Dienstag, 5. März 2024

Also bitte, wir Boomer haben nichts verschwitzt!

Eine meine Schülerinnen ist nicht ganz einverstanden mit meinem Boomer-Blog. Die Boomer hätten alles verschlafen. Die Boomer hätten sich um nichts gekümmert. Sie wandelt sogar einen bekannten Witz um:
Sagt der Chef zur Sekretärin: «Sie sind entlassen.» «Aber warum», ruft sie, «ich habe doch nichts getan.» «Ja, eben», so der Chef.
Sagen die Millennials zu den Boomern: «Ihr müsst in Rente, geht endlich.» «Aber warum», rufen sie, «wir haben doch nichts getan.» «Ja, eben», so die Millennials.

Haben wir Boomer wirklich Dinge übersehen? Haben wir Sachen liegen lassen? Haben wir etwas verschwitzt?
Klare Antwort: Nein.

Nehmen wir ein Bespiel:
Wir haben Brücken gebaut; und ich meine das nun gar nicht spirituell oder übertragen («Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen…»), sondern richtig und wahrhaftig und realiter. Wir haben nicht nur Brücken gebaut, sondern auch welche übernommen, und das ganze deutsche Land durchziehen Betonbrücken über Täler und Höhen und Dörfer.
Wir haben nun angenommen, dass Brücken 1000 Jahre halten. Das war vielleicht etwas optimistisch gerechnet, aber der Pont du Gard, der hält doch nun auch schon 2000 Jahre, oder? Oder andere Römerbrücken. Konnten wir irgendwann davon ausgehen, dass eine in den 70er Jahren errichtete Brücke nur 50 Jahre hält? Und jetzt einfach gesprengt werden muss? Konnten wir nicht.

Oder nehmen wir das Handynetz.
Wir Boomer wuchsen als erste Generation mit einer «Telefon-Vollversorgung» auf. Meine Grundschullehrerin wies auf dem ersten Elternabend darauf hin, dass sie erwarte, dass alle Eltern ein eigenes Telefon besässen. Das war in den frühen 50ern ja nicht unbedingt selbstverständlich, häufig hatte nur der Laden im Erdgeschoss eines, und dann schickte man den Ladenbuben die betreffenden Leute zu holen, zum Anrufen ging man zur Post oder in eine Telefonzelle. Nun wurde also das nicht mehr akzeptiert, ein Telefon war Pflicht.
Und dann kam das Fax für schriftliche Nachrichten, eine Technik, die sich inzwischen überholt hat, aber auch das schafften wir an.
Ja, wer hätte denken können, dass sich das Handy so durchsetzen wird und das man ein völlig neues Netz benötigen würde? Die Telefone und die Faxe funktionierten mit Bodenkabeln, selbst ein Internet wäre doch vielleicht ohne irgendeine Drahtlosigkeit ausgekommen. Aber daran, dass man jetzt an Funklöchern verzweifelt, darauf konnten wir Boomer nicht kommen.

Sagen die Millennials zu den Boomern: «Ihr müsst in Rente, geht endlich.» «Aber warum», rufen sie, «wir haben doch nichts getan.» «Ja, eben», so die Millennials.
So gemeine Sprüche machen die Jungen, dabei ist das so unfair, wir konnten nicht an alles denken.

Ja, und der Klimawandel.
Der ist ja wirklich erst seit Greta Thunberg bekannt, das konnten wir echt nicht wissen.
Ja, da gab es angeblich eine Sendung namens «Querschnitt», in dem ein zerstreuter Professor mit sehr scheusslichem Backenbart den Leuten die verschiedensten Dinge erklärte und in der schon 1978 der Treibhauseffekt erläutert wurde. Hätten wir also etwas wissen können? Nein, denn Ditfurth war auch gegen Waffen, ein NATO-Doppelbeschluss-Gegner und Pazifist, das zeigt ja schon, dass er ständig irrte, auch mit seiner Weltuntergangsstimmung, die ja von vielen Wissenschaftler dann erst einmal abgelehnt wurde…
So war es doch logisch, dass wir Boomer warteten, bis sich alle Experten einig sind, das ist eh immer das Beste, warten, bis sich alle, alle, aber auch alle Experten einig sind, dann kann man nichts falsch machen.
Das entscheidende Argument ist nun aber der Zeitpunkt der Sendung «Querschnitt». Das kam um 20.15 im Fernsehen, ja und ich war 13 und musste damals um 19.00 ins Bett. Nach dem Sandmännchen, das damals noch ein West-Sandmännchen war und wo «Kommt ein Wölkchen angeflogen» gesungen wurde und nicht «Sandmann, lieber Sandmann», aber das ist eine andere Geschichte.

Und die kaputten deutschen Schulen.
Ich selbst habe als Mitglied der Orff-Gruppe, der Tanz-Gruppe und des Schulchores die Einweihung der neuen Fuchsrainschule in Stuttgart mitgestaltet. Das war 1975; das Zusammenleben von Grundschule und Gymnasium, also von Sechsjährigen und Neunzehnjährigen im gleichen Gebäude der Wagenburg-Schule war nicht mehr gegangen, also baute man (sehr zu meinem Leidwesen, weil ich für 1 Jahr einen 45 Minuten-Schulweg bekam) das neue Gebäude am Waldrand.
Das war vor nur 50 Jahren alles neu! Alles pikobello, alles fein, schön gemacht, mit viel Glas und viel Beton und einer Skulptur auf dem Schulhof. Und wie sieht es jetzt aus? Nicht mehr schön.
Was haben die Nach-Boomer mit den Schulen gemacht?
Schulen, die vor 50 Jahren tipptopp waren, sind jetzt alt und gammelig und versaut, aber nicht, weil wir Boomer da irgendetwas hätten renovieren sollen, sondern, weil die Nach-Boomer nicht mit den Sachen umgehen können, weil sie alles zerstören und ruinieren.
Das ist die Wahrheit. Nicht normale Abnutzung, sondern kriminelle Schludrigkeit.

Eine meine Schülerinnen ist nicht ganz einverstanden mit meinem Boomer-Blog. Die Boomer hätten alles verschlafen. Die Boomer hätten sich um nichts gekümmert.
Haben wir Boomer wirklich Dinge übersehen? Haben wir Sachen liegen lassen? Haben wir etwas verschwitzt?
Klare Antwort: Nein.

 

 

 

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