Dienstag, 25. September 2018

Special Persönlichkeit (5): Farbtypen


Die Farbtypen sind ja auch ganz aus der Mode gekommen, gell? Erinnern Sie noch an den kollektiven Wahnsinn in den Neunzigern, als wir durch die Strassen liefen und innerlich auf Leute zeigten und «Frühling» oder «Sommer» murmelten? Als wir unsere Kleiderschränke durchforsteten und unsere Lieblingsjacken zur Altkleidersammlung brachten, weil das dummerweise die falsche Farbe war? Ja? Für die, die sich nicht erinnern, hier noch mal kurz das Schema:

Dem Sommertyp stehen helle, kalte Farben.
Dem Wintertyp stehen dunkle, kalte Farben.
Dem Herbst stehen dunkle, warme Farben.
Dem Frühling stehen helle, warme Farben.

Erfunden hat das Ganze eine Amerikanerin, deren Name ich vergessen habe, die wir aber der jetzt einfach Suzy Season nennen. Suzy brachte das Buch Colour Me Beautiful auf den Markt und wir alle lasen Colour Me Beautiful und verinnerlichten Colour Me Beautiful und waren sozusagen bekehrt. Und die Bekehrten liefen dann zu den Unbekehrten und hielten ihnen farbige Pappkartons an den Hals: «Guck mal, das ist deine Farbe, du bist ein Wintertyp, schau mal, wie deine Haut leuchtet und deine hässlichen Pickel gar nicht mehr auffallen.» Und die Unbekehrten guckten in den Spiegel und, siehe da, sie fanden tatsächlich, dass sie gut aussahen. Und dann machte man noch die Gegenprobe mit dem total Entgegengesetzten, der Frühlingsfarbe und sprach: «Iiiiiiiiiihhhhhhh, das geht jetzt gar nicht, so siehst du blass und scheisse aus.» Und die Unbekehrten nickten und fanden sich in der falschen Farbe auch blass und scheisse. (Das war so wie bei den Weinproben, bei denen Sie ja auch auf einmal Brombeeren und Nüsse schmecken, weil der Önologe Ihnen sagt, dass der Wein nach Brombeeren und Nüssen schmeckt.)
Jedenfalls mehrte sich das Heer der Colour Me Beautiful-Bekehrten von Tag zu Tag.

Und weil Colour Me Beautiful so eine Frauensache war, sich ausschliesslich auf Kaffeetreffs und Frauenabenden, auf Mädelswochenenden und Frauengruppen verbreitete, brachte Suzy Season auch noch Colour for Men heraus, denn auch Männer sollten ja in den richtigen Farben herumlaufen.

Die Nachteile erkannten wir viel später.

Nehmen Sie zum Beispiel mich. Ich bin nach Colour Me Beautiful bzw. Colour for Men ein Herbst. Als Herbsttyp trägt der Bekehrte im Business braune Anzüge, wobei er auf eine breite Palette von Kackbraun, Scheissbraun und Kotbraun, aber auch auf Bärenbraun, Holzbraun, Nuss und Mahagoni zurückgreifen darf. Dazu ein beiges Hemd und wiederum eine kackbraune, scheissbraune, nussige oder mahagonige Krawatte. Im Casual Look ist die Auswahl grösser, ein Pulli oder Hoody dürfte tomatenrot, maisgelb, olivgrün oder ockerfarben sein. Also alles Farben, bei denen man die Krise bekommt.

Ganz scheusslich ist Colour Me Beautiful für diejenigen, die eine genormte Kleidung tragen müssen. Stellen Sie sich vor, Sie sind Verkäuferin bei C&A oder der MANOR und stellen fest, Sie sind ein Frühling. Der Frühling trägt helle, warme Farben und niemals Schwarz und Schneeweiss, das wäre Winter. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten bei der Stadtgärtnerei, die in olivgrünen Overalls hantiert, sind aber ein Sommer, stellen Sie sich vor… Menschen, die damals eine Farbberatung machten, konnten nur in Tränen ausbrechen, denn nach einem Abend Colour Me Beautiful wussten Sie, dass Sie Tag für Tag, Woche für Woche, dass Sie Monat für Monat und Jahr für Jahr mies aussahen, aber nichts daran ändern konnten.

Zum Verzweifeln war auch, wenn in den Schauen in Mailand, Paris und New York die neuen Kollektionen gezeigt wurden und sich auf EINEN Typ beschränkten. Gut, der Geldbeutel freute sich, denn es war klar, dass man im nächsten Jahr nichts kaufen konnte.
Also, natürlich konnte man etwas kaufen. Aber man durfte sich nicht erwischen lassen. So schlich ich mich manchmal heimlich in die Herrenabteilung und probierte rosarote Hemden und himmelblaue Hoodys – und sie standen mir. Aber wehe eine Mitbekehrte oder ein Mitbekehrter entdeckten einen: «Waaaaasssssss? Das ist nicht dein Ernst! Du als Herbst! Häng das zurück!»    

Ein Grundproblem war sicher, das Suzy Season von einer falschen Prämisse ausging: Sie schrieb, dass jeder Mensch unendlich schön sein könne, wenn er nur die richtigen Farben trage. Das ist natürlich Quatsch. Nach Suzy wäre Steven Hawkins zum «Sexiest Man Alive» gewählt worden, wenn seine Krawatte nur zu seinem Jahreszeitentyp gepasst hätte. Umgekehrt hätte sie sicher Marlon Brando und James Dean von weissen T-Shirts abgeraten, weil die Farbe Weiss farbtypmässig entstelle und sie hässlich mache. Suzy leugnete, dass es schöne und weniger schöne Menschen gibt. Und die Schönen können alles tragen. 

Die Farbtypen sind ja auch ganz aus der Mode gekommen, gell?
Sie erinnern sich doch noch an den kollektiven Wahnsinn in den Neunzigern, als wir durch die Strassen liefen und innerlich auf Leute zeigten und «Frühling» oder «Sommer» murmelten? Als wir unsere Kleiderschränke durchforsteten und unsere Lieblingsjacken zur Altkleidersammlung brachten, weil das dummerweise die falsche Farbe war?
Die Farbtypen sind verschwunden.
Und das ist gut so.
Die 90er sind ja zum Glück auch vorbei.



   

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