Eine Taverne in Myoklos, einige Meilen vor
Athen. Niades, der Wirt, steht eine Weile herum, bis Phyllikos, ein erschöpfter
Soldat, hereinstürzt und sich an einen der Tische setzt.
Phyllikos: Bring mir ein Becher Wein.
Niades: Einen Becher Wein.
Phyllikos: Und ein wenig Brot. Und Oliven.
Niades: Ein wenig Brot. Und Oliven.
Phyllikos: Wiederhole nicht alles, was ich
sage, sondern bringe die Sachen.
Der Wirt holt die gewünschten Dinge.
Niades: Du kommst aus Marathon?
Phyllikos: Ich komme aus Marathon.
Niades: Du warst in der Schlacht?
Phyllikos: Ich habe gekämpft wie ein Löwe und
gefochten wie ein Stier.
Niades: Ich wage kaum zu fragen: Haben
wir gewonnen?
Phyllikos: Wir haben glänzend gesiegt.
Niades: Und nun bist du auf dem Weg nach
Athen, um Meldung zu machen?
Phyllikos: Ich bin auf dem Weg, viele Meilen
bin ich gerannt.
Niades: Und warum rennst du nicht
weiter?
Phyllikos: Weil ich erschöpft bin, weil ich ein
wenig Ruhe und Wein und Speise brauche.
Niades: Aber wenn du weitergelaufen
wärest, würden die Athener früher vom Sieg erfahren.
Phyllikos: Wenn ich vorher zusammenbräche, dann
würde die Botschaft nicht ankommen.
Niades: Vielleicht hättest du es
geschafft.
Phyllikos: Vielleicht hätte ich es geschafft.
Und hätte gerade noch den Sieg verkündet und wäre dann gestorben,
zusammengeklappt vor Erschöpfung.
Niades: Es wäre es wert gewesen.
Phyllikos: Es wäre es nicht wert gewesen. Eine
Stunde eher die Botschaft, aber ein Toter.
Niades: So stellst du dein eigenes
Wohlergehen gegen die Freude des Staates?
Phyllikos: Ich stelle meine Gesundheit nicht
dagegen, aber höher.
Niades: Dein Körper ist dir näher als
die Ohren deines Volkes?
Phyllikos: Mein Körper ist mir näher.
Niades: Du bist egoistisch und
selbstverliebt, Soldat.
Phyllikos: Das mag sein. Aber ich bin
vernünftig.
Niades: In der Stunde der Not UND in der
Stunde des Sieges ist Vernunft nicht angebracht.
Phyllikos: Vernunft ist immer angebracht.
Niades: Aber du wirst weiterrennen?
Phyllikos: Ich werde weiterrennen, wenn ich
erholt bin.
Niades: Und wenn du dich in der nächsten
Stunde nicht erholst?
Phyllikos: Dann werde ich hier übernachten und
morgen weiterlaufen.
Niades: In dem Fall erführen die
Bewohner Athens einen Tag zu spät vom Sieg.
Phyllikos: Es ist auch morgen, übermorgen und
überübermorgen noch eine schöne Botschaft.
Niades: Wie gesagt, du bist ein Egoist.
Phyllikos: Aber… wenn dir die Überbringung der
Nachricht so wichtig ist, warum rennst du nicht?
Niades: Ich soll rennen? Und du?
Phyllikos: Ich werde hierbleiben, ruhen und
wenn die Gäste kommen, bedienen.
Niades: Aber ich bin nicht kräftig
genug.
Phyllikos: Es sind nur noch ein paar Meilen.
Niades: Ich bin kein Läufer, bin kein
Bote.
Phyllikos: Ich war es auch nicht, man hat mich
dazu verdonnert.
Niades: Ich würde auf dem Markplatz die
Botschaft verkünden und zusammenbrechen.
Phyllikos: So stellst auch du dein Wohl über
das Wohl des Staates?
Niades: Das ist etwas anderes.
Phyllikos: Es ist nichts anderes, auch dir ist
dein Körper näher.
Niades: Du kannst das nicht vergleichen.
Phyllikos: Ich kann es vergleichen, auch du
bist ein Egoist.
Niades: Bin ich nicht, ich schaffe es
einfach nicht.
Phyllikos: Ich hätte es auch nicht geschafft
ohne die Pause bei dir. Geben wir zu: Nichts ist den eigenen Tod wert.
Niades: Vielleicht hast du recht.
Phyllikos: Natürlich habe ich recht. Aber jetzt
werde ich weiterrennen.
Niades: Wirst du?
Phyllikos: Ich bin erholt, ich laufe weiter.
Niades: Dann gutes Rennen.
Phyllikos erhebt sich
und spurtet los.
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