Immer wieder
wird bemängelt, dass die Schweizer Politiker im Ausland so einen schlechten
Eindruck machen. Sie würden, im Vergleich zu den routinierten Kollegen aus
Deutschland, Frankreich oder den USA wie Winzer aus dem Wallis, Bauern aus dem
Aargau oder Schreiner aus Graubünden wirken, was wahrscheinlich daran liegt,
dass sie wirklich Winzer aus dem Wallis, Bauern aus dem Aargau oder Schreiner
aus Graubünden sind. Durch die spezielle Struktur der Volksdemokratie hat sich
in der Eidgenossenschaft eine Politikspezies herausgebildet, die gegen viele
Volksvertreter aus der EU oder Übersee nicht anstinken kann, man sagt also
immer wieder, Schweizer Politiker – und jetzt kommt dieses überaus schreckliche
Wort – hätten kein Charisma.
Und meine
ständige Antwort ist, dass ich sehr, sehr, sehr froh bin, dass Schneider-Amann,
Maurer und Leuthard eben kein Charisma
haben.
Charisma.
Ein
furchtbarer Begriff.
Einer der
Politiker mit dem grössten Charisma war
sicher jener, der es schaffte, einen Saal mit über 1000 Leuten davon zu
überzeugen, dass es jetzt notwendig ist, auf solche Lappalien wie unzerstörte
Häuser, Sattheit, Gesundheit, wie Leben der Angehörigen und warme Stuben, dass
es notwendig ist auf so Lächerlichkeiten wie Unversehrtheit und Hab und Gut zu
verzichten. Und es gelang ihm, mit seinem überwältigenden Charisma rief er den Leuten den berühmten Satz vom Totalen Krieg
entgegen und das Volk schrie, hingerissen von seinem Charisma «Ja!»
Ja, Goebbels
hatte Charisma. Wie übrigens auch
Lenin, Stalin und Mao, wie sämtliche Diktatoren und Demagogen des 20.
Jahrhunderts. Dschingis-Khan hatte Charisma
und Attila der Hunne hatte Charisma, weder
Napoleon noch Gustav Adolf von Schweden konnte ein Mangel an Charisma nachgesagt werden.
Gut seien
wir ehrlich: Auch Gandhi hatte es, Martin Luther King und Willy Brandt, Henri
Dunant und Berta von Suttner, Albert Schweitzer verfügte sicher über Charisma und auch Mutter Theresa konnte
ihre Arbeit in Kalkutta nur mit einer gewissen Portion Charisma erledigen.
Es kommt
eben wahrscheinlich nicht darauf an Charisma
zu haben, sondern darauf, was man mit seinem Charisma macht.
Wenn Sie
eine Pfadi-Gruppe leiten und bemerken bei einer Bergwanderung, dass sich ein
Unwetter zusammenbraut, die nächste Hütte zwei Stunden weg ist und ausserdem
noch 400 Höhenmeter zu schaffen sind, was rufen Sie den Jugendlichen zu? «Los,
Jungs, das schaffen wir, bergwärts voran!» oder «Stopp, Leute wir drehen um!»?
Wenn Sie
eine Chordirigentin sind, deren Ensemble die H-Moll-Messe garantiert nicht
hinbekommen wird, steuern Sie dann dennoch den Chor in ein Konzert mit der
Missa BWV 232, weil Sie Charisma haben
oder lassen Sie Vernunft walten und singen die Krönungsmesse?
Es ist
entscheidend, welche Idee, welche Gesinnung, es ist wichtig, welche Haltung
sich mit einem Charisma verbindet.
Oder anders formuliert: Charisma ohne
Ethos ist (s.v.v.) Scheisse. Das vom Ethos beflügelte Charisma ruft den Leuten «I have a dream!», «Mehr Demokratie
wagen!» oder «Schwerter zu Pflugscharen» zu, das vom Unethos vergiftete eben
«Wollt ihr den totalen Krieg?»
Eine Form
von Charisma haben wir noch
vergessen: Nämlich die, bei der hinter dem Charisma
gar nichts steht; wahrscheinlich ist sie sogar die am meisten verbreitete.
Da steht ein
CEO am Rednerpult, gut gedresst in BOSS oder Armani, gut fri- und rasiert, er
redet frei und mit Schwung, Charisma
umgibt ihn wie eine Aura und hinter ihm funkelt die absolut perfekt gemachte
Powerpoint. Und wenn er dann nach 20 Minuten vom Pult zur Seite tritt, dann
hält es uns nicht auf den Sitzen, wir springen auf und klatschen frenetisch.
Erst später,
beim Apéro Riche im Foyer kommen uns die leisen Fragen: Was hat er (so gut
beBOSSt, gut frisiert, gut rasiert, mit einer so tollen PPT und mit so viel Charisma) eigentlich gesagt? Dass die
GRIMIXAG® Gewinn machen soll? Ganz ‘was Neues. Dass die GRIMIXAG® gute Produkte
herstellt? Wussten wir schon. Dass die GRIMIXAG®-Aktie eine super Anlage ist?
Na, sonst hätten wir keine…
Diese Art
von hohlem, inhaltsvermissendem, von leerem und schwafelndem Charisma, wir könnten es auch Vakuum- Charisma nennen, treffen wir in
praktisch allen Teppich-Etagen der grossen Firmen und – leider, leider, leider
– inzwischen auch bei Politikern. In der BRD gibt es dafür ein berühmtes
Beispiel: Martin Schulz. Sein Charisma
zog Tausende in die SPD, bis man merkte, dass dem Charisma eben ein Programm fehlte.
Immer wieder
wird bekrittelt, dass Schweizer Politiker im Ausland so einen schlechten
Eindruck machen. Sie würden wie Winzer aus dem Wallis, Schweinemäster aus dem
Appenzell oder Bäcker aus dem Waadtland wirken, was wahrscheinlich daran liegt,
dass sie wirklich Winzer aus dem Wallis, Schweinemäster aus dem Appenzell oder
Bäcker aus dem Waadtland sind.
Schweizer
Politiker – so sagt man immer wieder – hätten kein Charisma.
Und meine
ständige Antwort ist, dass ich sehr, sehr, sehr froh bin, dass Schneider-Amann,
Maurer und Leuthard eben kein Charisma
haben.