Neulich
zeigte mir mein Neffe Felix einen Test, den seine Klasse als Probe gemacht
hatte, Felix will auf eine höhere Stufe und war relativ verzweifelt. «Du bist
doch Lehrer, Onkel Rolf», sagte er weinend, «du musst mir da helfen.»
Ich besah
mir den Test und nahm mir vor allem mein Fach, das Deutsch unter die Lupe.
Aufnahmeprüfung für die
gymnasiale Stufe
Schuljahr 2017/2018
Deutsch
Zwei Mäuse sassen in ihrem
Loch, sie hatten grossen Hunger und Durst, aber Wasser und Körner waren
ausserhalb. Vor dem Loch aber sass eine Katze, die schon böse knurrte. «Ich
gehe jetzt hinaus», sagte die erste Maus. «Tu es nicht», sagte die zweite,
«die Katze wird dich fressen». Die erste Maus aber hörte nicht auf sie und
verliess das Loch. Die Katze zögerte nicht, packte die Maus und frass sie.
Die andere Maus aber blieb in dem Loch, verhungerte und verdurstete.
Aufgabe 1:
Wie nennt man einen solchen Text?
Formuliere den üblichen Schlusssatz eines solchen Textes.
Warum frisst die Katze die Maus?
Welche anderen Möglichkeiten hätte sie gehabt?
Kennst du noch andere Texte der gleichen Gattung? Nenne zwei.
Aufgabe 2:
Finde Synonyme für die folgenden Wörter:
Maus
Katze
Loch
Wasser
Korn
Aufgabe 3:
Schreibe die Pronomen aus dem Text heraus. Finde für jede
Pronomen-Art ein Beispiel.
Aufgabe 4:
Setze die Geschichte ins Futur II. Achte dabei auf einen flüssigen
Stil.
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Ich schaue
eine Weile gebannt auf die Prüfung und mein Hirn versucht verzweifelt,
akzeptable Lösungen zu finden, es gelingt ihm aber nur bedingt. Gut, der Text
ist eine Fabel, genauso wie Der Fuchs und
die Trauben oder Der Hund und der
Wolf, aber was wäre ein Motto (wie der übliche Schlusssatz heisst)? «Du
hast manchmal einfach keine Chance.»? Oder «Manchmal hast du einfach verloren»?
Aber Fabel-Mottos sollten uns ja belehren, erbauen und zu einem sinnvolleren
Leben verhelfen, dies ist eine No-Future-Fabel. Ich frage Felix, was er
geschrieben hat. «Alles Scheisse, deine Ellie», sagt er. Glänzend, kluges Kind,
der Bursche. Aber natürlich gab es dafür keine Punkte. Bei den Katzenfragen
kommen Onkel und Neffe auf die gleichen Antworten: Katzen fressen Mäuse. Und:
Keine, Katzen fressen halt Mäuse. Auch dafür keine Punkte.
Folgen die
Synonyme. Ich muss meinem Bruderkind leider sagen, dass es keine gibt. Maus ist
Maus und Katze ist Katze und Wasser ist Wasser, da beisst keine der zwei Mäuse
einen faden ab.
Die Pronomen
sind nicht vollständig, es fehlen Indefinit-, Interrogativ-, Reflexiv- und
Demonstrativpronomen, da kann man noch so suchen.
Das Futur
II-Geschreibe hat Felix bravourös gelöst:
Zwei Mäuse werden in ihrem Loch gesessen
haben, sie werden grossen Hunger und Durst gehabt haben, aber Wasser und Körner
werden ausserhalb gewesen sein. Vor dem Loch aber wird eine Katze gesessen
haben, die schon böse geknurrt haben werden wird…
Allerdings
nicht flüssig, aber das ist in diesem so seltenen Tempus einfach nicht möglich.
Welche
Vollidioten denken sich solche Prüfungen aus? Welche Teufel reiten die Beamten
in den Schulämtern und Ministerien? Warum zieht man keine Lehrer hinzu?
Es wäre so
einfach gewesen, aus dem Thema «Fabel» etwas Sinnvolles zu machen, es gibt so
schöne Texte mit wirklichen Alternativen und klugen Sprichwörtern als Motto. Und
man hätte zum Beispiel die direkte Rede der Mäuschen in die indirekte Rede
setzen können.
Es gibt
schwierige und es gibt unlösbare Aufgaben, in vielen Märchen und Sagen wird von
solchen Aufgaben erzählt. Schwierige Aufgaben löst der Held oder die Heldin
dort mit Muskelkraft, Intelligenz, mit Bauernschläue und Wendigkeit, löst sie
mit Schwert und Schleuder. Unlösbare Aufgaben wie z. B. «Stroh zu Gold spinnen»
werden mit Hilfe von magischen Gegenständen, Zaubertränken, mit Unterstützung
von Trollen, Elfen, von Hexen und Einhörnern gelöst.
Das ist gut und schön.
Nur
dass Prüflinge bei uns nicht immer eine Hexe dabei und einen magischen Stein in
der Tasche haben.
Mein Neffe
wird Revision einlegen und ich werde ihn dabei unterstützen. Oder wir stürmen
das Ministerium und setzen 25 Beamte in Frühpension.
Gewaltsam.
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