Freitag, 19. Juli 2024

Ans Brünnele

Daa – daa – dadada – daa – da – daa / / / Daa – daa – dadada – daa – da – daa / / / Daa – daa – dadada – daa – da – daa

Menschen, die wie ich in den 60er Jahren in Stuttgart, Tübingen, Heilbronn oder Ulm geboren worden sind, also quasi Schwäbische Boomer (ab jetzt SB abgekürzt), werden sich an diese Folge noch erinnern.
«Jetzt gang I ans Brünnele» war das Pausenzeichen des SDR, des Süddeutschen Rundfunks. Jetzt muss man wahrscheinlich den Menschen, die keine SB sind, einiges erklären:

«Jetz gang I ans Brünnele» ist ein altes Schwäbisches Volkslied, das – wie so viele Volkslieder – von der verlorenen und vergangenen Liebe mit viel Schmerz und Todessehnsucht erzählt:

Jetzt gang i ans Brünnele,
trink aber net,
jetzt gang i ans Brünnele,
trink aber net.
Do such i mein herztausige Schatz,
find´n aber net.
(es folgen noch 7 Strophen)

Überliefert hat es – «natürlich!», werden die SB schreien – jener umstrittene Friedrich Silcher, der uns viele Volkslieder, viel Gold, aber auch viel Mist, der uns die wunderbare «Lorelei», aber auch die kastrierte Kotz-Version des «Lindenbaum» für Männerchor bescherte.

Der SDR, der Süddeutsche Rundfunk, war der Sender der Württemberger und Schwaben, und er wurde 1998 mit dem SWF, dem Südwestfunk, dem Sender der Badener und Pfälzer, zwangsfusioniert – das würde nun ein Mensch, der in den 60er Jahren in Freiburg, Karlsruhe Mannheim oder Landau geboren wurde, also quasi ein Badischer Boomer, ein BB, genauso sehen.

Und ein Pausenzeichen?
Ja, da muss man ein wenig ausholen, und das klingt nun fast wie ein Märchen:

Es gab eine Zeit, da gab es noch Stille. Also Sekunden und Minuten, in denen kein Geräusch und keine Musik und keine Sprache zu hören war. Und diese Stille, diese Zeit ohne Klang, Sprache, Musik oder Geräusch, die gab es auch im Rundfunk. Wenn z.B. ein Live-Konzert bis um 21.45 ging, und um 22.00 die Nachrichten verlesen wurden, dann waren da 15 Minuten Stille. Und damit die SB oder BB wussten, dass sie den richtigen Sender eingestellt hatten, kam alle ca. 10 Sekunden ein Zeichen, das ausrief: «Hallo SB (oder BB)! Du bist richtig – es geht bald weiter».

Natürlich hatten die BB mit ihrem SWR nicht das Brünnele, sondern «Bald prangt, den Morgen zu verkünden» aus der «Zauberflöte», ja, jeder Sender hatte natürlich sein Zeichen, sonst hätten die Dinger ja ihren Zweck nicht erfüllt: «Solang der alte Peter» wies auf die Bayern hin, «Deutsch ist die Saar» auf den SR, die Hessen hatten eine schräge Tonfolge von oben nach unten, und der NDR eine schräge Tonfolge von unten nach oben.
Und manchmal schraubte man einfach am Sendewählknopf herum, um ein fremdes Pausenzeichen zu hören.

Ja, die Stille.
Die Stille hat ihre Zeit gehabt. Seit Jahrzehnten ist es in Pop-Musik üblich, in die Musik hinein- und wieder hinauszuzoomen, ein «fade in» und «fade out», lange hielt die Klassik noch stand.

Dann kamen die Füllmusiken. Füllmusik (was für ein grausames Wort) ist Musik, die nur einen Sinn hat: Zeit zu füllen. Sie wird – das ist jetzt echt wahr! – nach Ablaufzeit geordnet. Wenn nun eine Übertragung von Mahler VI oder Mahler VII um 21. 56 und 30 Sekunden enden wird, dann sucht der Sprecher oder die Sprecherin im Studio in ihrem Bandschrank eine Musik mit der Aufschrift 3 `30``. Ob das Chopin, Mozart, Bach oder Tschaikowski ist, ist völlig egal. Und dann kommt die Ansage, die wir alle so lieben: «Bis zu den Nachrichten hören wir noch ein wenig Chopin (oder Mozart, oder Bach, oder Tschaikowski)» Mal ganz ehrlich: Wäre man nach Mahler VI oder VII (genauso natürlich nach dem Titan, der Auferstehung oder dem Faust, auch nach III, IV, V oder IX) nicht um Stille froh? Will man da wirklich noch ein «bisschen» Chopin, Mozart oder Bach hören?
Sicher nicht.

Aber nun setzen die Radioleute noch einen drauf: Sie sprechen über die laufende Musik. Und sie tun das nicht verschämt, heimlich und unbemerkt. Nein. Heute sagte eine Moderatorin ganz dreist: «Ich verabschiede mich mit German Brass und «Figaro» von Rossini, was im Hintergrund schon läuft.»
Der erste Ton eines Stückes ist immer ein heiliger Moment. Wenn der hier geopfert wird, dann ist der Untergang des Abendlandes gesichert.

Daa – daa – dadada – daa – da – daa
Menschen, die wie ich in den 60er Jahren in Stuttgart oder Tübingen geboren worden sind, also SB, werden sich an diese Folge noch erinnern.
«Jetzt gang I ans Brünnele» war das Pausenzeichen des SDR, des Süddeutschen Rundfunks.

Und es wäre so grossartig, wenn man diese Zeichen wieder benutzen würde.



  

 

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