Freitag, 16. September 2016

Der Dirigierroboter - Blogpause

Eine Nachricht der Baselbieter Verkehrsbetriebe hat mich neulich erschreckt: Auf der Schmalspurstrecke Liestal-Waldenburg sollen ab 2022 keine Lokführer mehr eingesetzt werden. Obwohl ich weiss, dass das technisch überhaupt kein Problem ist, obwohl ich weiss, dass der Mensch im Cockpit viel unzuverlässiger ist wie eine Maschine, obwohl ich wahrscheinlich in Grossstädten schon mit führerlosen U-Bahnen gefahren bin – ich sage immer, ich würde das nie tun – obwohl ich das also alles weiss, macht es mich unglücklich, macht es mich traurig.

Nein, ich möchte weiterhin von Menschen gefahren werden, ich möchte sehen, wie die Tramfahrer sich kollegial zuwinken, das hat so etwas Rühriges, ich möchte mich beim Chauffeur bedanken können, wenn er auf mich gewartet hat und ich möchte weiterhin hören, wie er brummelt, wenn jemand die Türen versperrt. Apropos Durchsagen: Ich bin auch gegen die elektronischen Ansagen, die ja meistens laufen. Am Anfang genoss ich auf meiner Morgenpendelfahrt noch Heidrun, so nannte ich sie, die mir in perfektem Hochdeutsch und immer gut gelaunt eine gute Fahrt wünschte, inzwischen ist es öde: «Die SBB begrüsst sie auf der Fahrt nach…» Heidrun klingt immer gleich, ist immer bei Stimme, hat nie eine Erkältung oder ist mal mies drauf. Umgekehrt freue ich mich jeden Tag bei der Rückfahrt auf den Zugchef, der die Anschlüsse nach «Basel Badisch» (Klingt ein wenig nach «Kaddisch») und Hamburg Altóna ankündigt. Von der DB mit ihrem so menschelnden «Sänk ju for trävelling wis Deutsche Bahn» oder «Sänk ju for tschuusing Deutsche Bahn, täk Kär änd gut bai» ganz zu schweigen.

Was werden wir eigentlich in 30 Jahren machen, wenn alle Arbeit von Maschinen gemacht wird? Wenn im Supermarkt nur noch ein Check-Out-Bereich ist und im Selbstbedienungsrestaurant auch der Schöpfvorgang automatisiert ist? Wenn alle U-, S- und Fernbahnen keine Fahrer mehr haben? Wenn nur noch per Lernprogramm gebüffelt wird und auch die Putzkolonnen nur noch aus Robotern bestehen? Wenn sogar – wie heute in 20min zu sehen war – auch der Pizzaiolo ein Robi ist? Was werden wir dann tun? Wenn auch zuhause der Herd alleine kocht und die Wischmaschine alleine schrubbt? Was also?

Ich habe mir bisher eingebildet, dass ich einen robotikresistenten Job habe.
Aber angeblich sollen grosse amerikanische Firmen schon am Dirigier-Roboter arbeiten. Die CMs (Conducting Maschines) sind natürlich in den Dingen der Präzision unschlagbar. Eine CM trifft stets auf den Metronomstrich genau das Tempo, sie hat die komplexeste Partitur in Sekundenschnelle im Kopf, sie kann den gespielten Ton auf das Hertz genau mit dem verlangten vergleichen, wobei ihr natürlich ausser der gleichschwebenden, wohltemperierten auch noch 45 andere, historische Temperaturen zur Verfügung stehen. Eine CM verschlägt sich nicht, sie gibt keine falschen Einsätze, sie ist in allen Dingen perfekt. Für den Probenbetrieb hat man 100 Stimmen zur Auswahl, von osteuropäisch-aggressiv bis zu wienerisch-schmähig, von britisch-kühl bis zu spanisch-temperamentvoll. Ausser faktische Aussagen wie «Oboe 4,3 Hertz unter b’’» oder «Pauke MM=88 statt MM=89» hat die CM noch 5600 Witze zur Probenauflockerung sowie etliche Standardaussagen, die immer stimmen, eingespeist:
«Flöte zu tief»
«Blech zu laut»
«Bratsche schleppt»

Der SDS, der Standard-Dirigier-Stil kann mit ca.100 Zusatzfunktionen gekoppelt werden. Hier sind – und das Repertoire wird ständig erweitert – alle grossen Dirigenten gespeichert. Drückt man z.B. «Gergjew», so fangen die Hände des Roboters an zu zittern und vibrieren fortan in einer unglaublich interessanten Weise. Drückt man «Bernstein» fängt die Maschine an auf und ab zu hüpfen und nimmt gelegentlich den Stock in beide Hände. Bei «Karajan» verfällt die CM in eine meditativ-vergeistigte Haltung und bei «Celi» wird sie sehr, sehr, sehr langsam. Natürlich kann auch jeder Dirigent, der eine Vertretung braucht, seinen eigenen Stil der CM beibringen.

Die Conducting Maschine macht es endlich möglich, schlechten Orchestermusikern zu kündigen. Denn natürlich werden alle Patzer, Verspieler und Falschtöne gespeichert. So liefert die CM am Ende eines Monats eine genaueste Statistik, die vielleicht so aussehen könnte:


Abweichung vom Tempo
Abweichung von der Tonhöhe
Abweichung von der Lautstärke
Flöte 1
30%
15%
50%
Flöte 2
5%
11%
23%
Oboe 1
50%
70%
37%

 (Ausschnitt)

Hier wäre der Oboist schon so gut wie auf der Strasse.

Nein, genauso wie Tramchauffeur, Lokführer, Busfahrer, genauso wie Kellnerin, Kassierer, genauso wie Maler, Gipser, wie Schreiner und Polymech, aber auch wie Doktor oder Lehrer ist auch das Dirigieren kein robotikresistenter Job.
Fragt sich nur, ob irgendwann auch die Orchester nur noch aus Robotern bestehen. (Ehrlich gesagt, manche tun das heute schon.)
Eine Nachricht der Baselbieter Verkehrsbetriebe hat mich neulich erschreckt: Auf der Schmalspurstrecke Liestal-Waldenburg sollen ab 2022 keine Lokführer mehr eingesetzt werden.  Es macht es mich unglücklich, es macht es mich traurig (sic).

P.S. Der Blog macht aus beruflichen Gründen Pause bis Ende September

P.S.

1 Kommentar:

  1. Ämmel isch di Job als Glossischd no rächt sicher. State of the art computer-Dichter produziere nonig wirklich hochstehendi Kunst: http://kingjamesprogramming.tumblr.com/post/138146636953/they-smote-the-city-with-the-edge-of-the-sword

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