Freitag, 10. Juni 2022

Der Satz, der mir entgegenkommt - Jephta lässt grüssen

Ich sitze und brüte über einem Satz. Dieser Satz soll das Zentrum eines neuen Posts sein. Ist aber ein komischer Satz. Wie ich zu ihm kam? Das kam so:

Ich hatte mal wieder eine Ideenblockade. Also kein Thema in Sicht. Was macht man, wenn man kein Thema hat? Wenn keine Idee, kein Plot und kein Motto kommt?

Man kann natürlich Blogpause machen. Aber mit den Pausen ist das ja so eine Sache. Sie wirken nur, wenn darum herum etwas ist. Und mehrere Pausen aneinandergehängt ergeben eben eine grosse Pause. Oder haben Sie schon einmal ein Musikstück mit je 4 Viertelpausen hintereinander gesehen? Eben nicht, da schreibt man eine Ganze Pause. Oder fragen Sie Ihren Chef, ob Sie zwischen den 2 Wochen zu Pfingsten und den 3 Wochen im Juli frei nehmen könnten? (Das wären dann 9 Wochen.) Tun Sie wahrscheinlich nicht, das könnte dann nämlich das Ende der Arbeitsbeziehung sein. Also ewig lange Blogpausen sind nicht die Lösung – wirklich nicht.

Man kann es mit den Musen probieren. Aber da ich neulich folgende Erfahrung machte:
Eine halbe Stunde später erschien dann doch Thalia. Anscheinend hatten die Damen sich nun doch geeinigt, dass Glossen in den Bereich der Komödie fallen. Thalia ging als erstes an meine Hausbar und schenkte sich einen Whiskey ein, sie hockte sich auf meinen Besuchersessel und packte ihre Marlboro aus. «Rauchen bitte auf dem Balkon», knurrte ich, aber das war ihr völlig wurscht, sie zündete ihre Kippe an und es blieb mir nichts anderes übrig, als den Aschenbecher zu holen, die gute Frau – so schätzte ich sie ein – hätte erbarmungslos auf meinen Teppich geascht.
liess ich es doch lieber sein. (Post von 22.10.2019)

Jemand fragen? Gut, da kommen Ideen, aber kann ich über sie schreiben? Maja möchte einen Post über FKK-Ferien, Knut möchte, dass ich über die Baha`i-Religion schreibe, Vreni wünscht sich einen Text über Lautenmusik und Jörg einen Post über Grunge-Musik. Von allem habe ich keine Ahnung, und ich habe keine Lust mich stunden-, tage- und wochenlang über FKK, Baha`i, Lauten oder Grunge weiterzubilden.

Was also? Ich hatte eine Idee, die ich zunächst für super und spitze hielt:
Der erste Satz des Buches, das ich als nächstes lesen würde, würde mein Postthema geben.
Das schwor ich.

Nun hätte ich als antikenkundiger, märchenkundiger, bibelkundiger Mensch natürlich wissen müssen, dass das schief geht. Denn ein antikenkundiger, märchenkundiger, bibelkundiger Mensch kennt die Storys.
Jephta, der Richter Israels, schwört, dass er, wenn er gegen die Ammoniter gewinnt, das erste Lebewesen, das ihm zuhause entgegenläuft, Jahwe opfert. Das ist dann blöderweise seine Tochter. Und er muss sie opfern – Händel hat das dann abgewandelt und einen Deus ex Machina in Gestalt eines Engels auftreten lassen.
Dem gleichen Schema folgt die Geschichte des Idomeneo. Hier ist es ein Sohn, Idamantes, aber der blöde, blöde, blöde, blöde Schwur ist der gleiche.
Im Märchen ist es meistens ein wenig milder, da wird der oder die erste, die da entgegenkommt, nicht getötet, sondern nur verheiratet, da ist jetzt die Frage, was ist schlimmer, geopfert werden oder einen Igel oder einen Frosch heiraten…

Auf jeden Fall hätte ich es wissen müssen.
Als antikenkundiger, märchenkundiger, bibelkundiger Mensch hätte ich es wissen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass man solche Versprechen, solche Schwüre, dass man solche Eide, solche Gelübde nicht ungestraft macht. Denn solche Versprechen, solche Schwüre, solche Eide oder solche Gelübde können ins Auge gehen.

Ich schlage also das Buch auf, es ist Bindungen von Barbara Frischmuth, einer tollen österreichischen Autorin, und ich lese mit Schrecken den ersten Satz

Ich gehe im Zimmer auf und ab.

Dieser Satz ist nun also jenes Erste, was mir entgegenkommt. Er ist meine Iphis (bei Händel heisst sie so, in der Bibel ist sie namenlos), er ist mein Idamantes, mein Hans-mein-Igel. Er ist nun mein Schicksal.

Ich gehe im Zimmer auf und ab.

Nun, so ist das halt, wenn man auf Blogpause, auf Musen und Kollegenbefragung verzichtet. Und einen Eid leistet. Einen Schwur. Ein Versprechen. Ein Gelübde.
Sehen wir, was ich aus diesem Satz machen werde.

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