Freitag, 18. Januar 2019

Lyrik im Dialog (3): Schlüssel verlieren ist sch...!



Anonym (12. Jahrhundert)

Dû bist mîn, ich bin dîn.
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist das sluzzelîn:
dû muost ouch immêr darinne sîn.


Stopp mal!
Nee, stopp mal wirklich!
Das ist doch jetzt eine echte Schweinerei. Das ist so was von übergriffig, da bleibt mir die Spucke weg. Ich gehöre also dir. Seit wann? Gibt es da einen Kaufvertrag? Notariell? Ach so, das ist eine Schenkung – auf Gegenseitigkeit. Du hast dich mir geschenkt und ich habe mich – ohne mein Einverständnis dir gegeben. Und das ist jetzt ok, oder was? So nach dem Motto: Du gibst mir dein Auto und nimmst dafür alle meine Bücher. Und ich sitze dann mit einem Opel, den ich in Basel City ja absolut nicht brauche, da und habe nichts zu lesen. Oder du gibst mir eine Posaune und nimmst mein E-Piano mit, und ich kann dann meine Partituren vorbereiten, in dem ich in dieses Dings puste. Abgesehen davon, dass ich eh keinen Ton rausbringe, hätten auch meine Nachbarn grosse Freude daran. Nee, so geht das nicht. Wenn du mich willst, dann komme mit einem ordentlichen Vertrag und wir gehen zum Notar.

Geht aber auch nicht, der Sklavenhandel ist in der Schweiz seit ??? abgeschafft – hatten wir überhaupt einen ausser den Verdingkindern? – und ein solcher Vertrag gilt als sittenwidrig, und sittenwidrige Verträge sind von vorneherein null und nichtig. Behalt du dich also mal und ich behalte mich.

Und dann das mit dem Schliessen. Du hast mich in dein Herz geschlossen. Will ich das? Ich kenne dich ja gar nicht richtig.  
Vielleicht hörst du Helene Fischer oder – noch schlimmer – gehst an die Auftritte dieser Plastik-Barbie und grölst «Atemlos durch die Nacht» mit, während sechshundert halbnackte Tänzer die viermal geliftete Diva umwirbeln.
Vielleicht gibt es für dich nichts Grösseres, als die Wochenenden auf dem Motorrad zu verbringen, laut donnernd und wahnsinnig schnell, nach dem Motto: Meine Honda fährt zwar auch mit Kraftstoff, der CO2 produziert, aber ein bisschen Spass muss sein.
Vielleicht twitterst du irgendwo, dass Trump es doch «eigentlich ganz gut macht.»
Vielleicht hast du «auch schon einmal ein Buch gelesen», aber das war in der 9. Klasse und deine Mutter musste dich mit der Pistole dazu zwingen, weil du sonst den Deutsch-Test versaut hättest.
Vielleicht trägst du aufgeschnittene Hosen.
Vielleicht…
Vielleicht…
Vielleicht…
Nee, ich möchte schon ein wenig Mitsprache haben, wer mich ins Herz schliesst.

Und dann verlierst du den Schlüssel!
Man sollte überhaupt keine Schlüssel verlieren, keine Hausschlüssel, keine Wohnungsschlüssel, erst recht keine Schlüssel von Büros und Arbeitsstätten, auch auf die Schlüssel vom Vereinsheim oder von der Turnhalle sollte man aufpassen. Stelle dir vor, Petrus hätte die Schlüssel des Himmelreichs verloren, dann kämen wir jetzt alle in die Hölle. Stelle dir vor, der Major der City of London müsste der Queen sagen: «Majestät, traditionsgemäss kriegst du jetzt hier den Schlüssel, aber ich habe ihn verhühnert.»
Aber den Schlüssel deines Herzens zu verlegen, zu verschusseln, den Schlüssel zu dem Ort, wo ich jetzt drinstecke, ist bodenlos. Ich will da wieder raus. Und zwar ernsthaft.
Wir haben nun mehrere Möglichkeiten:
1)  Wir sprengen dein Herz. Tut zwar ein wenig weh, und vielleicht bricht es auch dabei, aber das kann ich nicht ändern.
2) Wir holen einen Schlüsseldienst. Ist sanfter, kostet aber eine Kleinigkeit. Die Herz-Aufschliesser-Dienste nennen sich übrigens Psychotherapie.
3) Beste Lösung: Du suchst. Und suchst. Und suchst weiter. Irgendwo muss der verdammte Herzschlüssel ja sein. Wo hast du ihn zuletzt gesehen? Nachdenken.
4) Wenn du katholisch bist, dann kannst du auch zu Antonius beten. Allerdings will der auch Geld, zu zahlen in die Antoniuskasse in der nächsten Kirche.

Jedenfalls möchte ich alles sofort rückgängig.

Ich will dich nicht.

Du gibst mich frei.

So einfach ist das.







 






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