Hallo, liebe
Lesepersonen!
Wir starten
ein Special ganz besonderer Art: «Lyrik im Dialog». Ich werde auf Texte
gedichtlicher Art antworten, ihnen widersprechen (vielleicht auch zustimmen)
und sie auf die Schippe nehmen. Dies hat folgenden Grund, Vorder- und
Hintergrund:
Wenn man
Kunstgeschichte, Musikwissenschaft oder Literaturwissenschaft studiert, hat man
mit vielen Bildern oder Musikstücken oder Texten zu tun. Allesamt kanonisch,
allesamt gültig, allesamt angeblich qualitativ hochwertig und allesamt
anerkannt. Man schreibt Arbeiten über diese, man hält Referate, man schreibt
Essays. Alle diese nach streng geregelten Vorgehensweisen, man recherchiert und
liest, man exzerpiert und bibliographiert, man wendet psychologische und
historische, man wendet hermeneutische und marxistische, werkimmanente und
genderbetonte Sichtweisen an und produziert wiederum Machwerke, die der
Kanonizität, die der Gültigkeit, die der Hochwertigkeit und Anerkanntness der
Werke noch Steigerung verschaffen.
Dabei würde
man doch gerne andere Dinge tun, man würde die oft so schlechten Dinger gerne
ummalen, umkomponieren, zerpflücken, man würde sie gerne beantworten und
umschreiben, man würde gerne etwas anderes als eine Arbeit, ein Essay oder ein
Referat abliefern. Und eigentlich wäre das auch gar nicht schlecht.
Wenn z.B.
eine Kunstgeschichtsstudentin einen guten Siebdruck eines Details von «Geburt
der Venus» herstellen würde, dann würde sie dadurch mehr zeigen, dass sie das
Werk verstanden hat, als wenn sie einfach schreibt. Ein Musikwissenschaftler
könnte seine Kenntnis in einem Arrangement ausdrücken, z. B. könnte er eine
Sinfonie für Blockflötenensemble umweben, Schoenberg hat ja durch seine
Mahler-Bearbeitungen für Kammerensemble mehr Mahler-Kenntnis gezeigt als jeder
MuWi. Und wie genial wäre es, als Arbeit über den Werther die Antwortbriefe von
Wilhelm zu schreiben, das würde Kenntnis und Goethe-Verständnis zeigen.
Und
natürlich könnten diese Siebdrucke und Arrangements und Antworttexte auch
bissig und zynisch, auch destruktiv und ironisch, könnten böse und gemein sein.
Aber man
darf ja nicht.
Man darf
nicht.
Die Werke
sind ja allesamt kanonisch, allesamt gültig, allesamt angeblich qualitativ
hochwertig und allesamt anerkannt.
Also warten
die Kunstgeschichtler und Musikwissenschaftlerinnen und
Literaturwissenschaftlerinnen auf eine Stelle beim Feuilleton, wo sie endlich
bissig und zynisch, destruktiv und ironisch, böse und gemein sein können. Wie
die hungrigsten Wölfe, wie ausgehungerte Eisbären, wie Piranhas nach einer Diät
fallen sie über junge Maler und Komponistinnen und Autoren her und machen sie
fertig.
Oder sie
bekommen keine Stelle, arbeiten als Würstchenbrater oder als Kellnerin und
lassen ihrer Wut in der Freizeit Lauf: Da gehen sie auf Vernissagen, trinken
viel zu viel Wein und gehen dann stark alkoholisiert auf Künstler los: «Soll
das Kunst sein? Hä? Hä? Das soll Kunst sein?...», bis der Galerist die
Securitas ruft und den Stänkerern Hausverbot erteilt. Da gehen sie in die Oper
und fangen beim Pausensnack an über die Aufführung zu lästern, der Tenor ist zu
froschig, der Dirigent zu lahm, der Sopran eine Fehlbesetzung, der Bariton zu
unklar, so lange, bis man allein am Pausentisch steht, weil alle
Theaterbesucher die Flucht ergreifen.
Und als
Literaturwissenschaftler ohne Fach-Stelle fängt man an allen Bekannten Bücher
zu schenken, immer mit dem Kommentar: «Damit du endlich was Gutes liest und
nicht ….», so lange, bis man keine Bekannten mehr hat.
Ich habe in
meinem Germanistikstudium Arbeiten geschrieben, Referate gehalten, Essays
verfasst. Alle diese nach streng geregelten Vorgehensweisen, ich habe
recherchiert und gelesen, exzerpiert und bibliographiert, habe psychologische
und historische, hermeneutische und marxistische, werkimmanente und
genderbetonte Sichtweisen angewendet und wiederum Machwerke, die der
Kanonizität, die der Gültigkeit, die der Hochwertigkeit und Anerkanntness der
Werke noch Steigerung verschaffen, produziert.
Aber nun
darf ich anders:
Ich werde
auf fünf Gedichte antworten und meinem Blödsinns-Gen freien Lauf lassen.
Freuen Sie
sich auf Kommentare zu gegessenen Pflaumen, zu Hauch-Gedichten, zu Frauen auf
Felsen, zu nackten Rudersportlern und zu verlorenen Schlüsseln.
Los geht es
am nächsten Dienstag.
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