Montag, 5. Februar 2018

Burnout-Special (2): Pause zwischen Marathon und Athen



Eine Taverne in Myoklos, einige Meilen vor Athen. Niades, der Wirt, steht eine Weile herum, bis Phyllikos, ein erschöpfter Soldat, hereinstürzt und sich an einen der Tische setzt.

Phyllikos:            Bring mir ein Becher Wein.
Niades:                Einen Becher Wein.
Phyllikos:            Und ein wenig Brot. Und Oliven.
Niades:                Ein wenig Brot. Und Oliven.
Phyllikos:            Wiederhole nicht alles, was ich sage, sondern bringe die Sachen.
Der Wirt holt die gewünschten Dinge.
Niades:                Du kommst aus Marathon?
Phyllikos:            Ich komme aus Marathon.
Niades:                Du warst in der Schlacht?
Phyllikos:            Ich habe gekämpft wie ein Löwe und gefochten wie ein Stier.
Niades:                Ich wage kaum zu fragen: Haben wir gewonnen?
Phyllikos:            Wir haben glänzend gesiegt.
Niades:                Und nun bist du auf dem Weg nach Athen, um Meldung zu machen?
Phyllikos:            Ich bin auf dem Weg, viele Meilen bin ich gerannt.
Niades:                Und warum rennst du nicht weiter?
Phyllikos:            Weil ich erschöpft bin, weil ich ein wenig Ruhe und Wein und Speise brauche.
Niades:                Aber wenn du weitergelaufen wärest, würden die Athener früher vom Sieg erfahren.
Phyllikos:            Wenn ich vorher zusammenbräche, dann würde die Botschaft nicht ankommen.
Niades:                Vielleicht hättest du es geschafft.
Phyllikos:            Vielleicht hätte ich es geschafft. Und hätte gerade noch den Sieg verkündet und wäre dann gestorben, zusammengeklappt vor Erschöpfung.
Niades:                Es wäre es wert gewesen.
Phyllikos:            Es wäre es nicht wert gewesen. Eine Stunde eher die Botschaft, aber ein Toter.
Niades:                So stellst du dein eigenes Wohlergehen gegen die Freude des Staates?
Phyllikos:            Ich stelle meine Gesundheit nicht dagegen, aber höher.
Niades:                Dein Körper ist dir näher als die Ohren deines Volkes?
Phyllikos:            Mein Körper ist mir näher.
Niades:                Du bist egoistisch und selbstverliebt, Soldat.
Phyllikos:            Das mag sein. Aber ich bin vernünftig.
Niades:                In der Stunde der Not UND in der Stunde des Sieges ist Vernunft nicht angebracht.
Phyllikos:            Vernunft ist immer angebracht.
Niades:                Aber du wirst weiterrennen?
Phyllikos:            Ich werde weiterrennen, wenn ich erholt bin.
Niades:                Und wenn du dich in der nächsten Stunde nicht erholst?
Phyllikos:            Dann werde ich hier übernachten und morgen weiterlaufen.
Niades:                In dem Fall erführen die Bewohner Athens einen Tag zu spät vom Sieg.
Phyllikos:            Es ist auch morgen, übermorgen und überübermorgen noch eine schöne Botschaft.
Niades:                Wie gesagt, du bist ein Egoist.
Phyllikos:            Aber… wenn dir die Überbringung der Nachricht so wichtig ist, warum rennst du nicht?
Niades:                Ich soll rennen? Und du?
Phyllikos:            Ich werde hierbleiben, ruhen und wenn die Gäste kommen, bedienen.
Niades:                Aber ich bin nicht kräftig genug.
Phyllikos:            Es sind nur noch ein paar Meilen.
Niades:                Ich bin kein Läufer, bin kein Bote.
Phyllikos:            Ich war es auch nicht, man hat mich dazu verdonnert.
Niades:                Ich würde auf dem Markplatz die Botschaft verkünden und zusammenbrechen.
Phyllikos:            So stellst auch du dein Wohl über das Wohl des Staates?
Niades:                Das ist etwas anderes.
Phyllikos:            Es ist nichts anderes, auch dir ist dein Körper näher.
Niades:                Du kannst das nicht vergleichen.
Phyllikos:            Ich kann es vergleichen, auch du bist ein Egoist.
Niades:                Bin ich nicht, ich schaffe es einfach nicht.
Phyllikos:            Ich hätte es auch nicht geschafft ohne die Pause bei dir. Geben wir zu: Nichts ist den eigenen Tod wert.
Niades:                Vielleicht hast du recht.
Phyllikos:            Natürlich habe ich recht. Aber jetzt werde ich weiterrennen.
Niades:                Wirst du?
Phyllikos:            Ich bin erholt, ich laufe weiter.
Niades:                Dann gutes Rennen.

Phyllikos erhebt sich und spurtet los.

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