Montag, 9. Januar 2017

Guter Vorsatz 1: Mehr Lügen



Ich habe einen guten Vorsatz für 2017: Ich will mehr lügen.
Nun werden Sie sagen, ich lüge ja ständig, ich erfinde Geschichten und Storys und Sachen, aber das ist ja nicht wirklich Lügen, das ist Phantasie, ich mache ja immerhin so etwas Ähnliches wie Literatur, da darf man ja erfinden, das haben ja alle Schreiber gemacht. Manchmal hat man die Wirklichkeit der Literatur angepasst, man hat an jenem Haus in Verona einen Balkon angebaut und in Buffalo die im Gedicht erwähnte Tafel angebracht, aber das ändert nichts daran, dass schreibende Menschen lügen.

Nein, ich meinte das Lügen im alltäglichen, normalen Leben.
Und das will ich üben.

Ein Beispiel:
Bei STARBUCKS fragen die Baristas immer nach Ihrem Vornamen, den sie dann auf den Pappbecher schreiben, damit nicht irgendein anderer böswillig Ihren Espresso Doppio oder Ihren Caramel Latte Grande an sich reisst. Und jedes Mal ärgere ich mich, dass ich meinen richtigen Namen sage. Die Baristas geht das nämlich überhaupt nichts an, wie ich heisse. Aber ich schaffe es auch nicht, das zu tun, was ich mir immer vornehme: ihnen einen anderen Namen zu sagen, irgendeinen unaussprechlichen lettischen, kaukasischen, japanischen, irgendeinen nichtbuchstabierbaren indischen, bolivianischen, einen galizischen oder katalanischen; ja, ich schaffe es auch nicht, die Baristas mit Doppelungetümen wie Alexander-Hilarius oder Makkabäus-Theodor zu quälen, ich sage einfach meinen echten Namen und ärgere mich jedes Mal darüber.

Noch ein Beispiel, und das ist jetzt sogar wahr (sehen Sie!):
In der Grundschule mussten wir an einem Montagmorgen einen Aufsatz zum Thema «Was ich am Sonntag gemacht habe» schreiben. Nun war ich mit meinen Eltern jeden Sonntag auf Tour, wir erwanderten die Kalkfelsen der Schwäbischen Alb, wir pflückten Kirschen im Remstal, wir suchten den Schatzhauser im Schwarzwald oder plantschten in den Quellen des jungen Neckar, nur just an jenem Sonntag war ich gelangweilt zuhause gehockt, weil mein Vater Schachturnier gespielt hatte. Dementsprechend scheisse (sit venia verbo) wurde mein Text. Auf die Idee, einfach den Sonntag davor, den Sonntag vor acht Tagen mit Remstal, Alb, mit Schatzhauser oder jungem Neckar zu nehmen, kam ich nicht. Ich konnte zu wenig lügen.

Ich schreibe sogar eine ungelogene, wahre, echte und korrekte Steuererklärung. Also fast. Ich würde ja auch selbstveranstaltete Konzerte mit 200.- bis 400.- Reingewinn angeben, aber da hat mir ein Freund geraten, das nicht zu tun. Er hatte vor zwei Jahren einen Klavierabend gegeben, bei dem – ein Wunder, da alles selbstorganisiert war – tatsächlich 500 Leute gekommen waren und er gab die 567 Franken Erlös wirklich bei der Steuer an. Danach hatte er die Polizei, Abteilung Organisierte Kriminalität, auf dem Hals. Man vermutete Geldwäsche. (Das wäre eigentlich sogar eine gute Idee für freischaffende Künstler, aber das nebenbei bemerkt – und diese Geschichte ist natürlich auch wieder erlogen.)

2017 werde ich also üben:
Ich werde meinen Namen falsch sagen.
Ich werde mein Alter verändern.
Ich werde behaupten, Harry Potter auf Englisch gelesen zu haben, dabei habe ich ihn ÜBERHAUPT nicht gelesen.
Ich werde vortäuschen, in Uruguay, Usbekistan und Usedom gewesen zu sein, ich werde erzählen, Venezuela, Vietnam und Valencia besucht zu haben.
Ich werde bei meinem CV schummeln und bei meiner Ausbildung, ich werde einige Storys erfinden, die so abenteuerlich sind, dass niemand an ihrer Echtheit zweifelt (als Baby entführt, als Kind in New York verlorengegangen, als Teenager nach Paris abgehauen, wo ich 5 Monate im Varieté auftrat, als junger Erwachsener zwei Wochen im Gefängnis wegen einer Messerstecherei).

Und mit alldem werde ich total im Trend sein, total in, total angesagt und abtudait, ich werde im Mainstream schwimmen und das tun, was alle tun, denn die Wahrheit hat ausgedient.
Natürlich redet man nicht von Zeiten der Lüge, des Mogelns, des Schummelns, von Zeiten der Unwahrheit, des Verdrehens und Verleugnens.
Man redet von
«postfaktisch».
Lassen Sie sich dieses dämliche Wort mal lange auf der Zunge zergehen. Genau auseinandergenommen heisst das doch: Wir haben die Fakten, die Tatsachen, die Wahrheit erkannt und nun wenden wir uns wieder unseren Gefühlen, Meinungen, Parolen zu. Zahlen? Wozu. Wissenschaft? Warum. Wir sind besser, höher, weiter, wir sind klüger, schneller und erhellter als die Tatsachen, wir sind über die Fakten hinaus.
Postfaktisch eben.

Insofern muss ich meinen Vorsatz umschreiben:
2017 wird mein postfaktisches Jahr.   

