verlieren: Entweder wird sie wortbrüchig oder sie richtet so viel Unheil an, dass sie damit auch verschwände.
Und hier liegt der Hase im Pfeffer:
Das Unheil ist dann halt angerichtet.
Das ist so ein bisschen wie bei einem kleinen Kind, das ständig schreit: «Kann ich besser!», «Kann ich auch!» oder «Lass mich mal!». Hier lassen wir es manchmal zu, und das Kind «darf auch mal», aber sicher nur in Situationen, bei denen nicht so viel kaputtgehen kann. Teller tragen zum Beispiel, natürlich darf Klein-Erna das IKEA-Geschirr zum Schrank tragen und ihn dort stapeln. Aber das gute Meissner? Das tragen und stapeln wir doch lieber selber. Den Küchen-Radiowecker darf Klein-Fritzchen sicher von einem Tisch zum anderen schleppen, aber geben wir ihm auch den Laptop? Den nehmen wir doch lieber selber in die Hand.

Also spielen wir doch einmal ein paar Erna-Fritzchen-Teller-Elektronik-Ideen durch. Ich bin am Wahlabend tatsächlich durch das Wahlprogramm der AfD Sachsen gescrollt, ich wollte einfach mal sehen, ob das alles wirklich so furchtbar ist, und habe ein paar nette Dinge gefunden. (Das Programm IST übrigens so schrecklich, wie ich dachte, es wäre, einfach kopiert, besser als jede Glosse, wenn es nicht so echt wäre…)

Wir wollen…die bewährten Diplom- und Magisterstudiengänge wieder einführen…
Gute Idee, dann lassen wir doch den zukünftigen AfD-Wissenschaftsminister mal ran. Um dies zu tun, muss Sachsen den Bologna-Vertrag kündigen, ok, kann man machen, Verträge hat man geschlossen, Verträge kann man auch wieder kippen. Was wären die Folgen? Die Folgen wären, dass in Freiberg, in Dresden, dass in Leipzig und in Chemnitz Abschlüsse gemacht würden, die in keinem anderen Land anerkannt würden. Zweite Studienhälfte in Frankreich? Vergiss es. Doktorieren in England? Pustekuchen! Arbeiten in Norwegen? Aus, der Traum. Natürlich würde man, nachdem der Schaden klar wäre, ganz schnell und knieflehend wieder in die Bachelor- und Mastergemeinschaft zurückkehren, aber ein paar Hundert Studierenden hätte man ihre Chancen schon versaut. Der Teller wäre am Boden, und es wäre der Meissner und der Laptop in Scherben.   

Daneben wollen wir den Rundfunkstaatsvertrag kündigen.
Gut, ran an den Speck. Der MDR wird aufgelöst, die Redaktionen geschlossen und der MDR-Tower in Leipzig abgerissen (was, nebenbei bemerkt, ein architektonischer Gewinn für Leipzig wäre…) Statt linkem Problem-Journalismus nun fröhlich dudelnde Regionalsender, die ein optimistisches und fröhliches Lebensgefühl vermitteln, vielleicht Radio Elb-Schwall® oder Radio Allerlei Leipzig®. Aber auch hier: Was, wenn man nach ein paar Jahren nun doch einen seriösen und gut gemachten Journalismus vermissen würde? Teller ist kaputt, Laptop auch, keine Journalistin und kein Journalist mehr da, der MRD aufgelöst, der Tower abgerissen.

Die Liste liesse sich nun beliebig fortsetzen, an vielen Dingen würde natürlich ein AfD-Minister an den Sachzwängen von Bundesgesetz und internationaler Verträge scheitern, aber die Kleinigkeiten, die er anrichten könnte, wären nun doch eben verheerend.

Und generell:
Gerade in wirtschaftlich schwachen Gebieten wurde die AfD mit Mehrheit gewählt. Wie lockt man nun Investoren in die Oberlausitz, nach Görlitz und Bautzen? Ich stelle mir vor, ich hätte ein Unternehmen und würde mir überlegen, eine Tochtergesellschaft dort aufzumachen. Wen meiner Mitarbeiter würde ich schicken? Den in Allschwil (BL) geborenen Adisa? Käme er für die Regierung dort als Schweizer aus einem kompatiblen Kulturkreis oder aufgrund seiner Hautfarbe aus einem nicht-kompatiblen Kulturkreis (AfD-Programm)? Und hätte er nicht einfach Schiss dort zu wohnen? Ebenso wie meine chinesisch-schweizerischen und arabisch-schweizerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
Würde ich selber dort ein paar Jahre lang etwas aufbauen? Oder würde mich als Schwuler der Satz
Für uns ist das auch in Sachsen weiterhin vorherrschende traditionelle Familienmodell aus Mann, Frau und deren Kindern Grundlage und Voraussetzung unseres Handelns (AfD-Programm) nicht ziemlich abschrecken?
Wer also Sachsen wirtschaftlich voranbringen will, darf solche Einstellungen nicht zulassen.

Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen stellt sich doch nun die klare Frage, ob eine Partei, die 25% der Wählerinnen und Wähler repräsentiert, nicht in die Regierung müsste. Gerade in der Schweiz wird diese Frage besonders hartnäckig gestellt.
Aber:
Das Experiment ist zu heikel. Landespolitik ist keine Spielwiese und es hat zu viel Porzellan, zu viel heikle Elektronik, als das Klein-Erna oder Klein-Fritzchen hier Tragen üben könnten.

Und zeigt nicht auch der Blick über den Ärmelkanal, dass man mit gewissen Dingen nicht herumexperimentieren sollte?

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