Ach, diese
Eisenbahn! Was habe ich in letzter Zeit wieder an Unmöglichkeiten erlebt!
Zugausfälle, Wartezeiten, gestopftvolle Züge, Rennerei auf den Bahnsteigen…
usw., usw.,
Nun werden
Sie sich sagen, na ja, das ist jetzt nicht besonders originell, DB-Schelte
lockt als Glossenthema keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.
Aber ich
rede doch gar nicht von der DB, ich rede von der SBB.
Bevor Sie
jetzt Luft holen, um mir zu widersprechen – und ich weiss genau, was Sie sagen
wollen – lassen Sie mich noch ein paar Beispiele bringen.
Am Dienstag,
30.10. fuhr ich von Solothurn über Moutier nach Basel. Der Bummelzug nach
Moutier blieb dann in Cremines stehen, um einen Gegenzug abzuwarten, die
Strecke ist einspurig, nach 10 Minuten erschien dieser dann endlich, wir
erreichten den Umsteigepunkt mit 10 Minuten Verspätung und nur die ebenfalls
eingetroffene Verspätung des IC nach Basel rettete mich vor einer öden Stunde
bei einem öden Kaffee im öden Bahnhofscafé. Diesen öden Kaffee im öden
Restaurant trank ich dann am nächsten Morgen, weil der Zug von Basel zu spät
war…
Zum Glück
bin ich kein Pendler auf der Strecke Bern-Zürich, dort fuhren 4 Tage lang
überhaupt keine Schnellzüge, weil das Stellwerk einen Totalausfall hatte;
können Sie sich vorstellen, wenn alle IC-Passagier auf die S-Bahnen gehen? Es
waren japanische Verhältnisse, nur dass die SBB keine Pusher hat, die die
Fahrgäste in die Wagen stossen…
Aber Sie
holen ja schon die ganze Zeit Luft, nun sagen Sie endlich den Satz, auf den wir
alle warten:
«Ausnahmen,
die SBB ist zuverlässig.»
Ja, das ist
das Prädikat der SBB und es ist erstaunlich, wie lange wir an Prädikaten
festhalten, wahrscheinlich werden wir in 5 Jahren, wenn beide
Bahngesellschaften eine Pünktlichkeit von 65% erreichen, immer noch an der
Klassifizierung «DB: mies» und «SBB: gut» festhalten.
Aber nehmen
wir doch ein anderes Beispiel: das Prädikat «Volkspartei». Eine Volkspartei war
früher eine Partei, die zwischen 30% und 45% lag, also ein breites Spektrum der
Bevölkerung repräsentierte, daneben gab es «Kleine Parteien», die um die 10%
lagen und «Splitterparteien», solche, die stets um den Einzug in die Parlamente
kämpften. In Namen: CDU und SPD waren die beiden Volksparteien, der Rest war
«klein» oder «Splitter». Das hat sich längst geändert. Warum eine im
Totalsinkflug begriffene Gruppierung wie die deutschen Sozialdemokraten sich
noch Volkspartei nennen, ist nicht zu fassen, bei der CDU sieht es ähnlich aus,
die Grünen WÄREN längst eine Volkspartei, wenn sie sich so nennen würden und in
manchen Gegenden sieht es bei den LINKEN und der AfD auch sehr danach aus. Die
FDP hat wurde nie Splitterpartei genannt, obwohl sie in etlichen Wahlen an der
5%-Hürde scheiterte.
In
Wirklichkeit gibt es gar keine Volksparteien mehr, sondern sechs
ernstzunehmende Parteien, die – je nach Bundesland und Wahlzeitpunkt – gut oder
schlecht abschneiden, wir aber halten an den alten Prädikaten fest.
Genauso
heikel (oder noch heikler) ist es mit Begriffen wie «Sicheres Drittland». Da
hat man z.B. das Königreich Ghomal als Sicheres Drittland erklärt, Flüchtlinge
können also dorthin wieder abgeschoben werden. Dann verkündet Tpoi XXII von
Ghomal die Wiedereinführung der Todesstrafe für Schwule – und bleibt Sicheres
Drittland, es werden die Abgeschobenen ja nicht gerade homosexuell sein; dann
schafft Tpoi XXII die Pressefreiheit ab und bleibt Sicheres Drittland, und er
bleibt es auch, wenn Amnesty International von Folterungen berichtet…
Prädikate.
Sie gelten
als aufgestellt, zuverlässig, charmant und anständig?
Glückspilz!
Sie müssen
etliches anstellen, um nicht mehr als das zu gelten, erst wenn Sie den Chef
beleidigt haben UND 20 Mal zu spät gekommen sind UND 1000 Franken unterschlagen
haben, wird man nach einer Weile nicht mehr so von Ihnen reden.
Sie gelten
als mieslaunig, unzuverlässig, rüpelhaft und kriminell?
Unglücksrabe!
Sie können
ein Jahr lang an jeden Kollegengeburtstag denken UND zehn Aufgaben freiwillig
dazunehmen UND im Kaffeeräumchen für Milch und Zucker sorgen UND 45 Überstunden
machen, dann redet man VIELLEICHT von Ihnen besser, aber vorher nicht.
Wir tun uns
so schwer, einen verliehenen Titel wieder abzuerkennen. Ein Luxushotel-Führer
testete einmal ein Traditionshaus an der Schwarzwaldhochstrasse (Story ist
wahr!) und stellte dabei erstaunliche Mängel fest, Betten nicht gemacht,
Flecken am Waschbecken, fehlende Handtücher usw. Fakt ist, dass der
Redaktionsleiter beim Hotelmanager anrief und ihm eine zweite Chance gab, die
Chance ein Prädikat zu behalten, dass einem neuen Haus bei solchen Schweinereien
gar nicht verliehen worden wäre.
Ich muss
schliessen.
Mein Zug
kommt.
Und jetzt
fragen Sie bitte nicht, wo ich schreibe.
IM ÖDEN
BAHNHOFSCAFÉ IN MOUTIER!
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