Ich habe
einen guten Vorsatz für 2017: Ich will mehr lügen.
Nun werden
Sie sagen, ich lüge ja ständig, ich erfinde Geschichten und Storys und Sachen,
aber das ist ja nicht wirklich Lügen, das ist Phantasie, ich mache ja immerhin
so etwas Ähnliches wie Literatur, da darf man ja erfinden, das haben ja alle
Schreiber gemacht. Manchmal hat man die Wirklichkeit der Literatur angepasst,
man hat an jenem Haus in Verona einen Balkon angebaut und in Buffalo die im
Gedicht erwähnte Tafel angebracht, aber das ändert nichts daran, dass
schreibende Menschen lügen.
Nein, ich
meinte das Lügen im alltäglichen, normalen Leben.
Und das will
ich üben.
Ein
Beispiel:
Bei
STARBUCKS fragen die Baristas immer nach Ihrem Vornamen, den sie dann auf den
Pappbecher schreiben, damit nicht irgendein anderer böswillig Ihren Espresso
Doppio oder Ihren Caramel Latte Grande an sich reisst. Und jedes Mal ärgere
ich mich, dass ich meinen richtigen Namen sage. Die Baristas geht das nämlich
überhaupt nichts an, wie ich heisse. Aber ich schaffe es auch nicht, das zu
tun, was ich mir immer vornehme: ihnen einen anderen Namen zu sagen, irgendeinen
unaussprechlichen lettischen, kaukasischen, japanischen, irgendeinen
nichtbuchstabierbaren indischen, bolivianischen, einen galizischen oder
katalanischen; ja, ich schaffe es auch nicht, die Baristas mit Doppelungetümen
wie Alexander-Hilarius oder Makkabäus-Theodor zu quälen, ich sage einfach
meinen echten Namen und ärgere mich jedes Mal darüber.
Noch ein
Beispiel, und das ist jetzt sogar wahr (sehen Sie!):
In der
Grundschule mussten wir an einem Montagmorgen einen Aufsatz zum Thema «Was ich
am Sonntag gemacht habe» schreiben. Nun war ich mit meinen Eltern jeden Sonntag
auf Tour, wir erwanderten die Kalkfelsen der Schwäbischen Alb, wir pflückten
Kirschen im Remstal, wir suchten den Schatzhauser im Schwarzwald oder
plantschten in den Quellen des jungen Neckar, nur just an jenem Sonntag war ich
gelangweilt zuhause gehockt, weil mein Vater Schachturnier gespielt hatte.
Dementsprechend scheisse (sit venia verbo) wurde mein Text. Auf die Idee,
einfach den Sonntag davor, den Sonntag vor acht Tagen mit Remstal, Alb, mit
Schatzhauser oder jungem Neckar zu nehmen, kam ich nicht. Ich konnte zu wenig
lügen.
Ich schreibe
sogar eine ungelogene, wahre, echte und korrekte Steuererklärung. Also fast.
Ich würde ja auch selbstveranstaltete Konzerte mit 200.- bis 400.- Reingewinn
angeben, aber da hat mir ein Freund geraten, das nicht zu tun. Er hatte vor
zwei Jahren einen Klavierabend gegeben, bei dem – ein Wunder, da alles
selbstorganisiert war – tatsächlich 500 Leute gekommen waren und er gab die 567
Franken Erlös wirklich bei der Steuer an. Danach hatte er die Polizei,
Abteilung Organisierte Kriminalität, auf dem Hals. Man vermutete Geldwäsche.
(Das wäre eigentlich sogar eine gute Idee für freischaffende Künstler, aber das
nebenbei bemerkt – und diese Geschichte ist natürlich auch wieder erlogen.)
2017 werde
ich also üben:
Ich werde
meinen Namen falsch sagen.
Ich werde
mein Alter verändern.
Ich werde
behaupten, Harry Potter auf Englisch gelesen zu haben, dabei habe ich ihn
ÜBERHAUPT nicht gelesen.
