Die
Farbtypen sind ja auch ganz aus der Mode gekommen, gell? Erinnern Sie noch an
den kollektiven Wahnsinn in den Neunzigern, als wir durch die Strassen liefen
und innerlich auf Leute zeigten und «Frühling» oder «Sommer» murmelten? Als wir
unsere Kleiderschränke durchforsteten und unsere Lieblingsjacken zur
Altkleidersammlung brachten, weil das dummerweise die falsche Farbe war? Ja?
Für die, die sich nicht erinnern, hier noch mal kurz das Schema:
Dem
Sommertyp stehen helle, kalte Farben.
Dem Wintertyp
stehen dunkle, kalte Farben.
Dem Herbst
stehen dunkle, warme Farben.
Dem Frühling
stehen helle, warme Farben.
Erfunden hat
das Ganze eine Amerikanerin, deren Name ich vergessen habe, die wir aber der
jetzt einfach Suzy Season nennen. Suzy brachte das Buch Colour Me Beautiful auf den Markt und wir alle lasen Colour Me Beautiful und verinnerlichten Colour Me Beautiful und waren sozusagen
bekehrt. Und die Bekehrten liefen dann zu den Unbekehrten und hielten ihnen
farbige Pappkartons an den Hals: «Guck mal, das ist deine Farbe, du bist ein
Wintertyp, schau mal, wie deine Haut leuchtet und deine hässlichen Pickel gar
nicht mehr auffallen.» Und die Unbekehrten guckten in den Spiegel und, siehe
da, sie fanden tatsächlich, dass sie gut aussahen. Und dann machte man noch die
Gegenprobe mit dem total Entgegengesetzten, der Frühlingsfarbe und sprach:
«Iiiiiiiiiihhhhhhh, das geht jetzt gar nicht, so siehst du blass und scheisse
aus.» Und die Unbekehrten nickten und fanden sich in der falschen Farbe auch
blass und scheisse. (Das war so wie bei den Weinproben, bei denen Sie ja auch
auf einmal Brombeeren und Nüsse schmecken, weil der Önologe Ihnen sagt, dass
der Wein nach Brombeeren und Nüssen schmeckt.)
Jedenfalls
mehrte sich das Heer der Colour Me Beautiful-Bekehrten
von Tag zu Tag.
Und weil Colour Me Beautiful so eine Frauensache
war, sich ausschliesslich auf Kaffeetreffs und Frauenabenden, auf
Mädelswochenenden und Frauengruppen verbreitete, brachte Suzy Season auch noch Colour for Men heraus, denn auch Männer
sollten ja in den richtigen Farben herumlaufen.
Die
Nachteile erkannten wir viel später.
Nehmen Sie
zum Beispiel mich. Ich bin nach Colour Me
Beautiful bzw. Colour for Men ein
Herbst. Als Herbsttyp trägt der Bekehrte im Business braune Anzüge, wobei er
auf eine breite Palette von Kackbraun, Scheissbraun und Kotbraun, aber auch auf
Bärenbraun, Holzbraun, Nuss und Mahagoni zurückgreifen darf. Dazu ein beiges
Hemd und wiederum eine kackbraune, scheissbraune, nussige oder mahagonige
Krawatte. Im Casual Look ist die Auswahl grösser, ein Pulli oder Hoody dürfte
tomatenrot, maisgelb, olivgrün oder ockerfarben sein. Also alles Farben, bei
denen man die Krise bekommt.
Ganz
scheusslich ist Colour Me Beautiful für
diejenigen, die eine genormte Kleidung tragen müssen. Stellen Sie sich vor, Sie
sind Verkäuferin bei C&A oder der MANOR und stellen fest, Sie sind ein
Frühling. Der Frühling trägt helle, warme Farben und niemals Schwarz und
Schneeweiss, das wäre Winter. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten bei der Stadtgärtnerei,
die in olivgrünen Overalls hantiert, sind aber ein Sommer, stellen Sie sich
vor… Menschen, die damals eine Farbberatung machten, konnten nur in Tränen
ausbrechen, denn nach einem Abend Colour Me
Beautiful wussten Sie, dass Sie Tag für Tag, Woche für Woche, dass Sie
Monat für Monat und Jahr für Jahr mies aussahen, aber nichts daran ändern
konnten.
Zum
Verzweifeln war auch, wenn in den Schauen in Mailand, Paris und New York die
neuen Kollektionen gezeigt wurden und sich auf EINEN Typ beschränkten. Gut, der
Geldbeutel freute sich, denn es war klar, dass man im nächsten Jahr nichts
kaufen konnte.
Also,
natürlich konnte man etwas kaufen. Aber man durfte sich nicht erwischen lassen.
So schlich ich mich manchmal heimlich in die Herrenabteilung und probierte rosarote
Hemden und himmelblaue Hoodys – und sie standen mir. Aber wehe eine Mitbekehrte
oder ein Mitbekehrter entdeckten einen: «Waaaaasssssss? Das ist nicht dein
Ernst! Du als Herbst! Häng das zurück!»
Ein
Grundproblem war sicher, das Suzy Season von einer falschen Prämisse ausging:
Sie schrieb, dass jeder Mensch unendlich schön sein könne, wenn er nur die
richtigen Farben trage. Das ist natürlich Quatsch. Nach Suzy wäre Steven
Hawkins zum «Sexiest Man Alive» gewählt worden, wenn seine Krawatte nur zu
seinem Jahreszeitentyp gepasst hätte. Umgekehrt hätte sie sicher Marlon Brando
und James Dean von weissen T-Shirts abgeraten, weil die Farbe Weiss
farbtypmässig entstelle und sie hässlich mache. Suzy leugnete, dass es schöne
und weniger schöne Menschen gibt. Und die Schönen können alles tragen.
Die
Farbtypen sind ja auch ganz aus der Mode gekommen, gell?
Sie erinnern
sich doch noch an den kollektiven Wahnsinn in den Neunzigern, als wir durch die
Strassen liefen und innerlich auf Leute zeigten und «Frühling» oder «Sommer»
murmelten? Als wir unsere Kleiderschränke durchforsteten und unsere
Lieblingsjacken zur Altkleidersammlung brachten, weil das dummerweise die
falsche Farbe war?
Die
Farbtypen sind verschwunden.
Und das ist
gut so.
Die 90er
sind ja zum Glück auch vorbei.
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