Freitag, 11. Januar 2019

Lyrik im Dialog (1): Vorrede


Hallo, liebe Lesepersonen!

Wir starten ein Special ganz besonderer Art: «Lyrik im Dialog». Ich werde auf Texte gedichtlicher Art antworten, ihnen widersprechen (vielleicht auch zustimmen) und sie auf die Schippe nehmen. Dies hat folgenden Grund, Vorder- und Hintergrund:

Wenn man Kunstgeschichte, Musikwissenschaft oder Literaturwissenschaft studiert, hat man mit vielen Bildern oder Musikstücken oder Texten zu tun. Allesamt kanonisch, allesamt gültig, allesamt angeblich qualitativ hochwertig und allesamt anerkannt. Man schreibt Arbeiten über diese, man hält Referate, man schreibt Essays. Alle diese nach streng geregelten Vorgehensweisen, man recherchiert und liest, man exzerpiert und bibliographiert, man wendet psychologische und historische, man wendet hermeneutische und marxistische, werkimmanente und genderbetonte Sichtweisen an und produziert wiederum Machwerke, die der Kanonizität, die der Gültigkeit, die der Hochwertigkeit und Anerkanntness der Werke noch Steigerung verschaffen.

Dabei würde man doch gerne andere Dinge tun, man würde die oft so schlechten Dinger gerne ummalen, umkomponieren, zerpflücken, man würde sie gerne beantworten und umschreiben, man würde gerne etwas anderes als eine Arbeit, ein Essay oder ein Referat abliefern. Und eigentlich wäre das auch gar nicht schlecht.
Wenn z.B. eine Kunstgeschichtsstudentin einen guten Siebdruck eines Details von «Geburt der Venus» herstellen würde, dann würde sie dadurch mehr zeigen, dass sie das Werk verstanden hat, als wenn sie einfach schreibt. Ein Musikwissenschaftler könnte seine Kenntnis in einem Arrangement ausdrücken, z. B. könnte er eine Sinfonie für Blockflötenensemble umweben, Schoenberg hat ja durch seine Mahler-Bearbeitungen für Kammerensemble mehr Mahler-Kenntnis gezeigt als jeder MuWi. Und wie genial wäre es, als Arbeit über den Werther die Antwortbriefe von Wilhelm zu schreiben, das würde Kenntnis und Goethe-Verständnis zeigen.
Und natürlich könnten diese Siebdrucke und Arrangements und Antworttexte auch bissig und zynisch, auch destruktiv und ironisch, könnten böse und gemein sein.

Aber man darf ja nicht.
Man darf nicht.
Die Werke sind ja allesamt kanonisch, allesamt gültig, allesamt angeblich qualitativ hochwertig und allesamt anerkannt.
Also warten die Kunstgeschichtler und Musikwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlerinnen auf eine Stelle beim Feuilleton, wo sie endlich bissig und zynisch, destruktiv und ironisch, böse und gemein sein können. Wie die hungrigsten Wölfe, wie ausgehungerte Eisbären, wie Piranhas nach einer Diät fallen sie über junge Maler und Komponistinnen und Autoren her und machen sie fertig.

Oder sie bekommen keine Stelle, arbeiten als Würstchenbrater oder als Kellnerin und lassen ihrer Wut in der Freizeit Lauf: Da gehen sie auf Vernissagen, trinken viel zu viel Wein und gehen dann stark alkoholisiert auf Künstler los: «Soll das Kunst sein? Hä? Hä? Das soll Kunst sein?...», bis der Galerist die Securitas ruft und den Stänkerern Hausverbot erteilt. Da gehen sie in die Oper und fangen beim Pausensnack an über die Aufführung zu lästern, der Tenor ist zu froschig, der Dirigent zu lahm, der Sopran eine Fehlbesetzung, der Bariton zu unklar, so lange, bis man allein am Pausentisch steht, weil alle Theaterbesucher die Flucht ergreifen.
Und als Literaturwissenschaftler ohne Fach-Stelle fängt man an allen Bekannten Bücher zu schenken, immer mit dem Kommentar: «Damit du endlich was Gutes liest und nicht ….», so lange, bis man keine Bekannten mehr hat.

Ich habe in meinem Germanistikstudium Arbeiten geschrieben, Referate gehalten, Essays verfasst. Alle diese nach streng geregelten Vorgehensweisen, ich habe recherchiert und gelesen, exzerpiert und bibliographiert, habe psychologische und historische, hermeneutische und marxistische, werkimmanente und genderbetonte Sichtweisen angewendet und wiederum Machwerke, die der Kanonizität, die der Gültigkeit, die der Hochwertigkeit und Anerkanntness der Werke noch Steigerung verschaffen, produziert.

Aber nun darf ich anders:
Ich werde auf fünf Gedichte antworten und meinem Blödsinns-Gen freien Lauf lassen.
Freuen Sie sich auf Kommentare zu gegessenen Pflaumen, zu Hauch-Gedichten, zu Frauen auf Felsen, zu nackten Rudersportlern und zu verlorenen Schlüsseln.

Los geht es am nächsten Dienstag. 

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