Ich werde
vortäuschen, in Uruguay, Usbekistan und Usedom gewesen zu sein, ich werde
erzählen, Venezuela, Vietnam und Valencia besucht zu haben.
Ich werde
bei meinem CV schummeln und bei meiner Ausbildung, ich werde einige Storys
erfinden, die so abenteuerlich sind, dass niemand an ihrer Echtheit zweifelt
(als Baby entführt, als Kind in New York verlorengegangen, als Teenager nach
Paris abgehauen, wo ich 5 Monate im Varieté auftrat, als junger Erwachsener
zwei Wochen im Gefängnis wegen einer Messerstecherei).
Und mit
alldem werde ich total im Trend sein, total in, total angesagt und abtudait,
ich werde im Mainstream schwimmen und das tun, was alle tun, denn die Wahrheit
hat ausgedient.
Natürlich
redet man nicht von Zeiten der Lüge, des Mogelns, des Schummelns, von Zeiten
der Unwahrheit, des Verdrehens und Verleugnens.
Man redet
von
«postfaktisch».
Lassen Sie
sich dieses dämliche Wort mal lange auf der Zunge zergehen. Genau
auseinandergenommen heisst das doch: Wir haben die Fakten, die Tatsachen, die
Wahrheit erkannt und nun wenden wir uns wieder unseren Gefühlen, Meinungen,
Parolen zu. Zahlen? Wozu. Wissenschaft? Warum. Wir sind besser, höher, weiter,
wir sind klüger, schneller und erhellter als die Tatsachen, wir sind über die
Fakten hinaus.
Postfaktisch
eben.
Insofern
muss ich meinen Vorsatz umschreiben:
2017 wird
mein postfaktisches Jahr.
Ich habe
einen guten Vorsatz für 2017: Ich will mehr lügen.
Nun werden
Sie sagen, ich lüge ja ständig, ich erfinde Geschichten und Storys und Sachen,
aber das ist ja nicht wirklich Lügen, das ist Phantasie, ich mache ja immerhin
so etwas Ähnliches wie Literatur, da darf man ja erfinden, das haben ja alle
Schreiber gemacht. Manchmal hat man die Wirklichkeit der Literatur angepasst,
man hat an jenem Haus in Verona einen Balkon angebaut und in Buffalo die im
Gedicht erwähnte Tafel angebracht, aber das ändert nichts daran, dass
schreibende Menschen lügen.
Nein, ich
meinte das Lügen im alltäglichen, normalen Leben.
Und das will
ich üben.
Ein
Beispiel:
Bei
STARBUCKS fragen die Baristas immer nach Ihrem Vornamen, den sie dann auf den
Pappbecher schreiben, damit nicht irgendein anderer böswillig Ihren Espresso
Doppio oder Ihren Caramel Latte Granden an sich reisst. Und jedes Mal ärgere
ich mich, dass ich meinen richtigen Namen sage. Die Baristas geht das nämlich
überhaupt nichts an, wie ich heisse. Aber ich schaffe es auch nicht, das zu
tun, was ich mir immer vornehme: ihnen einen anderen Namen zu sagen, irgendeinen
unaussprechlichen lettischen, kaukasischen, japanischen, irgendeinen
nichtbuchstabierbaren indischen, bolivianischen, einen galizischen oder
katalanischen; ja, ich schaffe es auch nicht, die Baristas mit Doppelungetümen
wie Alexander-Hilarius oder Makkabäus-Theodor zu quälen, ich sage einfach
meinen echten Namen und ärgere mich jedes Mal darüber.
Noch ein
Beispiel, und das ist jetzt sogar wahr (sehen Sie!):
In der
Grundschule mussten wir an einem Montagmorgen einen Aufsatz zum Thema «Was ich
am Sonntag gemacht habe» schreiben. Nun war ich mit meinen Eltern jeden Sonntag
auf Tour, wir erwanderten die Kalkfelsen der Schwäbischen Alb, wir pflückten
Kirschen im Remstal, wir suchten den Schatzhauser im Schwarzwald oder
plantschten in den Quellen des jungen Neckar, nur just an jenem Sonntag war ich
gelangweilt zuhause gehockt, weil mein Vater Schachtournier gespielt hatte.
