Freitag, 13. Januar 2017

Guter Vorsatz 2: Weniger "Nachgoogeln"



Ich rief einen Dirigenten an, mit dem ich ein gemeinsames Projekt planen sollte, ein grosses, fulminantes, allerdings auch der Umstände wegen heikles, aber das tut nicht viel zur Sache. Als er abnahm, hörte ich sofort in seiner Sprache eine vertraute Färbung. Er musste offensichtlich – nein, man muss hier «unüberhörbar» schreiben – aus dem Grossraum Stuttgart stammen. Also fragte ich ihn nach seiner Herkunft, meine eigene Stimme nun auch heimatlich kolorierend, und siehe da: Er war aus Calw. Aber wir kamen auf viel mehr überraschende Dinge: Das Schärfste war, dass wir beide beim gleichen Lehrer gelernt hatten, bei Manfred Schreier in Trossingen, wenn auch zu ganz unterschiedlichen Zeiten, er in den späten 80ern, ich in 90ern. Was das Leben doch für Überraschungen bietet!

Vergessen Sie den Abschnitt oben.
Es war nämlich ganz anders. Als ich meinen Namen sagte, meinte er nur: «Dann kenne mir ja schwäbisch schwätze…» Er hatte mich natürlich gegoogelt. So wie ich ihn umgekehrt auch. Unsere Herkunft, unsere Vita, alle Fakten und Tatsachen waren keine Überraschung mehr, auch die Trossingen-Schreier-Geschichte lag schon auf dem unsichtbaren Tisch vor uns.
Eigentlich schade.
Wir bringen uns um die schönsten Aha-Momente, um die herrlichsten So-ein-Zufall-Storys, indem wir alle und alles und jede und jeden googeln. Bevor wir das erste Wort zu jemand sprechen, bevor wir jemand das erste Mal in die Augen blicken, haben wir die Totale der Fakten im Kopf: Alter, Herkunft, Hobbys, CV und Familienstand, berufliche Vorhaben und Non-Profit-Jobs, Lieblingsessen und Lieblingsreiseziel.
Eigentlich blöd.

Ich habe in Den Haag ein Eigenexperiment gemacht: Am dritten Tag hatte ich Lust auf ein wenig Kultur und ich beschloss ins Gemeentemuseum zu fahren. Nun würde jeder normale Erdenbürger natürlich erst einmal googeln (oder, wie meine Schülerinnen und Schüler hochpleonastisch sagen, «nachgoogeln»). Ich aber stellte mir drei Fragen: Wie viele Ausstellungen gibt es im Gemeentemuseum normalerweise? Antwort: 5-6, es wird also irgendwas Interessantes dabei sein. Hast du heute das Bedürfnis nach Speziellem, Definiertem? Antwort: Nein, sowohl Pop-Art als auch Man Ray, sowohl Plastik als auch Druck wäre OK. Dritte Frage: Was passiert, wenn du hinfährst und entweder das Ding geschlossen ist oder wirklich nur Mist anbietet? Antwort: Dann hast du ½  Stunde in der Linie 16 verloren, was soll’s?
Also fuhr ich hin und verbrachte höchst anregende 75 Minuten in der Ausstellung «Skulptur im 20. Jahrhundert», die von Rodin über Picasso bis Tinguely etliche wunderbare Exponate zusammenstellte. Es geht auch mal ohne Google, es geht auch mal auf Verdacht, so kann man Überraschungen erleben.

Natürlich bin ich nicht gegen das Nachgoogeln im Allgemeinen. Ich habe z.B. diesen Winter das Projekt «Weitere Schwimmbäder in Holland» gestartet (ich kannte bisher nur die Haager) und hier war die Suchmaschine doch ganz nützlich. Es ist ein Unterschied, ob man 15 Minuten mit dem Tram fährt oder eine halbe Stunde mit dem Zug, schon finanziell, es ist ein Unterschied, ob man die Öffnungszeiten eines Museums weiss, nur nicht die Ausstellungen, oder ob man das Risiko eingeht, von Den Haag nach Gouda zu reisen, um dann festzustellen, dass das Groenhovenbad Weihnachtsferien hat, oder nach Leiden, um dort zu sehen, dass das Zwembad De Zijl erst um 17.00 öffnet. Selbstverständlich habe ich bei den drei neuen Hallenbädern die Öffnungszeiten und auch die Lage gegoogelt.
So erlebt man keine bösen Überraschungen.

Aber eben auch keine angenehmen.
Keine lustigen.
Keine spannenden.
Wie schön war das, auf der Terrasse des «Hotel de Levante» in Torre Canne (Apulien) mit diesem Ehepaar ins Gespräch zu kommen und nach einer halben Stunde zu merken, dass die Nichte des Mannes mehrere Jahre lang meine Mieterin gewesen war; O-Ton: «Ach, Sie sind das!!!»
Wie witzig war das, zu erfahren, dass der erste Posaunenspieler meines Musikvereins jahrelang bei der Novartis mit meinem Partner und meiner Vermieterin zusammengearbeitet hatte.

Und so ist ein Vorsatz für 2017: Nicht mehr alles und alle und jeden und jede googeln. Es ist doch schade, wenn man gar keinen Gesprächsstoff mehr hat, weil man schon alles weiss.

«Was ist dein Hobby?»
«Ich stalke.»
«Oh, interessant. Ich schwimme.»
«Ich weiss.»

So geht mein derzeitiger Lieblingswitz.
Und – ehrlich gesagt – Googeln hat ja immer auch etwas vom Stalken.


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