Liebe Leserin, lieber Leser
Wissen Sie, was eine «Klolektüre» ist? Können Sie sich darunter etwas vorstellen?
Nun, wahrscheinlich ist es mit «Klolektüre» so wie mit «Vogel» oder «Klassische Musik»; bei diesen Dingen weiss man irgendwie genau, was sie sind, wenn man aber eine genaue Definition versucht, dann scheitert man total, aber wirklich. Wenn man «Vogel kann fliegen» sagt, hat man ja schon den Pinguin aussen vor gelassen, der ja sicher ein Vogel ist. Und bei «Klassischer Musik» liegt man mit «ernster Musik aus alter Zeit» auch völlig daneben, denn die Tanzmusik der Renaissance, also Disco um 1590, das zählt ja auch dazu.
Und «Klolektüre»? «Minderwertige Literatur, die man nur überfliegt»? Gut, aber man kann – wenn man Edgar Wibeau heisst und bei Plenzdorf vorkommt – natürlich auch die «Leiden des jungen Werther» auf der Toilette lesen.
Vielleicht kommen wir mit dem Prototypen-Modell weiter, das der Semantik ja eine wertvolle Idee beschert hat. Hier setzen wir einen Prototyp, also etwas, das 90% der Menschen als typisches Mitglied der Gruppe sehen, in die Mitte eines Gebildes mit konzentrischen Kreisen. Je mehr sich ein anderes Mitglied in seinen Merkmalen von diesem Prototyp entfernt, umso weiter aussen steht es. Beispiel? Bei «Vogel» steht etwa Taube oder Amsel in der Mitte, und der Kiwi oder Pinguin weiter aussen. Bei «Klassischer Musik» haben wir sicher Mozart im Zentrum.
Und bei «Klolektüre»? Nun, hier wäre Goethe sicher weit, weit, weit, weit aussen und die vielleicht die «Glückspost» im Zentrum.
Oder die «Gala».
Oder die «Frau im Spiegel».
Die «Schweizer Illustrierte» nicht mehr ganz so zentral.
Wir bekommen diese Klolektüre von einer ehemaligen Nachbarin und «Glückspost», «Gala», «Frau im Spiegel» und «Schweizer Illustrierte» stapeln sich auf einem Hocker neben dem Waschbecken. Seit wir diese Stapel erhalten, bin ich nun immer über die wichtigen Dinge informiert, über die Sorgen und Nöte der gekrönten Häupter, über die Glücksrezepte der Stars, über die Wohnungen der Popgrössen und über die Geheimnisse der Reichen und Schönen.
In einer dieser Klolektüren stiess ich nun auf ein Glückskonzept einer Sängerin, ein Glückskonzept in mehreren Punkten, das ich hier (in Teilen) kommentieren möchte. Damit es für die Dame nicht ganz so peinlich wird, nennen wir sie um in
Laura Karpfen
Laura empfiehlt nun die folgende Dinge (in Auswahl)
Punkt 1: Sich auf das Positive im Alltag fokussieren.
Wunderbarer Ratschlag, wenn Sie also im Dezember die Stelle verloren haben, ihre Frau abgehauen ist, die Wohnung auf den 1. Mai gekündigt wurde, Sie wieder zur Flasche gegriffen haben, aber die Pflanze auf dem Fensterbrett aber endlich blüht, dann schauen Sie diese Blüte an. Heute. Morgen. Übermorgen. Arbeitsstelle, Frau, Wohnung, Saufen, alles ist dann nicht mehr so schlimm.
Punkt 3: Kreativ tätig sein, sei es durch Malen, Stricken oder Töpfern
Bitte nicht! Wirklich nicht! Denn Menschen, die solche kreative Schübe haben, neigen dann dazu, ihre Machwerke unter die Leute zu bringen, und die Verstimmung, die Ihr Sonnenuntergang in Öl auf Leinwand, Ihre kratzenden Socken und Ihre Blumentöpfe im Antik-Stil bei Menschen auslösen, steht in krassem Widerspruch zu zwei Punkten:
Punkt 9: Wertvolle Beziehungen zu anderen aufbauen. Das bereichert.
und
Punkt 11: Sich mit glücklichen Menschen umgeben. Glückliche Menschen wirken ansteckend.
Spannend sind aber auch die Punkte, die man eben einem Star wie Laura Karpfen nicht ganz, nicht vollständig und nur in Teilen glaubt:
Punkt 8: Sich selbst sein. Sich nicht von der Anerkennung anderer abhängig machen.
Abgesehen von der gewöhnungsbedürftigen Grammatik («sich selbst sein» statt «man selbst sein»), nimmt man Frau Karpfen das nicht ganz ab. Ist sie als Schlagersternchen nicht sehr wohl von der Anerkennung von anderen abhängig? Ich meine, wenn niemand sie anerkennt, dann bekommt sie auch keine Auftritte und Verkäufe…
Punkt 10: Sich nicht mit anderen vergleichen. Denn es gibt immer jemand, der ein grösseres Haus hat oder ein schöneres Auto.
Und es gibt Menschen, die in den Charts über einem stehen. Und ich denke, wenn Laura Karpfen auf Platz 8 ist, weiss sie ganz, ganz, ganz genau, wer auf 7, 6, 5, 4, 3, 2, und vor allem auf 1 steht…
Ach, Laura Karpfen, insgesamt sind es 20 Punkte – und alle sind der grösste Schwachsinn.
Aber ich werde jetzt kreativ werden. Ich werde stricken.
Und zwar ein Klorollenhütchen.
Das passt auf unserem Klo wunderbar zu deinem Gesicht auf der «Glückspost».
In diesem Sinne: Einen guten Rutsch und einen frohen Jahresanfang!!!!!!
Mit oder ohne Glückstipps.
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