 


















 



       


Ich habe einen guten Vorsatz für 2017: Ich will mehr lügen.
Nun werden Sie sagen, ich lüge ja ständig, ich erfinde Geschichten und Storys und Sachen, aber das ist ja nicht wirklich Lügen, das ist Phantasie, ich mache ja immerhin so etwas Ähnliches wie Literatur, da darf man ja erfinden, das haben ja alle Schreiber gemacht. Manchmal hat man die Wirklichkeit der Literatur angepasst, man hat an jenem Haus in Verona einen Balkon angebaut und in Buffalo die im Gedicht erwähnte Tafel angebracht, aber das ändert nichts daran, dass schreibende Menschen lügen.

Nein, ich meinte das Lügen im alltäglichen, normalen Leben.
Und das will ich üben.

Ein Beispiel:
Bei STARBUCKS fragen die Baristas immer nach Ihrem Vornamen, den sie dann auf den Pappbecher schreiben, damit nicht irgendein anderer böswillig Ihren Espresso Doppio oder Ihren Caramel Latte Granden an sich reisst. Und jedes Mal ärgere ich mich, dass ich meinen richtigen Namen sage. Die Baristas geht das nämlich überhaupt nichts an, wie ich heisse. Aber ich schaffe es auch nicht, das zu tun, was ich mir immer vornehme: ihnen einen anderen Namen zu sagen, irgendeinen unaussprechlichen lettischen, kaukasischen, japanischen, irgendeinen nichtbuchstabierbaren indischen, bolivianischen, einen galizischen oder katalanischen; ja, ich schaffe es auch nicht, die Baristas mit Doppelungetümen wie Alexander-Hilarius oder Makkabäus-Theodor zu quälen, ich sage einfach meinen echten Namen und ärgere mich jedes Mal darüber.

Noch ein Beispiel, und das ist jetzt sogar wahr (sehen Sie!):
In der Grundschule mussten wir an einem Montagmorgen einen Aufsatz zum Thema «Was ich am Sonntag gemacht habe» schreiben. Nun war ich mit meinen Eltern jeden Sonntag auf Tour, wir erwanderten die Kalkfelsen der Schwäbischen Alb, wir pflückten Kirschen im Remstal, wir suchten den Schatzhauser im Schwarzwald oder plantschten in den Quellen des jungen Neckar, nur just an jenem Sonntag war ich gelangweilt zuhause gehockt, weil mein Vater Schachtournier gespielt hatte. Dementsprechend scheisse (sit venia verbo) wurde mein Text. Auf die Idee, einfach den Sonntag davor, den Sonntag vor acht Tagen mit Remstal, Alb, mit Schatzhauser oder jungem Neckar zu nehmen, kam ich nicht. Ich konnte zu wenig lügen.

Ich schreibe sogar eine ungelogene, wahre, echte und korrekte Steuererklärung. Also fast. Ich würde ja auch selbstveranstaltete Konzerte mit 200.- bis 400.- Reingewinn angeben, aber da hat mir ein Freund geraten, das nicht zu tun. Er hatte vor zwei Jahren einen Klavierabend gegeben, bei dem – ein Wunder, da alles selbstorganisiert war – tatsächlich 500 Leute gekommen waren und er gab die 567 Franken Erlös wirklich bei der Steuer an. Danach hatte er die Polizei, Abteilung Organisierte Kriminalität, auf dem Hals. Man vermutete Geldwäsche. (Das wäre eigentlich sogar eine gute Idee für freischaffende Künstler, aber das nebenbei bemerkt – und diese Geschichte ist natürlich auch wieder erlogen.)

2017 werde ich also üben:
Ich werde meinen Namen falsch sagen.
Ich werde mein Alter verändern.
Ich werde behaupten, Harry Potter auf Englisch gelesen zu haben, dabei habe ich ihn ÜBERHAUPT nicht gelesen.
Ich werde vortäuschen, in Uruguay, Usbekistan und Usedom gewesen zu sein, ich werde erzählen, Venezuela, Vietnam und Valencia besucht zu haben.
Ich werde bei meinem CV schummeln und bei meiner Ausbildung, ich werde einige Storys erfinden, die so abenteuerlich sind, dass niemand an ihrer Echtheit zweifelt (als Baby entführt, als Kind in New York verlorengegangen, als Teenager nach Paris abgehauen, wo ich 5 Monate im Varieté auftrat, als junger Erwachsener zwei Wochen im Gefängnis wegen einer Messerstecherei).

Und mit alldem werde ich total im Trend sein, total in, total angesagt und abtudait, ich werde im Mainstream schwimmen und das tun, was alle tun, denn die Wahrheit hat ausgedient.
Natürlich redet man nicht von Zeiten der Lüge, des Mogelns, des Schummelns, von Zeiten der Unwahrheit, des Verdrehens und Verleugnens.
Man redet von
«postfaktisch».
Lassen Sie sich dieses dämliche Wort mal lange auf der Zunge zergehen. Genau auseinandergenommen heisst das doch: Wir haben die Fakten, die Tatsachen, die Wahrheit erkannt und nun wenden wir uns wieder unseren Gefühlen, Meinungen, Parolen zu. Zahlen? Wozu. Wissenschaft? Warum. Wir sind besser, höher, weiter, wir sind klüger, schneller und erhellter als die Tatsachen, wir sind über die Fakten hinaus.
Postfaktisch eben.

Insofern muss ich meinen Vorsatz umschreiben:
2017 wird mein postfaktisches Jahr.   

 


















 



       

2 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Viel Erfolg mit dim Vorsatz! Ich freu mich scho jetzt uf dini usedom Stories!

    Ich sagg im Starbucks und wo si au susch immer mi Name wüsse wänd, dass ich Fabian heiss, demit ich mi Vorname nid buechstabiere muess. Das het dezue gführt, dass dr fründlichi Verkäufer im Swisscom shop mich rächt komisch agluegt het woni mi Name erst bim zweite Alauf richtig gseit ha xD

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