Samstag, 15.
September 2018
8.30
Ich bin seit
einer Stunde wach, ich habe meinen ersten Kaffee getrunken und meine erste
Zigarette geraucht. Es ist schönes Wetter und ich beschliesse, zum Bäcker zu
gehen und Brötchen zu holen. Das könnte vielleicht ein Fehler sein, man weiss,
welche Gefahren draussen auf einen lauern, welchen anderen Verkehrsteilnehmern
man sich gegenübersieht, aber ich werde es wagen und die frischen Weggli werden
meine Belohnung sein.
8.40
Ich trete
aus der Haustüre und kann gerade noch wieder ruckartig in den Hauseingang
zurückspringen, weil zwei Teenager mit langem Wuschelhaar und wüstem Geschrei
auf dem Trottoir entlangrasen, natürlich auf diesen unsäglichen Skateboards;
ich schreie ihnen eine Verwünschung hinterher, die ihrem Outfit angepasst ist,
atme tief durch und starte einen zweiten Versuch.
8.42
Ich trete
aus der Haustüre und kann gerade noch wieder ruckartig in den Hauseingang
zurückspringen, weil ein Mittdreissiger auf Inlinern entlangrauscht, da er
Kopfhörer aufhat, muss ich auf gar nicht probieren, ihm eine Verwünschung
hinterherzuschreien.
8.50
Geschafft!
Ich bin drei Häuser weiter bis zur Residenz St. Tipotus gekommen. Die Pforte
öffnet sich und ich kann gerade noch stoppen, um nicht in eine Horde Rentner
hineinzurennen. Sie schieben ihre Rollatoren wie wildgewordene Stiere aus dem
Haus und grölen «Born to be wiiiiiiiilllllllllllllld! Damm! Damm!» Was ist nur
aus der Generation Ü80 geworden?
9.02
Geschafft!
Ich bin vier Häuser weiter bis zu den beiden Kinderkrippen «Haselmäuschen» und
«Blütenwiese» gekommen. Die Pforte öffnet sich und ich kann gerade noch
stoppen, um nicht in eine Kolonne aus 14 Kinderwagen hineinzurennen. Die
Fachkräfte Betreuung Kleinkind schieben ihre ganze Meute auf die Strasse und
singen dabei fröhlich «Und die Katze tanzt allein, tanzt allein auf einem
Bein.»
9.25
Inzwischen
bin ich eine Dreiviertelstunde unterwegs, und ich bin jetzt erst, nach den
Attacken durch Skater, Inliner, wildgewordene Rentner und wildgewordene
Kleinkinderzieher, an dem Punkt, an dem die eigentliche Schwierigkeit besteht:
Das Überqueren der Strasse, denn auf der anderen Seite befindet sich das Café
Meier-Schmuss, in dem es die besten Brötchen und die besten Gipfeli im Quartier
gibt.
9.26
Den ersten Strassen-Transvers-Versuch
muss ich sofort beenden, weil eine Stadtrundfahrt vorbeizockelt, die
Stadtrundfahrten werden ja neuerdings auf diesen bescheuerten Fahrzeugen
gemacht, auf denen man steht und mit dem Hebel irgendwie die Geschwindigkeit
beeinflusst. Die Teilnehmer winken mir fröhlich zu, so unter dem Motto «guckt
mal, ein Einheimischer, der gerade sein Frühstück holt.» Ich zeige ihnen den
Stinkefinger.
9.35
Ich liege
auf dem Boden, weil mich ein Velokurier mit dem
herausgequetscht-herausgeschrienen Hinweis «Bahnhof – Abholen – in 3 Minuten –
Sorry» einfach zur Seite geboxt hat. Als ich mich mühsam wiederaufgerappelt
habe, merke ich, dass ich immerhin bis zum Mittelstreifen vorgedrungen bin.
9.37
Ein Auto
kommt von rechts herangebraust, ich befürchte das Schlimmste, aber das Auto
hält! Der Fahrer lächelt mich an und winkt mich vorbei! Wieder auf dem Trottoir
muss ich nur noch einem Jogger in aggressivlilafarbenem Dress ausweichen und…
GESCHAFFT!
9.40
Eine Stunde
nachdem ich das Haus verlassen habe, sitze ich im Café Meier-Schmuss und trinke
einen Espresso. Ich habe den Heute-Kaufen-Wir-Brötchen-Gedanken fallengelassen
und stattdessen das «Grosse Schlemmerfrühstück» bestellt.
Mein Blick
fällt auf diverse Schlagzeilen der Tageszeitungen:
«100 neue
Krippenplätze im nächsten Jahr», «PRO RENTNER startet die Aktion MOBIL IM
ALTER»
«Street
Sport – so gesund sind Skaten, Inlinern und Joggen», «Velokurierbranche im
Aufwind» und «Stadt genehmigt neue Stadtrundfahrten»
Ich
beschliesse, das Café Meier-Schmuss einfach nicht mehr zu verlassen und bis zum
Jüngsten Gericht zu frühstücken.
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