Dienstag, 12. März 2024

Warum ist der Mensch so kompliziert?

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht aufzuschreiben, was ich jeden Morgen tue, bevor ich aus dem Haus gehe. Und ich war und bin entsetzt, wie viel Schritte es braucht, um mich in einen Zustand zu versetzen, der ein Verlassen des Wohngebäudes rechtfertigt:

Ich erhebe mich aus dem Bett.
Ich gehe auf die Toilette.
Ich schlurfe in die Küche.
Ich stelle die Kaffeemaschine an, lege eine Kapsel ein, warte eine Weile, bis das Blinken aufhört und mache dann eine Tasse Kaffee.
Ich trinke diesen Kaffee.
Ich gehe ins Bad, putze meine Zähne (elektrisch), ich rasiere mich (elektrisch), nehme tüchtig Deo und verlasse das Badezimmer wieder.
Ich ziehe Unterhose, Hose und Pulli an.
Jetzt muss ich noch einmal kurz ins Bad, denn die Haare wollen gegelt werden.
Ich ziehe Armbanduhr, Ringe und Brille an, dann Strümpfe und Schuhe.
Ich packe das Handy in meine Umhängetasche, Portemonnaie, Lektüre, Schwimmsachen und Schlüssel habe ich schon gestern Abend reingetan.
Ich ziehe den Anorak an und verlasse die Wohnung, ich gehe die Treppe hinunter und verlasse das Haus.

Das ist eine sehr, sehr, sehr, sehr, sehr lange Liste.
Und obwohl ich lange darauf schaue, kommen mir keinen Ideen, wie ich dieses ausgedehnte Verfahren abkürzen könnte. Ja, es gibt sogar Sachen, die hier gar nicht auftauchen und die die Phase extrem verlängern würden:
Ich dusche morgens nicht, weil ich in der Mittagspause schwimmen gehe und im Hallenbad Kirschgarten ausgiebig dusche, vor dem Schwimmen (muss ich vom Hallenbadreglement her) und danach (will ich – wegen des Chlors).
Das Packen, ich habe mir angewöhnt, meine Tasche am Abend schon am Abend schon zu richten (mit Ausnahme des Mobilphones, das laden muss), nach langem Zögern und Hadern habe ich gemerkt, dass meine Eltern hier doch recht hatten…
Ich rauche nicht mehr, früher kam zum Morgenkaffee noch die Morgenzigarette.

Also keine Dinge, die man weglassen kann, es bleibt eine lange Prozedur, ein langes Verfahren, und so muss man sich fragen, ob der Mensch hier nicht eine Fehlkonstruktion ist?
Wenn die Kaffeemaschine, die ich am Morgen bediene, eine solch lange Prozedur bräuchte, bis ich sie bedienen könnte (z. B. einschalten – aufwärmen – spülen – wieder ausschalten – wieder einschalten – erneut spülen – Kapsel aufwärmen – Kapsel anpieksen – Kapsel einlegen – Kaffee herstellen…), dann wäre die Maschine unbrauchbar.
Wenn der elektrische Rasierer an jedem Abend komplett gereinigt werden müsste, also jedes einzelne Barthaar mit der Pinzette entfernt werden müsste, weil er sonst kaputtginge, dann wäre der Grün X098 ein blödes Teil und ich würde ihn durch den Blau Y765 ersetzen, bei der eben NICHT an jedem Abend komplett gereinigt werden müsste, also jedes einzelne Barthaar mit der Pinzette entfernt werden müsste.
Wenn das Handy sich bei jedem Aufladen ausschalten würde, und wenn man zum Einschalten eine 16stellige Pin bräuchte, zum Entsperren der SIM-Karte eine 14stellige Pin und zum Farbigmachen des Bildschirms eine 20stellige Pin, dann hätte ich dieses Handy nicht.

Warum ist der Mensch nun so kompliziert?
Man ist versucht, sich zu überlegen, wie man aus dem Dilemma herauskommt.

Eine Lösung wäre sicher, einfach morgens nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Das würde sehr, sehr, sehr viele Arbeitsgänge einsparen:
Hose anziehen.
Schuhe binden.
Uhr anlegen.
Anorak zumachen.
usw.
usw.
Nun arbeite ich im Kontext von Schülerinnen und Schülern, die (wieder) lernen sollen, regelmässig in die Schule zu gehen und dort zu arbeiten. Es wäre also pädagogisch sehr unsinnig, wenn die Teenager in eine Institution müssten, wo dann ein Monitor stünde, mit dem sie den Lehrer sehen, der im Homeoffice arbeitet. Das wäre Quatsch.
So wie mir geht es natürlich auch vielen anderen, jedes Handwerk und auch die meisten Dienstleistungen sind im Homeoffice nicht zu bewerkstelligen.

Nein. Wir kommen – glaube ich – da nicht weiter.
Die Komplexität, die der Mensch hat und evoziert, wenn er versucht, in die Gänge zu kommen, das muss irgendwie ein evolutionärer Vorteil gewesen sein. Eine Amöbe ist immer parat. Eine Spinne braucht keinen Kaffee, um wach zu werden. Ein Elefant muss sich nicht rasieren. Eine Schnecke geht nicht aus dem Haus. Ein Adler zieht keinen Anorak an.
Aber wir haben der Fauna irgendetwas voraus, also muss man die lange Liste, die ich oben beschrieben habe, irgendwie in Ordnung sein.

Nun habe ich doch noch einen Punkt entdeckt, der mir 5 Sekunden spart:
Ich werde die Kaffeekapsel schon am Abend einlegen.







 

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