Ich rief
einen Dirigenten an, mit dem ich ein gemeinsames Projekt planen sollte, ein
grosses, fulminantes, allerdings auch der Umstände wegen heikles, aber das tut
nicht viel zur Sache. Als er abnahm, hörte ich sofort in seiner Sprache eine
vertraute Färbung. Er musste offensichtlich – nein, man muss hier «unüberhörbar»
schreiben – aus dem Grossraum Stuttgart stammen. Also fragte ich ihn nach
seiner Herkunft, meine eigene Stimme nun auch heimatlich kolorierend, und siehe
da: Er war aus Calw. Aber wir kamen auf viel mehr überraschende Dinge: Das
Schärfste war, dass wir beide beim gleichen Lehrer gelernt hatten, bei Manfred
Schreier in Trossingen, wenn auch zu ganz unterschiedlichen Zeiten, er in den
späten 80ern, ich in 90ern. Was das Leben doch für Überraschungen bietet!
Vergessen
Sie den Abschnitt oben.
Es war
nämlich ganz anders. Als ich meinen Namen sagte, meinte er nur: «Dann kenne mir
ja schwäbisch schwätze…» Er hatte mich natürlich gegoogelt. So wie ich ihn
umgekehrt auch. Unsere Herkunft, unsere Vita, alle Fakten und Tatsachen waren
keine Überraschung mehr, auch die Trossingen-Schreier-Geschichte lag schon auf
dem unsichtbaren Tisch vor uns.
Eigentlich
schade.
Wir bringen
uns um die schönsten Aha-Momente, um die herrlichsten So-ein-Zufall-Storys,
indem wir alle und alles und jede und jeden googeln. Bevor wir das erste Wort
zu jemand sprechen, bevor wir jemand das erste Mal in die Augen blicken, haben
wir die Totale der Fakten im Kopf: Alter, Herkunft, Hobbys, CV und
Familienstand, berufliche Vorhaben und Non-Profit-Jobs, Lieblingsessen und
Lieblingsreiseziel.
Eigentlich
blöd.
Ich habe in
Den Haag ein Eigenexperiment gemacht: Am dritten Tag hatte ich Lust auf ein
wenig Kultur und ich beschloss ins Gemeentemuseum zu fahren. Nun würde jeder
normale Erdenbürger natürlich erst einmal googeln (oder, wie meine Schülerinnen
und Schüler hochpleonastisch sagen, «nachgoogeln»). Ich aber stellte mir drei
Fragen: Wie viele Ausstellungen gibt es im Gemeentemuseum normalerweise?
Antwort: 5-6, es wird also irgendwas Interessantes dabei sein. Hast du heute
das Bedürfnis nach Speziellem, Definiertem? Antwort: Nein, sowohl Pop-Art als
auch Man Ray, sowohl Plastik als auch Druck wäre OK. Dritte Frage: Was
passiert, wenn du hinfährst und entweder das Ding geschlossen ist oder wirklich
nur Mist anbietet? Antwort: Dann hast du ½ Stunde in der Linie 16 verloren, was soll’s?
Also fuhr
ich hin und verbrachte höchst anregende 75 Minuten in der Ausstellung «Skulptur
im 20. Jahrhundert», die von Rodin über Picasso bis Tinguely etliche wunderbare
Exponate zusammenstellte. Es geht auch mal ohne Google, es geht auch mal auf
Verdacht, so kann man Überraschungen erleben.
Natürlich
bin ich nicht gegen das Nachgoogeln im Allgemeinen. Ich habe z.B. diesen Winter
das Projekt «Weitere Schwimmbäder in Holland» gestartet (ich kannte bisher nur
die Haager) und hier war die Suchmaschine doch ganz nützlich. Es ist ein
Unterschied, ob man 15 Minuten mit dem Tram fährt oder eine halbe Stunde mit
dem Zug, schon finanziell, es ist ein Unterschied, ob man die Öffnungszeiten
eines Museums weiss, nur nicht die Ausstellungen, oder ob man das Risiko
eingeht, von Den Haag nach Gouda zu reisen, um dann festzustellen, dass das Groenhovenbad
Weihnachtsferien hat, oder nach Leiden, um dort zu sehen, dass das Zwembad De
Zijl erst um 17.00 öffnet. Selbstverständlich habe ich bei den drei neuen
Hallenbädern die Öffnungszeiten und auch die Lage gegoogelt.
So erlebt
man keine bösen Überraschungen.
Aber eben
auch keine angenehmen.
Keine
lustigen.
Keine
spannenden.
Wie schön
war das, auf der Terrasse des «Hotel de Levante» in Torre Canne (Apulien) mit
diesem Ehepaar ins Gespräch zu kommen und nach einer halben Stunde zu merken,
dass die Nichte des Mannes mehrere Jahre lang meine Mieterin gewesen war;
O-Ton: «Ach, Sie sind das!!!»
Wie witzig
war das, zu erfahren, dass der erste Posaunenspieler meines Musikvereins
jahrelang bei der Novartis mit meinem Partner und meiner Vermieterin
zusammengearbeitet hatte.
Und so ist
ein Vorsatz für 2017: Nicht mehr alles und alle und jeden und jede googeln. Es
ist doch schade, wenn man gar keinen Gesprächsstoff mehr hat, weil man schon
alles weiss.
«Was ist
dein Hobby?»
«Ich
stalke.»
«Oh,
interessant. Ich schwimme.»
«Ich weiss.»
So geht mein
derzeitiger Lieblingswitz.
Und –
ehrlich gesagt – Googeln hat ja immer auch etwas vom Stalken.
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