Dementsprechend scheisse (sit venia verbo) wurde mein Text. Auf die Idee,
einfach den Sonntag davor, den Sonntag vor acht Tagen mit Remstal, Alb, mit
Schatzhauser oder jungem Neckar zu nehmen, kam ich nicht. Ich konnte zu wenig
lügen.
Ich schreibe
sogar eine ungelogene, wahre, echte und korrekte Steuererklärung. Also fast.
Ich würde ja auch selbstveranstaltete Konzerte mit 200.- bis 400.- Reingewinn
angeben, aber da hat mir ein Freund geraten, das nicht zu tun. Er hatte vor
zwei Jahren einen Klavierabend gegeben, bei dem – ein Wunder, da alles
selbstorganisiert war – tatsächlich 500 Leute gekommen waren und er gab die 567
Franken Erlös wirklich bei der Steuer an. Danach hatte er die Polizei,
Abteilung Organisierte Kriminalität, auf dem Hals. Man vermutete Geldwäsche.
(Das wäre eigentlich sogar eine gute Idee für freischaffende Künstler, aber das
nebenbei bemerkt – und diese Geschichte ist natürlich auch wieder erlogen.)
2017 werde
ich also üben:
Ich werde
meinen Namen falsch sagen.
Ich werde
mein Alter verändern.
Ich werde
behaupten, Harry Potter auf Englisch gelesen zu haben, dabei habe ich ihn
ÜBERHAUPT nicht gelesen.
Ich werde
vortäuschen, in Uruguay, Usbekistan und Usedom gewesen zu sein, ich werde
erzählen, Venezuela, Vietnam und Valencia besucht zu haben.
Ich werde
bei meinem CV schummeln und bei meiner Ausbildung, ich werde einige Storys
erfinden, die so abenteuerlich sind, dass niemand an ihrer Echtheit zweifelt
(als Baby entführt, als Kind in New York verlorengegangen, als Teenager nach
Paris abgehauen, wo ich 5 Monate im Varieté auftrat, als junger Erwachsener
zwei Wochen im Gefängnis wegen einer Messerstecherei).
Und mit
alldem werde ich total im Trend sein, total in, total angesagt und abtudait,
ich werde im Mainstream schwimmen und das tun, was alle tun, denn die Wahrheit
hat ausgedient.
Natürlich
redet man nicht von Zeiten der Lüge, des Mogelns, des Schummelns, von Zeiten
der Unwahrheit, des Verdrehens und Verleugnens.
Man redet
von
«postfaktisch».
Lassen Sie
sich dieses dämliche Wort mal lange auf der Zunge zergehen. Genau
auseinandergenommen heisst das doch: Wir haben die Fakten, die Tatsachen, die
Wahrheit erkannt und nun wenden wir uns wieder unseren Gefühlen, Meinungen,
Parolen zu. Zahlen? Wozu. Wissenschaft? Warum. Wir sind besser, höher, weiter,
wir sind klüger, schneller und erhellter als die Tatsachen, wir sind über die
Fakten hinaus.
Postfaktisch
eben.
Insofern
muss ich meinen Vorsatz umschreiben:
2017 wird
mein postfaktisches Jahr.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenViel Erfolg mit dim Vorsatz! Ich freu mich scho jetzt uf dini usedom Stories!
AntwortenLöschenIch sagg im Starbucks und wo si au susch immer mi Name wüsse wänd, dass ich Fabian heiss, demit ich mi Vorname nid buechstabiere muess. Das het dezue gführt, dass dr fründlichi Verkäufer im Swisscom shop mich rächt komisch agluegt het woni mi Name erst bim zweite Alauf richtig gseit ha xD