Freitag, 21. September 2018

Special Persönlichkeit (4): Das Gewisse Etwas


Nachdem Herr K. von mehreren Leuten gehört hatte, dass ihm das «gewisse Etwas» fehle, beschloss er, die Beschaffung eines «gewissen Etwas» zur Hauptaufgabe der nächsten Zeit zu machen. Herr L., sein Chef, hatte Herrn M. und nicht ihn zum Leiter des Vertriebes gemacht, eben weil ihm, K., das «gewisse Etwas» fehle und er war Single, weil seine Freundin nicht mit jemand leben konnte, der nicht das «gewisse Etwas» hat.

Herr K. ging in einen Friseurladen und liess sich einen neuen Haarschnitt verpassen. Der Coiffeur schnitt und rasierte eine Stunde an ihm herum und Herr K. war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Er sah jünger aus und dynamischer, seine Haut glänzte bronzehaft und sein Kopf wirkte nicht so mondig. «Schade, dass es nicht perfekt ist», sagte der Friseur, «aber dazu, dass Sie aussehen wie ein Model, reicht es nicht. Dazu fehlt Ihnen das «gewisse Etwas».

Herr K. ging in ein Warenhaus und kaufte sich neue Kleider. Er wählte ein dunkelblaues Beinkleid und einen rot-weiss-gemusterten Pullover. Sich im Spiegel betrachtend, fand er sich – seit langem einmal wieder – sehr attraktiv. Deshalb nahm er auch noch das Hosenmodell in rot und den Pulli in blau-weiss. «Gute Wahl», sagte der Verkäufer, «Sie sehen sehr chic aus. Wenn Sie jetzt noch das «gewisse Etwas» hätten, wären Sie der perfekte Mann.»

Herr K. ging zum Juwelier und wollte sich einen Ring kaufen, aber keinen 0815-Ring, sondern einen auffälligen, extravaganten, einen, der ihm das «gewisse Etwas» verleihen würde. Der Juwelier präsentierte ihm etliche schmale Ringe in Silber und Gold, schlicht in der Form, unauffällig im Design. Herr K. hatte aber die ganze Zeit auf einen fetten Ring mit einem wulstigen roten Stein gestarrt. «Den möchte ich anprobieren», meinte Herr K. «Den können nur Leute tragen, die das «gewisse Etwas» besitzen», konterte der Juwelier.   

Herr K. war nun ein wenig enttäuscht. An seinem Äusseren konnte es scheinbar nicht liegen, dass ihm das «gewisse Etwas» fehlte. Herr K. ging zu einer Sprachtrainerin, die mit ihm in 6 Lektionen deutliche Aussprache, Satzmelodie und Phrasierung übte und ihm half, dialektale Einfärbungen zu vermeiden. Aber nach insgesamt 360 Minuten Sprechtraining kam auch hier der übliche Spruch, seine Vokaläusserungen seien nun wirklich brillant, wenn er jetzt noch das «gewisse Etwas»…

Herr K. ging in einen Kunstgeschichte- und in einen Musikwissenschaftskurs.
Herr K. lernte Computer zu bedienen.
Herr K. lernte Finnisch und Japanisch.
Herr K. eignete sich Wissen über Kois, Automarken und die Polregionen an, er begriff die Polo-, Golf-, Kricket- und Bridgeregeln.
Aber es half alles nichts: «Gebildet», so lautete das Urteil, «sprachlich gewandt, geschickt, gutaussehend, gut gekleidet und sauber frisiert, aber kein «gewisses Etwas».

Aber alles sollte noch ein gutes Ende nehmen. An einem Sonntag stiess Herr K. in der Wochenendbeilage seiner Tageszeitung auf ein Inserat:

SIE SUCHEN DAS «GEWISSE ETWAS»? WIR GEBEN ES IHNEN! 1 STUNDE BEHANDLUNG FÜR 800 EURO.







Herr K. begab sich eine Woche später zu der angegebenen Adresse. Dort vollzogen zwei selbsternannte Magier ein ziemlich blödsinniges Ritual. Sie hoben Herrn K. hoch, stellten ihn wieder hin, bespritzten ihn mit Wasser und murmelten die ganze Zeit Verse in einer unverständlichen Sprache.
Da aber Herr K. sich sicher war, dass dieses Heben und Senken, dieses Murmeln und Besprengen die Lösung aller seiner Probleme sei, verliess er die Stube der beiden Scharlatane als anderer Mensch. Sein Gang war aufrechter, sein Kopf gereckter und sein Schritt fester. Und auf einmal wirkten alle Dinge: Seine Kleidung kam zur Geltung, sein Ring begann zu glänzen und seine Frisur wirkte; wenn er sprach, dann klangen seine Worte aus einem erhoben Kopf viel besser, und auch seine Koi-, Finnisch-
Golf-, Computer- und Autokenntnisse kamen auf einmal an den Mann und an die Frau.

Man war sich einig: Herr K. sei nicht nur schön, gut coiffiert, edel beschmuckt und edel beanzugt, sei nicht nur sprachgewandt, allgemeingebildet und belesen, sei nicht nur gewandt und liebenswert.
Nein, er habe es auch…

Das «gewisse Etwas». 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen