Dienstag, 6. September 2016

Hoch über dem Strand steht der Mond im... Quadrat? oder: Menschen sind unbelehrbar

Viele Menschen singen unter der Dusche. So tut das auch der junge Mann im Duschbereich des Freibades Frankfurt-Hausen, der neben mir wie sich das Chlor des 50m-Beckens abspült:
Hoch über dem Strand steht der Mond im Quadrat…
Das erstaunt mich nun doch etwas, es ist ein Song der Basler A-capella-Gruppe THE GLUE, eine Formation, deren Weg ich seit langem mitverfolge. Als ich den jungen Kerl auf seinen Gesang anspreche, erzählt mir Daniel, wie er sich vorstellt, dass er das Quintett im Winter in Frankfurt gehört habe und ihm gerade dieses Lied nicht mehr aus dem Kopf gehe. Das sei interessant, meine ich, ich würde die Fünf seit vielen Jahren kennen und es sei witzig, dass man nun in Deutschland auch auf ihre Nummern treffe. Allerdings habe er sich den Text falsch gemerkt, korrekt heisse es:
Hoch über dem Strand steht der Mond im Spagat…

Daniel schüttelt den Kopf, er sei sich ganz, ganz sicher, es laute Quadrat, und die Symbolik eines quadratischen Mondes sei doch auch angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt absolut einleuchtend, ausserdem spiele es auf die Quadratur des Kreises an. Das möge sein, so ich, es sei aber dennoch falsch. Nun muss ich doch erzählen, dass ich in Basel, der Heimstatt der Acapellisten wohne, dass ich vier der fünf durch die Knabenkantorei seit Kindesbeinen, und das ist nicht übertragen gemeint, sondern wirklich so: von Kindesbeinen, kenne, dass ich…

Daniel glaubt mir nicht. Als ich den Vorschlag mache, den Song einfach zu googeln, winkt er ab: Im Internet stehe ja aller möglicher Blödsinn, das sei kein Beweis. Na ja.
Ich biete an, ihm den Beweis zu erbringen und verabrede mich mit dem jungen Mann in 10 Minuten im Freibad-Café.
Ich renne zu meinem Schliesskasten, hole Geld und Handy und schicke Gregor, einem der fünf eine SMS:
Rufe mich in 10 Minuten an – Textklärung gegenüber einem Hessischen Fan von euch LG

Als Daniel und ich im Café sitzen und an unseren Espressos nippen, klingelt mein Handy. Ich reiche Gregor an mein Gegenüber weiter und ich entnehme seinem Nicken, dass mein Basler Freund ihm den Text des Songs noch einmal genau vorsagt. Er legt auf und schweigt eine Weile, dann meint er:
«Der sagt Spagat, aber hier in Frankfurt haben sie Quadrat gesungen.»

Mir fällt fast die Tasse aus der Hand: Wie stur kann ein Mensch sein? Er trifft jemand (nämlich mich, der die Gruppe kennt, der in der gleichen Stadt wohnt, der sogar Handynummern von mehreren Mitgliedern hat, der ihm sogar den Direktkontakt vermittelt und checkt seinen Irrtum immer noch nicht?
Ich greife noch einmal zum I-Phone. Gregor ist nicht mehr zu erreichen, aber ich erreiche Tumasch. Ich erkläre diesem die Situation und reiche ihn weiter.
«Hallo, ich bin Daniel, Frankfurter Fan von euch, kann es sein, dass ihr hier im Februar «Mond im Quadrat» gesungen habt?» … «Ganz sicher?» … «OK, und vielen Dank auch.» …
Er wendet sich mir zu und sagt: «Du hast recht, es ist Spagat.»
Ich atme auf.

Wie viele Bestätigungen braucht ein Mensch, um endlich etwas zu glauben, zu akzeptieren, anzuerkennen, um endlich etwas zu checken, zu kapieren, zu begreifen? Zumal nicht jeder die Möglichkeit hat direkt an die Quelle zu gehen?
Die meisten Menschen brauchen einfach zu oft die gleiche Info, bis diese bei ihnen ankommt. Wenn Radio und Fernsehen für morgen Regen, Hagel, Sturmböen und Orkane ansagen, dann rennen sie an den PC und sind, wenn 13 Wetter-Seiten ebenfalls nicht von 30° und praller Sonne Reden, eventuell bereit, über die Absage des Ausfluges an den Zürichsee abzusagen. Sie fragen im Supermarkt jeden Verkäufer, den sie erwischen können, und dazu noch alle Kassiererinnen, ob in dem Produkt Nüsse seien, glauben allen nicht und holen dann noch die Geschäftsführerin, bis sie endlich das für Allergiker gefährliche Ding wieder zurücklegen – dabei hätte ein Blick auf die Verpackung gereicht, es war ein Snickers.

Global gesehen hat so eine Haltung verheerende Auswirkungen. Vor vielen Jahren sagte ein kluger Mensch: «Wenn wir die wirtschaftliche Not in Afrika nicht bekämpfen, by the way: die Not, die wir selber durch unfairen Handel verursachen, dann werden sich immer mehr Leute aufmachen, um nach Europa zu gelangen.» Man glaubte ihm nicht. Dann kam das erste Boot über das Mittelmeer, man sagte Einzelfall. Dann kamen viele Boote, man sah das Problem noch nicht. Inzwischen hat eine Völkerwanderung eingesetzt und manche überlegen, ob jener kluge Mann nicht doch Recht hatte.
Genauso ist es mit dem Klimawandel. Sie könnten gewisse Amis an den Aletschgletscher schleppen und ihnen Fotos von 1923 davorhalten und sie würden immer noch behaupten, das sehe genau gleich aus.
Manchmal möchte man doch einfach schreien:
JETZT GLAUBT ENDLICH, MEHR BESTÄTIGUNG GIBT ES NICHT.

Es wurde dann doch noch ein ganz netter Nachmittag mit Daniel, mir sehr viel Sonne und etlichen Espressos. Beim Verabschieden sagte er dann: «Vielen Dank nochmal. Aber: Müsste es nicht wirklich besser Quadrat heissen und die GLUE haben den Text von vornherein falsch geschrieben?»


P.S. Wer den Song hören möchte:




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