Dienstag, 7. Juni 2022

Führe uns nicht in die Waffen-Versuchung

Mein Freund Klaus hat ein Problem mit seinem Sohn Jan (5 Jahre). Jan hat eine Phase, die man als „Entdeckung kreativen Potentials“ bezeichnen könnte, die aber von Klaus einfach als Schmier- und Sudelphase gesehen wird.
Jan entdeckte neulich ein Glas Himbeerkonfitüre und gestaltete damit die Wohnzimmerwand. Er fand eine Tube Färbemittel und entwarf damit „Ohne Titel I“ auf der Küchentür. Jan entdeckte Motorenöl und Schuhcreme, die dem Sofa zu einem völlig neuen Aussehen verhalfen. Und er machte aus Nutella und Nagellack auf dem Fussboden des Gästezimmers das Kunstwerk «Von Gut und Böse».
Völlig genervt und erledigt wendet sich Klaus an eine Erziehungsberatung. Und die gibt ihm einen einfachen Rat: Bis die Phase vorüber ist, alle Flüssigkeiten und Cremes wegschliessen.

Meine Freundin Carla macht gerne Partys, hat aber immer ein Problem, wenn Urs auftaucht.
Urs macht sich sofort über die Hausbar her und findet dort auch immer genug Hochprozentiges. Nach seinem dritten Whiskey fängt er an über Hegel und die Junghegelianer zu dozieren, kommt dann zu Gin und Schnaps, nach denen er auf dem Tisch Habanera tanzt und nach dem vierten Absacker (Rioja, komischerweise Rioja, Urs kehrt, wenn er ganz besoffen ist, wieder zu den milderen Sachen zurück, die aber immer noch genügend Alkohol haben…) fängt er an, Leute zu beleidigen. Da fällt dann schon einmal eine «blöde Sau», eine «gottverdammte Schwuchtel», da wird schon einmal von «Nigger» oder «idiotischer Fotze» gelallt.
Der Rat an Carla ist so eindeutig wie der Rat der Erziehungsberatung an Klaus: Alkohol wegsperren, alle Gäste bekommen ihre Getränke nur direkt von ihr. Was den Erfolg hat, dass Urs nicht mehr auftaucht und man diese Regel dann wieder fallen lässt.

An der Gymnasialen Oberstufe in Helmdodden (Holstein) hat man sich nach langem Hin und Her nun doch entschlossen, die Handys wieder komplett aus dem Schulgebäude zu verbannen.
Das Gunther von Bluden-Gymnasium führt zu diesem Behufe sogar extra eine Abgabestelle im Foyer ein: Vor dem Unterricht deponieren Schülerinnen und Schüler dort gegen eine Quittung ihre Mobilgeräte und erhalten sie am Nachmittag zurück. Das Telefonieren, Whattsappen, Googeln, Mailen, Chatten und Instagrammen während der Lektionen hatte dermassen überhandgenommen, dass ein sinnvoller Unterricht nicht mehr möglich war.

Im Vater Unser beten wir jeden Sonntag:

…und führe mich nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.

Die Ewiggestrigen und Vorkonziliaren beten vielleicht noch so:

…et ne nos inducas in tentationem
sed libera nos a malo.

Sollten wir dann aber nicht auch alles verbannen, was uns in Versuchung führt?
Sollte nicht Klaus einfach alle Schmiermasse wegschliessen, die Jan in die Versuchung des Herumsudelns führt?
Sollte Carla Urs nur noch kleine Gläser geben (oder eventuell eh nur noch Wasser), wenn ihn das in die Versuchung des hemmungslosen Saufens führt?
Sollten wir die Handys nicht ausschalten, wenn wir in die Versuchung geführt werden sie ständig zu benutzen?
Sollte ein Raucher nicht am besten gar keine Zigaretten daheim haben?
Sollten wir nicht das Auto abschaffen, wenn die Versuchung zu gross ist, jeden Kioskbesuch mit ihm zu bestreiten?

Und was machen wir, wenn wir manchmal Lust haben, wild durch die Gegend zu ballern?
Ja, dann ist es am besten, wenn keine Waffen greifbar sind.
Sollte Jan mit 15 Jahren und schwer schulgefrustet nicht nur Bock haben, die Schule zu besudeln, sprich zu besprayen, sondern auch an einem schönen Tag ein paar Leute umzulegen, wäre es gut, wenn Klaus nicht nur die Farbe, sondern eben auch die MGs in den Tresor sperrt.
Wenn Urs nach 12 Einheiten Whiskey, Gin und Wein aggressiv würde, dann wäre es gut, wenn Carla keine Waffen daheim hat.
Vom Gunther von Bluden-Gymnasium müssen wir jetzt nicht reden.

Nein, nicht ein mehr an Waffen, sondern ein weniger an Waffen ist die Lösung der sich alle Jahre wiederholenden Amokläufe in den USA. Und dass die Waffenlobby einen Tag nach einem solchen Amoklauf einen Kongress beginnt, ist die grösste Frechheit der Geschichte.

…and lead us not to temptation
but deliver us from evil

So beten die Frommen in Amerika. Und das gerade sie dann Trump wählen und den Schrank voller Knarren haben, um sich gegen die Bösen, gegen das Böse, gegen den Teufel und den ungläubigen Nachbarn zu verteidigen, das macht einen rasend.
Vielleicht sollten die liberalen Christen der USA beten:

…but deliver us from NRA.

P.S. Wer Bowling for Columbine von Michael Moore noch nicht 10x gesehen hat: Unbedingt jetzt wieder schauen.

 

 

 

 

 

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen